VfGH vom 29.06.2011, U593/11
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags bzw des Antrags auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen bzw keine eigene Begründung in der Entscheidung des Asylgerichtshofes
Spruch
I.1. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien abgewiesen wird, in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.
2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine armenische Staatsbürgerin, reiste im Jahr 2005 nach Österreich ein und stellte am einen Antrag auf Asyl. Diesen begründete sie damit, dass ihr Sohn mit seiner Familie in Österreich lebe und über eine Niederlassungsbewilligung verfüge und sie alleine in Armenien nicht überleben könne.
1.1. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. 76/1997 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997), ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Armenien gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien aus.
1.2. Die dagegen erhobene Beschwerde vom hat der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§7, 8 Abs 1 AsylG 1997 iVm § 75 Abs 1 und 8 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) und §§10 Abs 1 Z 2, 75 Abs 8 AsylG 2005 abgewiesen. Die Beschwerdeführerin habe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend gemacht. Sie sei weiters eine mobile, arbeitsfähige, 72-jährige Frau, ihr Überleben sei angesichts ihrer Pension gesichert und den - im Erkenntnis weder zitierten noch wiedergegebenen - Länderfeststellungen sei zu entnehmen, dass ihre medikamentöse Behandlung gesichert sei. Zum gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin führte der Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis weiters aus, dass diese unter einer koronaren Herzerkrankung leide, eine Bypass-Operation gehabt habe und im rechten Auge ein Augenimplantat in Form einer Hinterwandlinse trage. Eine Behandlungsbedürftigkeit liege nicht vor. Die Feststellungen würden auf den vorgelegten ärztlichen Bestätigungen beruhen.
2. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art 2, 3 und 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Insbesondere habe es der Asylgerichtshof verabsäumt, eigene Feststellungen zur medizinischen Versorgung der Beschwerdeführerin in Armenien zu treffen. Der gesundheitliche Zustand der Beschwerdeführerin habe sich seit dem Bescheid des Bundesasylamts wesentlich verschlechtert, der Asylgerichtshof lasse dies aber außer Acht. Weiters sei die Beschwerdeführerin gebrechlich und von der Pflege ihrer Familie, mit der sie seit 2005 im gemeinsamen Haushalt lebe, abhängig.
3. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die Gerichts- und Verwaltungsakten übermittelt.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist, soweit damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien abgewiesen wird, begründet:
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).
1.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:
2.1. Gemäß § 8 AsylG 1997 (iVm § 57 Fremdengesetz 1997, BGBl. 75/1997 idF BGBl. I 134/2002) ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
2.2. Der Asylgerichtshof forderte die Beschwerdeführerin mit Verfahrensanordnung vom auf, zu den dem Schreiben beigelegten Länderfeststellungen Stellung zu nehmen, für das Asylverfahren maßgebliche Dokumente sowie Beweismittel zur Höhe ihres Pensionsbezuges vorzulegen und ihre nähere derzeitige Lebenssituation darzulegen. Im Erkenntnis wird dies deshalb als notwendig beschrieben, da die dem Bescheid des Bundesasylamts zugrunde gelegten Länderfeststellungen nicht mehr aktuell seien und die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Bundesasylamt keine Gelegenheit gehabt hätte, zu den Länderfeststellungen Stellung zu nehmen.
2.3. Dieser Aufforderung kam die Beschwerdeführerin nach, legte Arztberichte vor und verwies auf die notwendige medikamentöse Therapie. Sie habe in Armenien keinen Zugang zu dieser lebensnotwendigen Behandlung. Den Arztberichten ist jeweils eine längere Liste unterschiedlicher Medikamente zu entnehmen, deren Einnahme die Beschwerdeführerin bedarf.
2.4. Trotz dieser Stellungnahme unterlässt es der Asylgerichtshof im weiteren Verfahren Ermittlungen zu tätigen, welche Medikamente weiterhin benötigt werden bzw. ob eben diese Medikamente in Armenien verfügbar sind. Auch finden sich im gesamten Erkenntnis keinerlei Feststellungen zum Aspekt der Versorgung der Krankheiten der Beschwerdeführerin, lediglich allgemein gehaltene Stehsätze finden sich auf den Seiten 19 und 20. Auch der sich nur im Gerichtsakt des Asylgerichtshofes befindliche Länderbericht spricht allgemein von einer schlechten medizinischen Grundversorgung in Armenien und von einer problematischen Situation hinsichtlich der Verfügbarkeit von Medikamenten in Armenien. Eine allfällige Anfrage an die Staatendokumentation dazu oder spezifische Ermittlungen zur Verfügbarkeit bestimmter Medikamente sind weder dem Verwaltungs- noch dem Gerichtsakt zu entnehmen.
2.5. Aus diesen Gründen fehlt es im Falle der Beschwerdeführerin und ihres Gesundheitszustandes an aktuellen Ermittlungen zu entscheidungswesentlichen Sachverhalten hinsichtlich der Refoulementprüfung (vgl. VfSlg. 18.646/2008).
3. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die Entscheidung auf Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
4. Da die Ausweisung aus dem Bundesgebiet u.a. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien voraussetzt, ist die Entscheidung, insoweit sie die Zulässigkeit der Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien betrifft, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen dazu einzugehen war.
4.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. mwN). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.
4.2. Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).
B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet, aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).