VfGH vom 11.06.2014, U524/2013

VfGH vom 11.06.2014, U524/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan mangels Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Heimatprovinz Khost

Spruch

I.1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan sowie gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

2. Die bekämpfte Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

3. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, gleichzeitig wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 leg.cit. nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

2. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit oben bezeichneter Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen. Die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet der Asylgerichtshof im Wesentlichen wie folgt:

"3.1.4. Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958 (in der Folge EMRK).

Der BF ist jung, im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonstwie bekannt geworden (in der Vergangenheit zurückliegende Verletzungen des Beins nach dem Fußballspielen und des Kopfes durch eine[n] Schlag wurden zwar vorgebracht, aktuelle gesundheitliche Probleme wurden vom BF allerdings verneint). Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen.

Darüberhinaus kann er auf die Unterstützung der Familie, die sich nach wie vor im Heimatland des BF aufhält, zählen. So befinden sich ein Onkel, die Mutter des BF und vier Geschwister in dessen Heimatort, zwei Onkel wohnen in der nahegelegenen Hauptstadt der Heimatprovinz des BF. Der Vater und vier weitere Onkel leben in der Provinz Kunar.

3.1.5. Es besteht kein reales Risiko, dass der BF im Herkunftsstaat einer dem 6. oder 13. Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitenden Behandlung unterworfen wird.

[…]

3.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

3.2.1. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen und mit ihren Quellen in Punkt 2. dieses Erkenntnisses angeführten Feststellungen zur Lage in Afghanistan decken sich mit dem Amtswissen des Asylgerichtshofes und werden im Folgenden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Diese Feststellungen gründen sich auf unbedenkliche, seriöse und aktuelle Quellen und sind schlüssig und widerspruchsfrei.

Insoweit die belangte Behörde ihren Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde gelegt hat, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Asylgerichtshof von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (beispielsweise ein Bericht des ANSO – Afghanistan NGO Safety Office zur aktuellen Situation im 4. Quartal 2012 im Herkunftsstaat Afghanistan und der Herkunftsprovinz Khost) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht fallrelevant wesentlich geändert haben.

Der BF hat diese Feststellungen nicht in substantiierter Weise bestritten. Die Einwände dagegen in der Stellungnahme vom bleiben allgemein sowie vage und bezogen sich auf in der letzten Zeit vorgefallene spezielle Ereignisse (z.B. Attentate), die jedoch in keinen konkreten Zusammenhang mit dem BF gebracht wurden.

Dass der BF einem real bestehenden Risiko unterliegen würde, der Todesstrafe unterzogen zu werden, hat sich aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht ergeben und hat der BF auch nicht behauptet.

3.2.2. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

Nach mehr als 30 Jahren Konflikt und ca. 10 Jahre nach dem Ende der Taliban-Herrschaft befindet sich Afghanistan noch immer in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Weitere ganz erhebliche Anstrengungen sind nötig, um die bisherigen Stabilisierungserfolge zu sichern und die Zukunftsperspektiven der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Die Internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn am hat die Partnerschaft Afghanistans mit der internationalen Gemeinschaft erneuert und auf eine klare und belastbare Grundlage für das Jahrzehnt nach 2014 gestellt.

Zu einem der dominierenden innenpolitischen Themen hat sich die Frage einer Aussöhnung mit den bewaffneten Aufständischen entwickelt. Eine 'Friedens-Jirga' gab der Regierung von Präsident Hamid Karzai Anfang Juni 2010 'grünes Licht' für Gespräche mit den Taliban und anderen regierungsfeindlichen Kräften, bekräftigte aber gleichzeitig, dass jeder Ausgleich an die Aufgabe des bewaffneten Kampfes, die Anerkennung der Verfassung und die Loslösung von al-Qaida gebunden sein müsse. Die Ermordung des Präsidenten des mit dem Aussöhnungsprozess betrauten Hohen Friedensrates, Rabbani, im September 2011 hat das Verhältnis Afghanistans zu seinem Nachbarn Pakistan einer schweren Belastungsprobe unterzogen. Als Reaktion auf das Attentat hat Präsident Karzai die Vorgehensweise bei den Friedensgesprächen in Frage gestellt, wodurch der Friedensprozess vorübergehend ins Stocken geraten ist. Die Afghanistankonferenz in Bonn formulierte sieben Prinzipien für den Friedensplan und sagte Unterstützung zu, wenn diese Prinzipien eingehalten werden.

