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VfGH vom 11.06.2014, U460/2013

VfGH vom 11.06.2014, U460/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Ausweisung des Beschwerdeführers in den Iran

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt, brachte er vor, dass er ca. vier Jahre vor seiner Ausreise Mitglied der kurdisch-demokratischen Partei (DPKI) geworden sei und für diese auch politisch tätig gewesen sei; seine Aufgabe sei es gewesen, in der Nacht Flugblätter und CD's zu verteilen. Er habe auch politische Parolen auf Hauswände geschrieben. Der Geheimdienst "Etelaat" habe Informationen über ihn erlangt und eine Hausdurchsuchung bei ihm durchgeführt, wobei politisches Informationsmaterial und Farbsprays beschlagnahmt worden seien. Der Beschwerdeführer sei aber nicht zu Hause gewesen. In der Folge sei noch dreimal bei ihm zu Hause angerufen und nach ihm gefragt worden. Er müsse im Iran mit einer Verhaftung rechnen.

2. Nach erfolgter Einvernahme wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab; des Weiteren wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran ausgewiesen.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Asylgerichtshof – in der u.a. das Ermittlungsverfahren des Bundesasylamts als grob mangelhaft qualifiziert und die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt wurde, weil dies dem Beschwerdführer für die Beurteilung seiner persönlichen Glaubwürdigkeit durch den Asylgerichtshof unbedingt notwendig erschien – wies dieser mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§3, 8 und 10 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet ab.

4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B VG an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 GRC geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

Vorgebracht wird im Wesentlichen, dass der Asylgerichtshof jegliche Ermittlungstätigkeit in dem entscheidenden Punkt, ob der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Iran Gefahr liefe, einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden, unterlassen habe, dass die angefochtene Entscheidung an gravierenden Begründungsmängeln leide, weil sie der Asylgerichtshof mit Ausführungen begründet habe, denen kein Begründungswert zukomme und letztlich damit, dass der Sachverhalt ergänzungsbedürftig sei und daher das Absehen von einer mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Fall nicht mit Art 47 Abs 2 GRC im Einklang stünde.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und beantragte, die Beschwerde abzuweisen. Von der Erstattung einer Gegenschrift nahm er – unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung – Abstand.

II. Erwägungen

Auf die vorliegende Beschwerdesache ist Art 144 B VG in der mit in Kraft getretenen Fassung (BGBl I 51/2012) anzuwenden (vgl. ).

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1.1. Der Asylgerichtshof begründet die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten – auf die Feststellungen der Erstbehörde verweisend – ausschließlich damit, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig sei. Die diesbezüglichen Feststellungen der Erstbehörde fasst er in seiner Entscheidung wie folgt zusammen:

"Der Beschwerdeführer habe lediglich eine konstruierte Fluchtgeschichte vorgebracht und ' mehr oder weniger gut Eingelerntes' wiedergegeben. Abgesehen von der Hausdurchsuchung habe er keine weiteren Besuche des 'Etelaat' vorgebracht, sondern habe er lediglich angegeben, dass noch 3 Mal angerufen worden sei. Eine Bestätigung von der DPKI habe er – trotz einer Zusage seinerseits – ebenfalls nicht vorgelegt. Orte oder Namen von den Treffen mit einem Parteimitglied habe er nicht genannt. Es erschien dem Bundesasylamt 'etwas sonderbar' dass dieses Parteimitglied, mit dem sich der Beschwerdeführer getroffen habe, sich nach wie vor im Iran aufhalten könne und der Beschwerdeführer aber nicht mehr. Es sei weiters 'erwähnenswert' , dass sich der Beschwerdeführer bis kurz vor der Ausreise im Juli 2010 einige Tage problemlos in Teheran aufhalten hätte können, da dies 'sicherlich' nicht möglich gewesen wäre, wenn tatsächlich Interesse an seiner Person bestanden hätte. 'Zusammenfassend – in Gesamtschau und nicht nur punktuell bezogen – gesehen' , sei bezüglich des Vorbringens festzuhalten, dass diesem keine besonderen Umstände entnommen werden hätten können, aus denen – glaubhaft – hervorgehen würde, dass der Beschwerdeführer im Iran einer unmittelbaren oder mittelbaren staatlichen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr ausgesetzt sein würde."

1.2. Allerdings schließt sich der Asylgerichtshof in seiner Beweiswürdigung nicht in allen Punkten der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes an:

"So erscheint es dem Asylgerichtshof nicht nachvollziehbar, allein aus dem Umstand, dass der vom Beschwerdeführer bewusst nicht genannte, angebliche Vorgesetzte in der Partei DPKI, mit dem sich der Beschwerdeführer immer wieder getroffen haben soll, nach wie vor im Iran lebt, zu schließen, dass es auch dem Beschwerdeführer möglich gewesen sein müsste, weiterhin im Iran zu leben. Auch der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise problemlos für einige Tage (ca. 10) in Teheran aufhalten habe können (die Richtigkeit dieser Angabe unterstellt), stützt noch nicht die Annahme, dass gar keine Verfolgung vorliegt. Das Bundesasylamt hat aber auch – wie schon oben ausgeführt – insoweit auch nachvollziehbar dargestellt, dass der Beschwerdeführer persönlich unglaubwürdig ist, was durch weitere Argumente des Asylgerichtshofes bestätigt wurde."

1.3. Diese weiteren Argumente des Asylgerichtshofes bilden einerseits die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nur ein knappes Vorbringen erstattet und Fragen nur pauschal beantwortet habe, und andererseits ein erst vom Asylgerichtshof erkanntes Abweichen der Angaben des Beschwerdeführers zur Reiseroute in der Einvernahme durch das Bundesasylamt von jenen der Erstbefragung.

