VfGH vom 07.03.2012, U619/11
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren, keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen bzw keine eigene Begründung in der Entscheidung des Asylgerichtshofes
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein - eigenen Angaben
zufolge - sudanesischer Staatsangehöriger, reiste am nach Österreich ein, wo er am einen Asylantrag stellte. Dem Verwaltungsakt des Bundesasylamts (in der Folge: BAA) ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BAA am angegeben hatte, sein Vater sei vor etwa zehn Jahren zum Christentum konvertiert, weshalb die muslimische Gesellschaft von diesem gefordert hätte, den Beschwerdeführer zu opfern. Sein Vater habe sich jedoch geweigert, woraufhin er getötet worden sei. In der Folge habe man auch versucht, den Beschwerdeführer zu töten.
2. Das BAA wies diesen Antrag mit Bescheid vom gemäß § 3 Asylgesetz 1991, BGBl. 8/1992, ab und führte darin aus, dass dem Beschwerdeführer mangels Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden könne.
3. Der dagegen erhobenen Berufung vom gab der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom statt, hob den angefochtenen Bescheid auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das BAA zurück.
4. In weiterer Folge wies das BAA den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002, ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan gemäß § 8 Abs 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idgF, zulässig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idgF, aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Sudan aus.
5. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung
(nunmehr: Beschwerde) vom wies der Asylgerichtshof (in der Folge: AsylGH) - nach am durchgeführter mündlicher Verhandlung - mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002, als unbegründet ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan gemäß § 8 Abs 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003, zulässig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009, aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Sudan aus. Dabei führte der AsylGH insbesondere aus, der Sudan sei nicht der Herkunftsstaat des Asylwerbers, woraus sich zwingend ergebe, dass eine asylrelevante Verfolgung im Sudan nicht in Betracht kommen könne. Überdies erweise sich das Vorbringen zu einer mit dem Sudan verbundenen Bedrohungssituation im Hinblick darauf, dass der Sudan nicht der Herkunftsstaat des Asylwerbers sei, als unglaubwürdig. Eine Schilderung des Fluchtvorbringens und seine Würdigung fehlt im Erkenntnis jedoch.
6. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art 144a B-VG, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf persönliche Freiheit gemäß Art 5 EMRK, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK sowie des Gleichheitssatzes gemäß Art 7 B-VG und des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art 18 B-VG geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Laut Beschwerde sei das Erkenntnis des AsylGH unschlüssig, zudem habe der AsylGH Ermittlungstätigkeiten in entscheidungswesentlichen Punkten unterlassen. Dem Erkenntnis des AsylGH würden insbesondere jegliche inhaltliche Feststellungen zum Privatleben des Beschwerdeführers fehlen. Entgegen der verklausulierten Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis sei der Beschwerdeführer sozial integriert, lebe zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem AsylGH in einer beinahe drei Jahre andauernden Beziehung mit einer Österreicherin, sei seit 1998 engagiertes Mitglied der "Christ Apostolic Church" in Wien und verfüge über starke und weit verzweigte Freundschaften in Österreich, wie sie eben einem über 13-jährigen Aufenthalt entsprechen würden.
7. Der AsylGH legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.
II. Erwägungen
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,
nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des AsylGH gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
3. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem
belangten AsylGH vorzuwerfen:
3.1. Gemäß dem - aus dem Blickwinkel des Falles verfassungsrechtlich unbedenklichen - § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), sind auf das Verfahren vor dem AsylGH (soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 nicht anderes ergibt) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, BGBl. 51/1991 (in der Folge: AVG), mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
3.2. Der AsylGH ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der AsylGH nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.
3.3. Bereits aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die zu § 67 AVG iVm § 60 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (zB ; , 98/01/0278; , 98/20/0559; , 99/01/0280; , 2000/20/0356), auf Entscheidungen des AsylGH nicht übertragbar ist. Mag eine entsprechende Verweisung auf unterinstanzliche Bescheide in Bescheiden von Berufungsbehörden noch im Interesse der Verfahrensökonomie gelegen sein, so ist diese Begründungstechnik dann nicht mehr hinnehmbar, wenn die verweisende Entscheidung von einem (nicht im Instanzenzug übergeordneten) Gericht erlassen wird, welches überdies seinerseits nicht mehr der Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt.
3.4. In der angefochtenen Entscheidung hat der
belangte AsylGH es verabsäumt, den Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung ausreichend darzustellen. So fehlt jegliche Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen. Erst in Zusammenschau mit dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich allenfalls dieses Vorbringen.
3.5. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergeben. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006, 18.632/2008; ).
4. Der Beschwerdeführer ist daher durch die
angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die angefochtene Entscheidung war daher
aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88
VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.