Die Sicherheitslage in großen Teilen Afghanistans stabilisiert sich zunehmend, ist aber nach wie vor angespannt. Nach einer stetigen Verschlechterung seit 2006 ging die Zahl der Angriffe und Gefechte im Jahr 2011 insgesamt zurück. Dass die Zahl der zivilen Opfer 2011 insgesamt zugenommen hat, ist in erster Linie de[n] Anschläge[n] regierungsfeindlicher Kräfte geschuldet. Etwa 80 % der zivilen Opfer des bewaffneten Konflikts werden durch sie verursacht.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Aufgrund günstiger Witterungsbedingungen war die Gesamtversorgungslage 2010 deutlich besser als in den Vorjahren. 2011 allerdings war die Getreideernte aufgrund unzureichender Niederschlagsmengen wieder signifikant niedriger als in den Vorjahren.

Verwaltung und Justiz funktionieren nur sehr eingeschränkt. Weder besteht Einheitlichkeit der Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia und Gewohnheitsrecht), noch werden rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien regelmäßig eingehalten. Trotz bestehender Aus- und Fortbildungsangebote für Richter und Staatsanwälte wird die Schaffung eines funktionierenden Verwaltungs- und Gerichtssystems noch Jahre dauern.

Auch wenn im Bereich Korruptionsbekämpfung seit der Kabul-Konferenz im Juli 2010 einige Fortschritte zu vermelden sind (z. B. Einrichtung eines unabhängigen Monitoring and Evaluation Committee, das internationale Experten einschließt), bleibt Korruption ein allgegenwärtiges Problem. Dies hat nicht zuletzt die Krise um die größte Geschäftsbank des Landes (Kabul-Bank) verdeutlicht, bei der nach realistischen Einschätzungen Gelder im dreistelligen Millionenbereich veruntreut und größtenteils ins Ausland verbracht wurden.

Die Menschenrechtssituation hat sich nicht wesentlich zum Positiven verändert. Die Lage der Frauen in der konservativ-islamischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die größte Bedrohung der Menschenrechte geht weiterhin von der bewaffneten Aufstandsbewegung aus.

Die humanitäre Situation stellt das Land vor allem mit Blick auf die mehr als 4,5 Millionen – meist aus Pakistan zurückgekehrten – Flüchtlinge vor große Herausforderungen. Gut 2,8 Millionen afghanische Flüchtlinge halten sich noch in Pakistan und in Iran auf. In Iran sind zusätzlich rund 2 Millionen afghanische Staatsangehörige nicht als 'Flüchtlinge' anerkannt. Die Bemühungen des UNHCR um die Rückkehr von Flüchtlingen werden durch die schlechte Sicherheitslage, die weitgehend fehlenden wirtschaftsfreundlichen Rahmenbedingungen zum Aufbau einer Existenz sowie die schwache Verwaltungsstruktur der Behörden beeinträchtigt.

Rückkehrer können auf Schwierigkeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im (westlich geprägten) Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, 'Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan' vom , Zusammenfassung)

[…]

5. Rechtliche Beurteilung:

[…]

5.2.4.2. Zu § 8 AsylG (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

[…]

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG nicht gegeben sind:

Dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

Selbst wenn im Herkunftsstaat die Todesstrafe als gesetzliche Strafsanktion für besonders schwere Straftaten vorgesehen ist, so hat sich auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens kein reales Risiko ergeben, dass der BF im Herkunftsstaat einer dem 6. bzw. 13. Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitenden Behandlung unterworfen werden würde.

Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.

Was die Sicherheitslage im Raum Kabul betrifft, ist festzuhalten, dass seit August 2008 die Sicherheitsverantwortung für den städtischen Bereich der Provinz Kabul nicht länger in den Händen von ISAF, sondern der afghanischen Armee und Polizei liegt. Diesen ist es nach anfänglichen Schwierigkeiten 2010 gelungen, Zahl und Schwere umgesetzter sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren. Die positive Entwicklung der Sicherheitslage in Kabul erlaubt es mittlerweile sogar, in Abstimmung zwischen der Stadtverwaltung, nationalen und internationalen Sicherheitskräften mit dem Rückbau von Betonbarrieren und Verkehrsbeschränkungen zu beginnen. Die für die Bevölkerung deutlich spürbare Verbesserung der Sicherheitslage im Stadtbereich Kabuls geht weniger zurück auf eine Verminderung der Bedrohung (Anschlagsversuche, Eindringen von Aufständischen usw.), als vielmehr auf die Verbesserung vorbeugender Sicherheitsmaßnahmen. Medienwirksame Anschläge auf Einrichtungen mit Symbolcharakter sind dennoch auch künftig nicht auszuschließen (siehe deutsches Auswärtiges Amt, 'Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan' vom , Seite 14).

Beim BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass er im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten (so hat der BF vor seiner Ausreise in der Landwirtschaft gearbeitet) ein ausreichendes Auskommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen.

Darüberhinaus verfügt der BF in seinem Heimatland nach wie vor auch über enge familiäre Anknüpfungspunkte. So wohnen im Heimatdorf des BF sein Onkel sowie seine Mutter und vier Geschwister, weiters seine Großmutter. In der Hauptstadt der Heimatprovinz Khost leben überdies zwei weitere Onkel väterlicherseits (während der Vater selbst und vier Onkel mütterlicherseits in der Provinz Kunar aufhältig sind). Es kann somit davon ausgegangen werden, dass dem BF im Fall der Rückkehr im Rahmen seines Familienverbandes jedenfalls eine wirtschaftliche und soziale Unterstützung (zunächst vor allem mit Wohnraum und Nahrung) zuteil wird.

Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben des BF und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde ( Zahl 98/21/0427; , Zahl 2002/18/0028; vgl. dazu auch Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom , Zahl BVerwG 10 C10.09). Wie der EGMR in seinem Urteil vom , N. vs. Schweden, Zahl 23505/09, Rz 52, ausgeführt hat, stellt sich die Lage in Afghanistan trotz der verfügbaren Berichte über ernste Menschenrechtsverletzungen jedenfalls nicht so dar, dass gleichsam jede Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung der EMRK bedeuten würde, sondern es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf Grund der persönlichen Situation des Betroffenen die Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen würde.

Auch wenn in Afghanistan die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass es dem BF unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar ist, von der Hauptstadt Kabul aus in die Provinz Khost zu gelangen, wo er nach wie vor über ein soziales bzw. familiäres Netz verfügt. Letztlich steht dem BF ergänzend auch die Möglichkeit offen, sich unmittelbar nach erfolgter Ankunft an in Kabul ansäßige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, wenngleich nicht verkannt wird, dass von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewährt werden können.

Auf Grund der eben dargelegten Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat erübrigt sich eine weitere Prüfung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß §§8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG in der Fassung FrÄG 2009.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in Rechten nach Art 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden. Weder droht dem BF im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG als unbegründet abzuweisen."

3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) und gemäß Art 3 und 6 EMRK sowie gemäß Art 7 B VG und Art 2 StGG geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand und beantragte die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an den Asylgerichtshof betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan sowie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan richtet, begründet:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat können unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK relevant sein (VfSlg 19.602/2011 mwN).