1.4. Ein dem Asylgerichtshof vorgelegtes Schreiben, das die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der kurdischen Partei DPKI bestätigen soll, betrachtet der Asylgerichtshof als bloße Gefälligkeit dem Beschwerdeführer gegenüber. Dafür spreche der späte Zeitpunkt der Vorlage und ein Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom , wonach Mitgliedsausweise und Bescheinigungen über die Betätigung bei politischen Parteien sehr leicht von den zuständigen Stellen zu beschaffen seien.

2. Die angefochtene Entscheidung verstößt aus folgenden Gründen gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC):

2.1. Zwei Begründungselemente des Bescheids des Bundesasylamts erscheinen dem Asylgerichtshof selbst als Argumente nicht nachvollziehbar bzw. nicht beweiskräftig (s.o. Pkt. II.1.2.).

2.2. Ein weiteres Argument des Bundesasylamts, auf das die Beweiswürdigung des Asylgerichthofs sich zu stützen scheint, geht ebenfalls in Leere: Die Beweiskraft des Schreibens, das die DPKI-Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bestätigen soll (s.o. Pkt. II.1.4.), relativiert der Asylgerichtshof mit dem Hinweis darauf, dass ein solches Schreiben von den zuständigen Stellen sehr leicht zu beschaffen sei. Dieser Hinweis trifft aber sowohl bei einer vorgetäuschten als auch bei einer wirklichen DPKI-Mitgliedschaft zu, ein Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers kann dies daher nicht sein, ebensowenig, wie der späte Zeitpunkt der Vorlage des Schreibens.

2.3. Das Argument, der Beschwerdeführer habe "Orte oder Namen von Treffen mit einem Parteimitglied" nicht genannt, entkräftet die vorliegende Beschwerde mit folgender Argumentation:

"Überdies ist politisch verfolgten Personen ein Misstrauen jedermann gegenüber zu eigen, was auch erklärt, weshalb der Beschwerdeführer Namen von Kontaktpersonen oder konkrete Treffpunkte nicht preisgibt. Der bloße Verweis auf die Vertraulichkeit der Angaben vermag einem iranischen Staatsangehörigen mit entsprechend einschlägiger Erfahrung vermutlich nicht das Vertrauen zu einer Behörde schaffen."

2.4. Abgesehen von einer Ungereimtheit bei der Darstellung des Reisewegs und der – vielleicht – mangelnden Plausibilität der drei Anrufe nach der Hausdurchsuchung bleibt also im Kern als Beweis für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nur der Vorwurf, dass der Beschwerdeführer nur ein knappes Vorbringen erstattet und Fragen nur pauschal beantwortet habe.

2.5. Die Begründung für die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten stützt sich ausschließlich auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers. Daher hat die Beweisführung in diesem Punkt ein besonderes Gewicht – nicht zuletzt auch, weil sich aus den in der Entscheidung des Asylgerichtshofes wiedergegebenen Länderberichten (S 24) Folgendes ergibt:

"Politisch aktive Gruppen und auch Einzelpersonen werden vom iranischen Regime als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachtet. Wird die Person z.B. als Spion oder der Zusammenarbeit mit oppositionellen religiösen, ethnischen oder politischen Gruppen verdächtigt, hat sie mit strengen Strafen von 10 Jahren Gefängnis bis hin zu[r] Todesstrafe zu rechnen. Beispielsweise genügt der Besitz einer CD, eine Schmähschrift o.ä., die von der KDPI, Komalah oder anderen kurdischen Organisationen stammt, um als Akt gegen die nationale Sicherheit zu gelten. [...]

(Quelle: Home Office, Operational Guidance Note, Iran, )"

2.6. Gemäß § 41 Abs 7 Asylgesetz 2005 (aufgehoben durch BGBl I 87/2012) konnte eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschien oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergab, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entsprach. Angesichts der oben wiedergegebenen Passagen der Beweiswürdigung des Asylgerichtshofes, die sich ausschließlich auf den Akteninhalt stützt, ihn aber gleichzeitig relativiert, steht außer Frage, dass der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde noch nicht geklärt war.

Auch die in den Akten dokumentierte Tatsache, dass der Beschwerdeführer nur ein knappes Vorbringen erstattet und Fragen nur pauschal beantwortet hatte, ist ein Indiz dafür, dass der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Asylgerichtshofes nicht völlig geklärt war. Wenn der erkennende Senat sich einen persönlichen Eindruck von dem Beschwerdeführer verschafft hätte, hätte er den Akteninhalt hinsichtlich dessen Glaubwürdigkeit zutreffender deuten können.

2.7. Auch die ständige Rechtsprechung sowohl des Verwaltungs- als auch des Asylgerichtshofes betont, dass gerade der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied einer Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, von größter Relevanz für die Beurteilung eines Vorbringens im Hinblick auf dessen Glaubwürdigkeit ist (vgl. für viele AsylGH , D9 409106-2/2010; , D7 424783-2/2012; ; , 98/20/0505; vgl. auch ).

2.8. Aus diesen Gründen wäre eine mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs 7 Asylgesetz 2005 geboten gewesen; der Asylgerichtshof hat diese Bestimmung grob verkannt.

3. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , U1175/12 ua., festgehalten hat, bewirkt das Absehen von einer – diesfalls im Lichte des § 41 Abs 7 Asylgesetz 2005 – gebotenen mündlichen Verhandlung durch den Asylgerichtshof eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 47 Abs 2 GRC.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 GRC verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U460.2013