VfGH vom 25.11.2013, U556/2013
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie im Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht durch Abweisung des Antrags eines irakischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz mangels Vornahme eigener weiterer Ermittlungen durch den Asylgerichtshof trotz der offensichtlichen Mängel des Ermittlungsverfahrens vor dem Bundesasylamt im Hinblick auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens sowie mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im ver fassungsgesetz lich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie im Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein un parteiisches Gericht (Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerde führern zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozess kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens. Er stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Im Zuge der Erstbefragung gab er an, dass er im Irak für die Amerikaner gearbeitet habe und von Terroristen bedroht worden wäre. Als schließlich sein Geschäft niedergebrannt worden sei, habe er sich zur Flucht entschlossen. Am 5. September wurde der Beschwerde führer vor dem Bundesasylamt einvernommen. Dabei legte er seinen irakischen Führerschein und eine Kopie des Mietvertrages für sein Geschäftslokal im Irak vor.
2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylbe rechtigten ab, erkannt dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine bis befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Abweisung hinsichtlich des Asylbegehrens be gründete das Bundesasylamt mit der mangelnden Glaubwürdigkeit des vom Beschwerdeführer geschilderten Bedrohungsszenarios.
3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof, in der er der Begründung des Bundesasylamtes für seine Unglaubwürdigkeit ent gegentrat. Als weiteres Beweismittel legte der Beschwerdeführer eine Kopie jenes Ausweises vor, der ihm als Arbeiter den Zugang zum US-amerikanischen Militärflughafen in Tikrit ermöglicht habe. Mit Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die Beschwerde als unbegründet ab. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sah der Asylgerichtshof mit Ver weis auf § 41 Abs 7 AsylG 2005 ab.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144a B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewähr leisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der ange fochtenen Entscheidungen beantragt wird. Der Beschwerdeführer macht insbesondere geltend, dass sein Vorbringen ohne ausreichendes Ermittlungs verfahren und in verfehlter Würdigung der Einvernahme vor dem Bundesasylamt als unglaubwürdig betrachtet wurde.
5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, verzichtete aber auf eine Gegenschrift und verwies auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Recht sprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Inter nationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unter scheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleich behandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleich behandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Be stimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Überein kommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Ver fassungssphäre ein greift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Er mittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unter lassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:
3.1. Der Beschwerdeführer ist (nach der Erstbefragung) im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesasylamt nur ein einziges Mal niederschriftlich einvernommen worden. Aufgrund dieser Einvernahme hielt das Bundesasylamt das Vorbringen des Beschwerdeführers für unglaubwürdig. Der Asylgerichtshof stützte seine Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers auf das Protokoll dieser Einvernahme, obwohl sich bereits unmittelbar aus diesem Protokoll ergibt, dass es im Zuge der Einvernahme zwischen dem befragenden Organ und dem Beschwerdeführer zu einigen Missverständnissen gekommen ist:
3.1.1. Der Beschwerdeführer schildert laut Protokoll den fluchtauslösenden Vorfall, bei dem er angeblich am Morgen nachdem er eine Morddrohung er halten hatte, sein Geschäft niedergebrannt vorgefunden habe, folgendermaßen: "Die Nachbarn haben mir erzählt, dass ein Auto vorbeigefahren ist mit vier ver mummten Personen und haben diese Personen einen Gegenstand vor der Tür platziert, der Gegenstand ist explodiert und das Geschäft abgebrannt. Hundert Meter vor meinem Geschäft ist ein Polizei-Checkpoint, sie sind ohne Kontrolle durchgefahren das hat mich irritiert." Später schildert der Beschwerdeführer erneut, dass er vermute, dass die Polizei hinter seiner Verfolgung stecke, woraufhin ihm das befragende Organ entgegenhält: "Vorhin haben Sie angegeben, dass Vermummte (von denen Sie nichts wissen würden) Ihr Geschäft niedergebrannt haben. Nunmehr haben Sie im völligen Widerspruch dazu be hauptet, dass die irakische Polizei dahinter stehen würde. Das widerspricht sich! Nehmen Sie dazu Stellung!" In der Beweiswürdigung des Bescheides des Bundes asylamtes wird, indem zur ersten Aussage der Hinweis auf den nahen Polizei-Checkpoint nicht erwähnt wird, ein bei objektiver Beurteilung nicht vorhandener Widerspruch zwischen den beiden Aussagen konstruiert, der die Unglaubwürdig keit des Vorbringens stützen soll: "Entgegen Ihren ursprünglichen Ausführungen wonach Sie von Terroristen (Vermummten) bzw. von einem Personenkreis sprechen von dem Sie nichts wüssten haben Sie im völligen Widerspruch zu einem späteren Zeitpunkt Ihrer Einvernahme aber auch angegeben, dass dahinter die irakische Polizei bzw. Polizeiangehörige stecken würden. Derart widersprüchliche Ausführungen lassen sich nicht nachvollziehen."
