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VfGH vom 27.04.2010, U667/09 ua

VfGH vom 27.04.2010, U667/09 ua

19044

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung eines Asylwerbers infolge fehlerhafter bzw unzureichender Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine am geborene

armenische Staatsangehörige, stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Sie brachte darin vor, ihren Lebensgefährten, einen ebenfalls armenischen Staatsangehörigen, welchen sie im Jahr 2002 in Moskau kirchlich geheiratet habe, nach Österreich begleitet zu haben. Ihre beiden Kinder aus früherer Ehe seien 2008 nach Österreich nachgereist.

Am ehelichte die Beschwerdeführerin laut Beschwerdevorbringen in Österreich ihren Lebensgefährten, dem mit Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom subsidiärer Schutz gewährt wurde. Er hat derzeit eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) ab, erklärte gemäß § 8 Abs 1 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Armenien für zulässig und wies die nunmehrige Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom wies der AsylGH mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß §§7, 8 Abs 1 und 8 Abs 2 AsylG 1997 als unbegründet ab.

In seinem Erkenntnis führt der AsylGH aus, dass die Beschwerdeführerin keine asylrelevanten Fluchtgründe vorgebracht habe. Sie habe aus freien Stücken, ohne Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt zu sein, den Herkunftsstaat verlassen.

Hinsichtlich der Verneinung der Zuerkennung des Status der Subsidiär-Schutzberechtigten und der Ausweisung der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet stellt der AsylGH das Vorliegen von familiären Anknüpfungspunkten iSd Art 8 EMRK in Bezug auf den Ehemann fest, und führt - nach ausführlicher Darstellung des Sachverhalts - wörtlich Folgendes aus:

"Die Beschwerdeführerin verbrachte den überwiegenden Teil ihres Lebens in Armenien, wurde dort sozialisiert, gehört der dortigen Mehrheits- und Titularethnie an, bekennt sich zum dortigen Mehrheitsglauben und spricht die dortige Mehrheitssprache auf offensichtlich muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass im Herkunftsstaat Bezugspersonen der Beschwerdeführerin existieren. Offensichtlich hielt [sie] ihre privaten und familiären Kontakte bis zum Sommer 2005 durch wiederholte Reisen nach Armenien aufrecht. Es deutet somit nichts darauf hin, dass es de[r] Beschwerdeführer[in] im Falle einer Rückkehr in de[r]en Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Im Gegensatz hierzu ist d[ie] Beschwerdeführer[in] - in Bezug auf ihr Lebensalter - erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig und verfügt über die nicht als schützenswert qualifizierten Anknüpfungspunkte keine weiteren, welche im Sinne eines Abhängigkeits-, Pflege- oder Unterhaltsverhältnisses den zwingenden Aufenthalt in Österreich gebieten. Auch ist festzustellen, dass die BF durch eine Ausreise nicht gezwungen wird, ihren Kontakt insbesondere zu ihrem Lebensgefährten gänzlich abzubrechen. Es steht ihr frei, diesen schriftlich, telefonisch, elektronisch oder im Rahmen von Urlaubsaufenthalten aufrecht zu halten. Ebenso steht es der BF - wie bereits erwähnt - frei, sich von Armenien aus um einen legalen Aufenthalt in Österreich zu bemühen.

Im Rahmen einer Gesamtschau kann daher auch nicht festgestellt werden, dass eine Gegenüberstellung der vo[n] [der] Beschwerdeführer[in] in [ihrem] Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu einem Überwiegen der privaten Interessen de[r] Beschwerdeführer[in] am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde."

4. In der gegen diese Entscheidung des AsylGH gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie der in Art 3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

5. Der AsylGH hat die Verfahrensakten übermittelt, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2.1. Dem AsylGH ist ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen:

2.2. Der Verfassungsgerichthof hat bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.223/2007 ausgeführt, dass die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt wird, auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig ist. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs 2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu. Nichts anderes gilt auch für den Fall einer mit einer Abweisung oder Zurückweisung eines Asylantrags ausgesprochenen Ausweisung eines Asylwerbers.

Wie die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist aber auch der eine Ausweisung aussprechende AsylGH bzw. das BAA stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen (vgl. ).

2.3. Im vorliegenden Fall erweist sich die vom AsylGH durchgeführte Interessenabwägung als fehlerhaft:

Der AslyGH geht in der Begründung der die Ausweisung der Beschwerdeführerin betreffenden Entscheidung davon aus, dass "keine

... Pflege- [...]verhältnisse den zwingenden Aufenthalt in Österreich

gebieten" und es der Beschwerdeführerin freistehe, den Kontakt zu ihrem Ehemann "schriftlich, telefonisch, elektronisch oder im Rahmen von Urlaubsaufenthalten aufrecht zu halten". Dabei geht der AsylGH in seinen rechtlichen Erwägungen weder auf die von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten Befunde, denen zu Folge ihr Ehemann an einer chronischen myeloischen Leukämie leide, und die sich daraus ergebende besondere Pflegebedürftigkeit und Beziehungsintensität ein, noch berücksichtigt der AsylGH den Umstand, dass dem Ehemann aufgrund der Schwere seiner Erkrankung eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde.

3. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.