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VfGH vom 08.06.2010, U668/10

VfGH vom 08.06.2010, U668/10

19066

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die verfügte Ausweisung; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit hinsichtlich eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener

Staatsbürger von Ghana, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, seinen Herkunftsstaat aufgrund eines Thronfolgestreits mit seinem Onkel beziehungsweise Großvater, einem amtierenden König, verlassen zu haben. So sei vorgesehen gewesen, dass der Beschwerdeführer die Thronfolge antreten werde. Der König habe sich diesbezüglich jedoch für einen anderen Mann entschieden, der wohlhabend sei und den König mit finanziellen Zuwendungen unterstützt habe. Dieser Mann wolle infolge des Streits den Beschwerdeführer töten. In der letzten Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) änderte der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, dass er mit seinem Onkel um das der Familie gehörende Land gestritten habe. Der Onkel habe das Grundstück an einen fremden Mann verkaufen und den Beschwerdeführer aus dem Weg schaffen wollen. Insoweit habe man beschlossen, den Beschwerdeführer zu töten, weshalb er geflohen sei.

2. Das BAA wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, erkannte gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies den nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ghana aus.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß §§3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1, 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen. Im Erkenntnis führte der AsylGH u. a. aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aufgrund von Widersprüchen unglaubwürdig sei und vor dem Hintergrund seiner Arbeitsfähigkeit sowie des im Herkunftsstaat vorhandenen familiären Rückhaltes keine außergewöhnlichen Umstände ersichtlich seien, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art 3 EMRK darstellen könnten.

Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung hält der AsylGH fest, dass der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen in Österreich habe und seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung bestreite. Der durch die verfügte Ausweisung erfolgende Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers erweise sich zur Erreichung der in Art 8 EMRK genannten Ziele - "unter Berücksichtigung der in § 10 Abs 2 Z 2 lita. - h. AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009 genannten Aspekte" - als gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer halte sich erst seit vier Jahren im österreichischen Bundesgebiet auf und stütze diesen Aufenthalt lediglich auf einen unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz. Eine besondere soziale Integration des Beschwerdeführers sei nicht ersichtlich gewesen, wobei sich auch keinerlei Anhaltspunkte gefunden hätten, eine solche anzunehmen. Insbesondere fehle es an dem wesentlichen Aspekt einer Erwerbstätigkeit und der damit verbundenen Selbsterhaltungsfähigkeit. Es hätten sich somit keine Gründe im Sinne des § 10 Abs 2 AsylG 2005 ergeben, die einer Ausweisung entgegenstünden. Eine mündliche Verhandlung oder eine Aufforderung zur Stellungnahme zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers fand nicht statt.

4. Gegen diese Ausweisungsentscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach Art 8 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit damit die Berufung gegen die Ausweisung abgewiesen wurde.

5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

Zwischen Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des AsylGH sind annähernd vier Jahre vergangen. In diesem Zeitraum haben weder der Unabhängige Bundesasylsenat noch der AsylGH irgendwelche Ermittlungen durchgeführt (vgl. ; , B158/08). Es wären jedoch Ermittlungsschritte betreffend eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens des Beschwerdeführers jedenfalls zu treffen gewesen. So führt der AsylGH aus, dass eine besondere soziale Integration des Beschwerdeführers nicht ersichtlich gewesen sei, wobei sich auch keinerlei Anhaltspunkte gefunden hätten, eine solche anzunehmen. Es fehle vor allem an dem wesentlichen Aspekt einer Erwerbstätigkeit und der damit verbundenen Selbsterhaltungsfähigkeit. Aus der bekämpften Entscheidung geht allerdings nicht hervor, auf welcher Grundlage diese Feststellungen fußen. Insbesondere bleibt nicht nachvollziehbar, wie eine "Berücksichtigung der in § 10 Abs 2 Z 2 lita. - h. AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009 genannten Aspekte" stattgefunden haben soll, wenn der Beschwerdeführer nicht zumindest zu einer Stellungnahme zu seinen persönlichen Lebensumständen in Österreich aufgefordert wurde. Immerhin waren bis zur Entscheidung des AsylGH annähernd vier Jahre vergangen, in denen durchaus ein zu berücksichtigendes Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers hätte entstehen können (vgl. ). Abgesehen davon, dass der AsylGH derartige Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen gehabt hätte, machte der Beschwerdeführer in seiner Berufung (Beschwerde) gegen den Bescheid des BAA bereits eine Verletzung in seinem Privatleben geltend.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die vom BAA verfügte Ausweisung abgewiesen wird, aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.