VfGH vom 26.09.2011, U377/10

VfGH vom 26.09.2011, U377/10

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

I. beschlossen:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsbürger, reiste im Jahr 2002 nach Österreich ein und stellte am einen Antrag auf Asyl. Diesen begründete er damit, dass er Probleme während seiner Militärzeit gehabt habe und sein Leben in Armenien in Gefahr sei.

1.1. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997), ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig.

1.2. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§7 und 8 AsylG 1997 abgewiesen. Der Beschwerdeführer habe infolge der Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen können. Er sei weiters ein arbeitsfähiger, 29-jähriger Mann, der seinen notwendigen Lebensunterhalt in Armenien sichern könne. Zum gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers führte der Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis aus, dass dieser unter Morbus Bechterew leide und es sich dabei um eine (auch in Österreich) nicht heilbare Erkrankung handle. Das vom Asylgerichtshof beauftragte Sachverständigengutachten nenne als einzige Behandlungsmethode die Injektion oder Einnahme von Medikamenten. Laut vorliegenden ärztlichen Befunden sei es beim Beschwerdeführer zu einer deutlichen Besserung der Schmerzsymptomatik und Bewegungseinschränkung gekommen. Den Länderfeststellungen sei zu entnehmen, dass die medizinische Versorgung in Armenien grundsätzlich flächendeckend gewährleistet sei und alle gängigen Erkrankungen - wie auch Morbus Bechterew - behandelbar seien.

2. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art 3 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Insbesondere habe der Asylgerichtshof nur rudimentär auf die vorgelegten ärztlichen Befunde zur Erkrankung des Beschwerdeführers Bezug genommen. Aus dem Sachverständigengutachten gehe deutlich hervor, dass jenes Medikament, welches die behandelnden Ärzte in Wien für derzeit nicht substituierbar erachten würden und zu einer deutlichen Besserung der Krankheit geführt habe, in Armenien nicht vorhanden bzw. nicht einmal bekannt sei. Der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers würde sich in Armenien somit wesentlich verschlechtern, sodass dieser an dauernden starken Schmerzen leiden müsste, was der Asylgerichtshof völlig außer Acht lasse. Der Asylgerichtshof hätte Feststellungen zum Schmerzgeschehen im Falle eines Therapie-Wechsels treffen müssen und ermitteln, wie der Beschwerdeführer in Armenien schwere Schmerzen verhindern könne.

3. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die Gerichts- und Verwaltungsakten übermittelt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien abgewiesen wird, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).

1.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Gemäß § 8 AsylG 1997 (iVm § 57 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75/1997 idF BGBl. I 134/2002) ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Der Asylgerichtshof hat am eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und die Länderfeststellungen sowie die vorgelegten ärztlichen Befunde mit dem Beschwerdeführer erörtert. In Folge hat der Asylgerichtshof ein Sachverständigengutachten zur Erhebung der Behandelbarkeit der Krankheit des Beschwerdeführers in Armenien und der Verfügbarkeit der erforderlichen Medikamente beauftragt. Aus dem Erhebungsbericht ergibt sich, dass in Armenien die Injektion oder die Einnahme von gewissen (im Gutachten angeführten) Medikamenten zur Behandlung zur Verfügung stehen würden, jedoch das spezielle Medikament, welches in Österreich zur deutlichen Besserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers geführt habe, nicht erhältlich bzw. bekannt sei.

2.3. Dieses Gutachten wurde dem Beschwerdeführer am zur Kenntnis gebracht, worauf dieser mit Schreiben vom u.a. einen Arztbrief vom vorgelegt hat. Darin verweist der Beschwerdeführer auf seine derzeitige medikamentöse Therapie in Österreich, die zu einer wesentlichen Besserung der Krankheit und Verringerung seiner starken Schmerzen geführt habe. Er habe in Armenien keinen Zugang zu dieser notwendigen Behandlung, auf die er - aufgrund der insuffizienten Therapie mit konventionellen Medikamenten - umgestellt worden sei.

2.4. Trotz dieser Stellungnahme unterlässt es der Asylgerichtshof weitere Ermittlungsschritte zu setzen, um die Frage zu klären, wie der Beschwerdeführer in Armenien dauernde und starke Schmerzen - ohne die Verfügbarkeit des für seine Therapie erforderlichen Medikaments - verhindern könne. Auch der Länderbericht spricht allgemein von einer schlechten medizinischen Grundversorgung in Armenien und von einer problematischen Situation hinsichtlich der Verfügbarkeit von Medikamenten. Das Erkenntnis lässt eine umfassende Auseinandersetzung mit der Gefährdungssituation des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine Gesundheit und eine mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vermissen.

2.5. Aus diesen Gründen fehlt es im Falle des Beschwerdeführers und seines Gesundheitszustandes an notwendigen zusätzlichen Ermittlungen zu entscheidungswesentlichen Sachverhalten hinsichtlich der Refoulementprüfung (vgl. VfSlg. 18.646/2008, 18.860/2009, 18.862/2009).

3. Der Beschwerdeführer ist somit durch die Entscheidung auf Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher, insoweit sie die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien betrifft, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

4.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. mwN). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

4.2. Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).