VfGH vom 19.09.2011, U538/11
******
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags wegen entschiedener Sache und Ausweisung; keine Ermittlungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, reiste im Jahr 2003 erstmals nach Österreich ein und stellte am einen (ersten) Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien festgestellt (Spruchpunkt II.). Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom gemäß §§7 und 8 Asylgesetz 1997 abgewiesen.
2. Am stellte der Beschwerdeführer einen zweiten, hier maßgeblichen, Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, Anfang 2009 nach Indien zurückgekehrt zu sein und sich dort bis Oktober 2009 aufgehalten zu haben. Während dieses Aufenthaltes in Indien sei er zum Christentum konvertiert, weshalb er von seiner Familie und den anderen Dorfbewohnern unter Druck gesetzt worden sei. Mit Bescheid des BAA vom wurde dieser Antrag gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 10 Abs 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) idgF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen (Spruchpunkt II.).
2.1. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom gemäß § 68 Abs 1 AVG idgF und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen. Begründend führt der AsylGH aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft. Es liege daher keine Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes vor, die eine andere Beurteilung des Falles zuließe. Der Antrag des Beschwerdeführers sei daher zu Recht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Zu Spruchpunkt II. seiner Entscheidung führt der AsylGH aus, der Beschwerdeführer habe keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Er halte sich zwar nunmehr bereits einige Jahre im Bundesgebiet auf, es habe ihm aber bewusst sein müssen, dass sein Aufenthalt nicht von Dauer ist. Das und die illegale Einreise relativieren die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich. Darüber hinaus bestehe keine Aufenthaltsverfestigung, wohingegen der Beschwerdeführer den Großteil seines Lebens in Indien verbracht habe, die dortige Sprache spreche und Familienangehörige weiterhin in Indien leben würden.
3. Dagegen richtet sich die auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Aufhebung der Entscheidung des AsylGH beantragt wird.
4. Der AsylGH hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass der vorliegenden Beschwerde auch nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.
2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der AsylGH dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.1. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem AsylGH bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung unterlaufen:
2.1.1. Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status auch auf die Gewährung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG 2005 gerichtet. Der Umstand, dass in einem auf das AsylG 2005 gestützten Antrag auf internationalen Schutz ein Antrag auch in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz enthalten ist, wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem AsylG 2005 ist der AsylGH verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen ( U 1533, 1534/10; vgl. auch ).
2.1.2. Dieser Verpflichtung ist der AsylGH jedoch nicht nachgekommen. In der angefochtenen Entscheidung finden sich keine Feststellungen zu allfälligen subsidiären Schutzgründen, wie zB der gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers oder der Lage in Indien. Die angefochtene Entscheidung nimmt nicht einmal Bezug auf die vom BAA getroffene Feststellung, die Lage im Herkunftsstaat sei unverändert. Mit der Frage, ob sich in dem seit dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens verstrichenen Zeitraum eine Änderung des Sachverhaltes dahingehend ergeben hat, dass dem Beschwerdeführer nunmehr eine dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechende Behandlung in seinem Heimatland droht, hat sich der AsylGH mit keinem Wort auseinander gesetzt. Mangels Prüfung von Sachverhaltsänderungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hat der AsylGH die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet.
Der Beschwerdeführer ist somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-
enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.