VfGH vom 30.11.2010, U648/10

VfGH vom 30.11.2010, U648/10

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung und Ausweisung einer Mutter und ihres minderjährigen Sohnes in den Herkunftsstaat

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria nicht zuerkannt wird (Spruchpunkt 2.), im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener

nigerianischer Staatsangehöriger, beantragte am Asyl. Diesen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, dass er der Kaste der "Ausgestoßenen" angehöre, sich jedoch in die Tochter des "Chiefs" verliebt habe und es deshalb zu gewalttätigen Übergriffen auf seine Person sowie seine Familie seitens des Vaters des Mädchens gekommen sei.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997), ab und stellte gemäß § 8 leg.cit. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig ist.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) an den Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) wies der AsylGH mit Erkenntnis vom gemäß §§7, 8 AsylG 1997 ab. Begründend führt der AsylGH - unter Erwähnung der Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung - darin aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei, weshalb die Flüchtlingseigenschaft nicht festgestellt werden könne. Weiters seien keine Umstände amtsbekannt, dass in Nigeria eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art 144a B-VG gegründete vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art 3 EMRK sowie des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander nach ArtI Abs 1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Im Wesentlichen wird darin ausgeführt, dass der AsylGH seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei und zu Unrecht die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers angenommen habe.

5. Der AsylGH hat die Verwaltungsakten des BAA sowie die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria richtet, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des AsylGH gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

2.1. Zwischen der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des AsylGH sind sechseinhalb Jahre vergangen. Der AsylGH hat in der bekämpften Entscheidung zur Lage in Nigeria im Wesentlichen lediglich festgehalten, "dass keine Umstände amtsbekannt [sind], dass in Nigeria eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, und besteht auf dem Gebiet Nigerias auch kein landesweiter internationaler oder innerstaatlicher Konflikt". Es ist nicht ersichtlich, auf Grundlage welcher aktuellen Länderberichte der AsylGH zum Ergebnis gelangt, dass eine Gefährdung von Rechten nach Art 2 und 3 EMRK - im Falle einer Abschiebung - nicht vorliegt. Ermittlungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhalten hinsichtlich der Refoulementprüfung fehlen damit zur Gänze (vgl. VfSlg. 18.646/2008 sowie ).

2.2. Der AsylGH hat dem Beschwerdeführer auch weder im Vorfeld noch bei der mündlichen Verhandlung selbst aktuelle Länderberichte zur Kenntnis gebracht; auch sonst wurde dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit zur schriftlichen oder mündlichen Stellungnahme zu den Länderberichten gegeben.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt in Verbindung mit der mangelnden Einräumung von Parteiengehör führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria nicht zuerkannt wird, schon aus diesem Grund aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. ). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Abweisung der Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144a Abs 2 B-VG).

Die Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diesen Rechten lässt ihr Vorbringen die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG sowie § 19 Abs 4 erster Satz leg.cit. ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.