3.1.2. Auf diesen Umstand weist der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an den Asylgerichtshof auch nachdrücklich in. Der Asylgerichtshof sah darin kein ausreichend substantiiertes Vorbringen, um verpflichtet zu sein, eine mündliche Verhandlung durchzuführen oder weitere Ermittlungen anzustellen, sondern meint in seiner Begründung, dass "der belangten Behörde beizupflichten [sei], wenn sie darauf hinwies, dass der Beschwerdeführer den behaupteten Anschlag auf sein Textilgeschäft vorerst unbekannten 'Terroristen' zuschrieb, in weiterer Folge aber ein gänzlich anderes Szenario ins Spiel brachte, nämlich eine gezielte Aktion durch Polizisten wegen seiner vormaligen Mitgliedschaft bei der Baath-Partei, und dass dieser Szenarienwechsel schon daher nicht nachvollziehbar war."
3.1.3. Nachdem der Beschwerdeführer ausgesagt hatte, dass er als Schweißer am Militärflughafen von Tikrit für die Amerikaner gearbeitet habe, versuchte das befragende Organ offenbar die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung durch ge zielte Fragen zu prüfen. Dazu befragte es den Beschwerdeführer darüber, welche amerikanischen Einheiten in Tikrit stationiert seien, wie der Kommandant des Stützpunktes hieße und welche Flugzeugtypen dort stationiert seien. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer keine dieser drei Fragen befriedigend beantworten konnte, schloss das Organ offensichtlich, dass er diese Tätigkeit nie ausgeübt habe, weshalb es dazu auch keine Feststellungen im Bescheid des Bundesasylamtes gibt. Warum das Organ des Bundesasylamtes davon ausging, dass ein Arbeiter auf einer Militärbasis auch nur eine dieser Fragen beantworten können müsse, ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Erst dadurch, dass der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Asylgerichtshof seinen Zutrittsausweis für den Flughafen in Tikrit vorlegen konnte, wurde die Glaubwürdigkeit seiner Aussage (durch den Asylgerichtshof) angenommen.
3.1.4. Hinsichtlich jener Befragungsthemen, die mit ähnlich zweifelhaften Frage stellungen einer Klärung zugeführt werden sollten, konnte der Beschwerdeführer keine zusätzlichen Beweismittel vorlegen, sodass diesbezüglich seine Unglaub würdigkeit weiter angenommen wurde. Wie aber das Bundesasylamt bzw. der Asylgerichtshof aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer die Frage nach der Identität der ihn bedrohenden Vermummten nicht beantworten konnte bzw. nicht angeben konnte welchen "konkreten Gegenstand" diese Vermummten vor seinem Geschäft abgelegt hätten – obwohl er bereits ausgesagt hatte, dass er weder die Vermummten noch den Gegenstand selbst gesehen habe und nur von den Schilderungen der Nachbarn berichten könne – auf die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers schließen kann, ist nicht nachvoll ziehbar.
3.1.5. Der Beschwerdeführer konnte ferner eine ganze Reihe von Dokumenten vorlegen, die zumindest objektiv geeignet sind, sein Vorbringen weitgehend zu bestätigen (irakischer Personalausweis, irakischer Führerschein, Mietvertrag für das Geschäft das angeblichen niedergebrannt wurde, Zutrittsausweis für den Militärflughafen in Tikrit, wo er nach seinen Behauptungen als Schweißer gearbeitet hat).
3.1.6. Der Asylgerichtshof stellte auf Grund dieser Unterlagen fest, dass der Beschwerdeführer für die US Streitkräfte tätig war. Alleine aufgrund dieser Fest stellung und der in beiden Verfahren als Quelle angegebenen Länderberichte (insb. den UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Iraq vom ) ergibt sich aber, dass der Beschwerdeführer als ehemaliger Angestellter der US-Amerikaner einem er höhten Risiko ausgesetzt sein konnte, zum Ziel von Übergriffen zu werden. Dennoch stützt sich der Asylgerichtshof zur Begründung der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ausschließlich auf das Protokoll der einzigen Einvernahme des Beschwerdeführers, ohne zu beachten, dass dessen Aussagekraft aufgrund der ungeeigneten Fragestellungen und der offensichtlichen Missverständnisse zwischen befragendem Organ und Beschwerdeführer nur von begrenztem Wert ist, und hat es unterlassen, selbstständig die gesamten Beweis ergebnisse zu würdigen und zueinander, insbesondere zu den Länderberichten in Beziehung zu setzen bzw. allenfalls notwendige weitere Ermittlungen anzu stellen.
4. Der Asylgerichtshof hat dadurch, dass er trotz der offensichtlichen Mängel des Ermittlungsverfahrens vor dem Bundesasylamt keine eigenen weiteren Er mittlungen angestellt hat, Willkür geübt.
5. Der Asylgerichtshof hat die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers groß teils auf Grund seines Vorbringens in erster Instanz beurteilt. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes in seiner Beschwerde an den Asylgerichtshof substantiiert entgegengetreten ist und neue Beweismittel vorgelegt hat, womit die in erster Instanz durchgeführte Beweis würdigung und die darauf gegründeten Tatsachenfeststellungen begründet in Frage gestellt wurde, lagen die in § 41 Abs 7 AsylG 2005 niedergelegten Voraus setzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung offenkundig nicht vor. Indem der Asylgerichtshof dennoch keine mündliche Verhandlung durchge führt hat, hat er den Beschwerdeführer außerdem im Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt (vgl. ; , U1257/2012 mwN)
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewähr leisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie im Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht verletzt worden.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne münd liche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 iVm § 88a VfGG. In den zuge sprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von je € 436,– enthalten.
Fundstelle(n):
GAAAE-28694