2.2. Basierend auf den in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan hält der Asylgerichtshof fest, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil sei, doch variiere die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt. Im Raum Kabul sei es gelungen, Zahl und Schwere umgesetzter sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren. Feststellungen zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz bzw. im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers, der im Osten von Afghanistan liegenden Provinz Khost bzw. dem Distrikt Nadershakot, trifft der Asylgerichtshof hingegen nicht. Daran kann auch die bloße Erwähnung eines Berichtes des ANSO – Afghanistan NGO Safety Office – durch den Asylgerichtshof zur aktuellen Situation im vierten Quartal 2012 (u.a. in der Provinz Khost) im Zusammenhang mit der Feststellung der Aktualität der Länderberichte im angefochtenen Bescheid nichts ändern. Aus der angefochtenen Entscheidung geht nicht hervor, wie sich die Sicherheitslage in der Provinz Khost zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt dargestellt hat. Aus den im Bescheid des Bundesasylamtes zitierten Quellen geht diesbezüglich lediglich hervor, dass in der zweiten Jahreshälfte 2011 in den Provinzen Khost, Paktika, Ghazni, Kunar und Nangarhar insgesamt 446 Zivilisten getötet worden seien; dies bedeute einen Anstieg von 34% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das Gros militärischer Operationen des ISAF konzentriere sich u.a. auf den Osten, worunter auch die Provinz Khost fällt. Die schlechte Sicherheitslage in der Provinz Khost wird auch durch den vom Asylgerichtshof selbst zitierten Bericht des ANSO bestätigt.

2.3. Soweit der Asylgerichtshof die Situation in Kabul schildert, kommt diesen Ausführungen kein hinreichender Begründungswert zu, weil sich der Beschwerdeführer nach eigener Aussage lediglich unmittelbar vor seiner Flucht zwei Tage in Kabul aufgehalten hat und ebendort über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte verfügt. Den im Bescheid des Bundesasylamtes wiedergegebenen Länderberichten ist zu entnehmen, dass eine Ansiedlung in Kabul für mittellose Männer ohne persönliche Anknüpfungspunkte nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist (vgl. ). Das Bestehen eines familiären oder sonstigen sozialen Netzes des Beschwerdeführers in Kabul hat der Asylgerichtshof nicht festgestellt. Der Asylgerichtshof stellt auch nicht fest, dass der Beschwerdeführer über ausreichende finanzielle Mittel verfüge, um sich in Kabul eine Existenz aufzubauen bzw. eine solche auch über einen längeren Zeitraum hindurch zu sichern.

2.4. Die Ausführungen des Asylgerichtshofes hinsichtlich des Bestehens eines familiären Netzes in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers sind für sich genommen nicht von ausreichender Relevanz, weil er keinerlei Äußerungen zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers trifft und folglich nicht davon auszugehen scheint, dass sich dieser dort niederlassen könne. In der angefochtenen Entscheidung wird demgegenüber festgehalten, dass es dem Beschwerdeführer "durchaus möglich und zumutbar ist, von der Hauptstadt Kabul aus in die Provinz Khost zu gelangen, wo er nach wie vor über ein soziales bzw. familiäres Netz verfügt". Nachdem der Asylgerichtshof davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer in die Provinz Khost zurückkehren könnte, hätte er sich mit den Länderberichten auseinandersetzen müssen, zumal die Sicherheitslage in Afghanistan, wie der Asylgerichtshof festgestellt hat, von Provinz zu Provinz variiert und sich die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers den im Bescheid des Bundesasylamts wiedergegebenen Berichten zufolge weiterhin kritisch darstellt (vgl. ). Da der Asylgerichtshof somit jegliche Auseinandersetzung mit einem wesentlichen Aspekt für die Begründung seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vermissen lässt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

3. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Abweisung der Beschwerde an den Asylgerichtshof gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144 B VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezi-fisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit damit die Abweisung der Beschwerde an den Asylgerichtshof gegen die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die Abweisung der Beschwerde an den Asylgerichtshof betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Da die Ausweisung aus dem Bundesgebiet die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten voraussetzt, ist die bekämpfte Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die verfügte Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

3. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U524.2013