VfGH vom 03.09.2009, U354/09
Sammlungsnummer
18846
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung eines Asylwerbers infolge fehlerhafter bzw unzureichender Interessenabwägung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria - Spruchpunkt C. der angefochtenen Entscheidung - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.
Die Entscheidung wird, soweit damit die Ausweisung verfügt wird, aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener
Staatsangehöriger Nigerias, reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
2. Nachdem die Zustellung des ersten Bescheides des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) nicht wirksam erfolgte, wies das BAA den Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) ab (Spruchpunkt I.), erklärte gemäß § 8 Abs 1 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus (Spruchpunkt III.).
3. Mit Schreiben vom teilte der Beschwerdeführer dem Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit, dass er Vater eines am geborenen österreichischen Staatsangehörigen sei und die Vaterschaft am anerkannt habe.
4. Die gegen den Bescheid des BAA vom erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wies der AsylGH, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am , mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt A.), stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 zulässig ist (Spruchpunkt B.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus (Spruchpunkt C.).
5. In den Entscheidungsgründen führt der AsylGH im Zusammenhang mit der Ausweisung des Beschwerdeführers sowie seinem Sohn und dessen Mutter aus:
"III. Der Asylgerichtshof hat über die Beschwerde wie folgt erwogen:
...
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer Vater eines am geborenen Sohnes (S D O) ist. Der Beschwerdeführer lebt mit der Mutter des Kindes - einer österreichischen Staatsbürgerin - nicht zusammen und ist nicht verheiratet. Er darf das Kind nur einmal im Monat sehen.
...
C. Gemäß § 8 Abs 2 AsylG hat die Behörde den Bescheid mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag abgewiesen ist und die Überprüfung gem. § 8 Abs 1 AsylG ergeben hat, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist.
Es besteht kein Anhaltspunkt, wonach mit einer Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen würde.
Doch selbst bei Bestehen eines Privat- oder Familienlebens im Bundesgebiet wäre, die Ausweisung im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu ( Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat erkannt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt ( Zl. 2002/18/0190).
Das sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers bloß auf einen ungerechtfertigten Asylantrag stützte, ist bei einer Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der öffentlichen Ordnung letzterer der Vorzug zu geben, sodass selbst bei Bestehen eines Privat- oder Familienlebens im Bundesgebiet die Ausweisung im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
6. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144 B-VG (richtig wohl: Art 144a B-VG) erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und gemäß Art 8 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.
7. Der AsylGH hat die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vorgelegt, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II. Der Verfassungsgerichthof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die vom AsylGH verfügte Ausweisung wendet, begründet:
1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem AsylGH diesbezüglich unterlaufen:
Wie bereits in der zur fremdenrechtlichen Ausweisung ergangenen Judikatur ausgeführt (vgl. VfGH, , B328/07, VfSlg. 18.223/2007 ua.) bezweifelt der Verfassungsgerichtshof nicht, dass die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt wird, auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig ist. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs 2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu. Nichts anderes gilt auch für den Fall einer mit einer Abweisung oder Zurückweisung eines Asylantrags ausgesprochenen Ausweisung eines Asylwerbers.
Wie die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist aber auch der eine Ausweisung aussprechende AsylGH bzw. das BAA stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen.
Dem AsylGH war zum Zeitpunkt der Erlassung seiner Entscheidung bekannt, dass der Beschwerdeführer Vater eines österreichischen Staatsbürgers ist. Er wurde darüber durch Schreiben des Beschwerdeführers in Kenntnis gesetzt und hat diesen Umstand im Zuge einer mündlichen Beschwerdeverhandlung rudimentär behandelt und den Sachverhaltsfeststellungen der Entscheidung zu Grunde gelegt. Dennoch nimmt der AsylGH ausschließliche formelhafte Erwägungen zur Ausweisung vor, denen jeglicher Begründungswert fehlt und geht in den rechtlichen Erwägungen weder auf den Umstand ein, dass der Beschwerdeführer Vater eines Kleinkindes ist, noch, dass dieses Kleinkind und dessen Mutter österreichische Staatsbürger sind. Auch wenn, wie dies auch in der vorliegenden Beschwerde nicht bestritten wird, der Beschwerdeführer nicht mit der Mutter und dem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt lebt, sondern dem Beschwerdeführer lediglich ein Besuchsrecht für den Sohn zukommt, ist dies bei der erforderlichen Interessenabwägung zu berücksichtigen.
3. Der Beschwerdeführer ist somit durch den Spruchpunkt C. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.
Der Spruchpunkt C. der angefochtenen Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Abweisung des Asylantrages sowie die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (Spruchpunkte A. und B.) bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Beschwerde behauptet die Verletzung oben genannter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, insoweit sie die Abweisung des Asylantrages und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung betrifft, abzusehen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten (vgl. ).
Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Fundstelle(n):
AAAAE-28657