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VfGH vom 10.06.2011, U375/11 ua

VfGH vom 10.06.2011, U375/11 ua

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags bzw des Antrags auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen bzw keine eigene Begründung in der Entscheidung des Asylgerichtshofes

Spruch

I.1. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit die Beschwerden gegen die vom Bundesasylamt verfügten Ausweisungen abgewiesen werden, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidungen werden insoweit aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit jeweils € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer, drei Geschwister armenischer Staatsangehörigkeit, reisten gemeinsam mit ihrer Mutter am (alle Beschwerdeführer waren zum damaligen Zeitpunkt minderjährig) unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführer machten dabei keine eigenen Fluchtgründe geltend, sondern stützten sich auf das Vorbringen ihrer ebenfalls als Asylwerber im Bundesgebiet aufhältigen Eltern und beantragten insoweit die Gewährung desselben Schutzes.

1.1. Das Bundesasylamt wies die Anträge jeweils mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, erkannte den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies sie gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien aus.

1.2. Die dagegen erhobenen Beschwerden vom hat der Asylgerichtshof mit den angefochtenen Entscheidungen vom gemäß §§3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1 und 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen. In den im Wesentlichen gleich begründeten Erkenntnissen führt der Asylgerichtshof aus, dass die Eltern der Beschwerdeführer ihr Fluchtvorbringen nicht glaubhaft machen hätten können, weshalb auch den Beschwerdeführern kein Asyl zu gewähren sei. Vor dem Hintergrund der Arbeitsfähigkeit der Eltern und deren individueller Situation in Armenien seien keine Umstände ersichtlich, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art 3 EMRK darstellen könnten.

1.3. Hinsichtlich der jeweiligen Ausweisungsentscheidungen hält der Asylgerichtshof fest, dass die Beschwerdeführer mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in Österreich im gemeinsamen Familienverband leben würden. Da jedoch die Asylverfahren sämtlicher Familienmitglieder mit Erkenntnissen vom selben Tag abgeschlossen werden würden und alle von einer Ausweisung nach Armenien betroffen seien, sei kein Eingriff in das jeweilige Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich erkennbar.

2. In der gegen diese Entscheidungen gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und jeweils die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt. Der Beschwerde sind mehrere Unterstützungs- bzw. Empfehlungsschreiben sowie Kursbesuchsbestätigungen, Schulzeugnisse und Einstellungszusagen betreffend die Beschwerdeführer beigelegt.

3. Der Asylgerichtshof hat in den Beschwerdesachen sämtlicher Beschwerdeführer von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Bestätigung der vom Bundesasylamt verfügten Ausweisungen wendet, begründet:

1.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausführte, darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Auszuweisenden verletzt würde. Die Behörde ist, wie in weiteren Erkenntnissen ausgeführt (VfSlg. 18.223/2007; ) stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

1.2. Der Asylgerichtshof geht in den Ausweisungsentscheidungen betreffend die Beschwerdeführer zwar auf die Frage eines allfälligen Eingriffs in ihr Familienleben ein, lässt jedoch ihre in Österreich bestehenden Privatleben vollends außer Acht. Einerseits verabsäumt es der Asylgerichtshof, diesbezügliche Ermittlungen - sei dies im Wege einer mündlichen Verhandlung oder in Form einer Aufforderung zur Stellungnahme zu den persönlichen Lebensumständen der Beschwerdeführer in Österreich - anzustellen, im Zuge derer sich angesichts der der Beschwerde beigelegten Unterstützungsschreiben, Kursbesuchsbestätigungen, Zeugnisse und Einstellungszusagen in die Interessenabwägung einzubeziehende Integrationsaspekte ergeben hätten. Darüber hinaus hat es der Asylgerichtshof überhaupt gänzlich unterlassen, im Lichte des Art 8 Abs 2 EMRK gebotene und auf die zu beurteilenden Einzelfälle bezogene Interessenabwägungen durchzuführen.

1.3. Das Unterlassen jeglicher Interessenabwägung verletzt jedoch - auch wenn vor dem Asylgerichtshof kein Vorbringen hinsichtlich einer Verletzung des Art 8 EMRK durch eine verfügte Ausweisung erstattet wurde - die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK (vgl. zB ; , U847/08).

2. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher, soweit damit die Beschwerden gegen die vom Bundesasylamt verfügten Ausweisungen abgewiesen werden, aufzuheben.

2.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Im vorliegenden Fall wurde eine Beschwerden für drei Beschwerdeführer (sowie deren Eltern) zu drei gleichartigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofs eingebracht. Daher sind jeweils Kosten in der Höhe von € 2.400,- zuzusprechen. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerden (vgl. B.) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den jeweils zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

2.2. Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Abweisungen der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten richtet, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die in Bezug auf die Abweisungen der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisungen der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten richten (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).