VfGH vom 25.06.2010, U355/10

VfGH vom 25.06.2010, U355/10

19130

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Asylantrages mangels eigener Begründung im Urteil des Asylgerichtshofes bzw mangels eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung, insoweit damit die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig befunden wird, in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine am geborene

nigerianische Staatsbürgerin, stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Diesen begründete sie damit, dass ihr Vater Leiter der "Azigidi" gewesen und im Februar 2003 verstorben sei. Die Mitglieder hätten sie sodann zur Vornahme eines Rituals, bei dem sie das Fleisch des Verstorbenen essen und sein Blut trinken hätte sollen, zwingen wollen. Sie habe sich geweigert und habe sodann das Land mit Hilfe eines Pastors verlassen müssen.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997), ab und erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 7 AsylG 1997 und § 8 AsylG 1997 abgewiesen. Im Erkenntnis führt der Asylgerichtshof u.a. an, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei und eine landesweite Verfolgung in Nigeria nicht nachgewiesen werden könne. Es bestünde demnach eine innerstaatliche Fluchtalternative. Den Länderberichten zufolge, der jüngste datierend aus 2007 betreffend die Lage in Nigeria im Jahre 2006, sei im Falle einer Rückkehr keine Gefährdung in den Rechten nach Art 2 oder 3 EMRK zu erwarten. Insbesondere seien junge, auch sozial schwache Frauen in der Lage in Nigeria zu arbeiten.

4. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofs richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Die Beschwerdeführerin macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach Art 3 und 8 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Asylgerichtshof würde gegen das aus ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 erwachsende Willkürverbot verstoßen, wenn er veraltete Länderberichte zur Beurteilung der Lage heranziehen würde.

5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria wendet, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Zwischen der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des Asylgerichtshofs sind fast sieben Jahre vergangen. Die Entscheidung des Asylgerichtshofs ist auf zumindest drei Jahre alte Feststellungen gegründet, die teilweise, so insbesondere das auf Seite 6 des Erkenntnisses angeführte Gutachten eines "Dr. P. G." aus dem Jahr 2006, keine Angabe zu Quelle, Verfasser und Nachvollziehbarkeit beinhalten und auch nicht im Verwaltungs- oder Gerichtsakt aufliegen.

Der Asylgerichtshof hat es verabsäumt, sich in der Verhandlung mit der Frage der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin auseinander zu setzen. Die Feststellungen zur Lage in Nigeria sind insgesamt veraltet. Auf welche aktuellen Länderberichte sich die allgemein gehaltenen Feststellungen zur Lage in Nigeria, insbesondere zu den Erwerbsmöglichkeiten junger Frauen, stützen, die auch auf bereits länger zurück liegende Ereignisse Bezug nehmen, ist nicht ersichtlich. Ermittlungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhalten hinsichtlich der Refoulementprüfung fehlen somit zur Gänze (vgl. ).

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher, insoweit damit die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig befunden wird, aufzuheben. Damit war auf das weitere Beschwerdevorbringen hinsichtlich einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts nach Art 3 EMRK nicht mehr einzugehen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde (vgl. B.) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten (vgl. ).

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Abweisung der Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144a Abs 2 B-VG).

Die Beschwerde behauptet die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art 8 EMRK.

Durch eine den Asylantrag abweisende, nicht aber auch die Ausweisung verfügende Entscheidung kommt eine Verletzung des Art 8 EMRK von vornherein nicht in Betracht.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, mit der die Abweisung der Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.