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VfGH vom 29.06.2011, U353/11

VfGH vom 29.06.2011, U353/11

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags bzw des Antrags auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen bzw keine eigene Begründung in der Entscheidung des Asylgerichtshofes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Verfahren

1. Der Beschwerdeführer reiste am nach Österreich ein, brachte vor, sudanesischer Staatsbürger zu sein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Dem Verwaltungsakt des Bundesasylamts ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bei seiner ersten Einvernahme angegeben hatte, im Kindesalter während des Krieges im Sudan entführt und als Sklave verkauft worden zu sein.

2. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997) ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 zulässig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom wies der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom als unbegründet ab. Es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen, seine Herkunft aus dem Sudan zu belegen, er komme jedenfalls nicht aus dem Sudan. Aus diesem Grund sei auch sein Fluchtvorbringen unglaubwürdig. Eine Schilderung desselbigen oder eine Abwägung diesbezüglich fehlt dem Erkenntnis jedoch. Ebenso findet sich im Erkenntnis im Rahmen der rechtlichen Beurteilung die Aussage, dass die Krankheit des Beschwerdeführers behandelbar sei und der Beschwerdeführer in seinen Rechten nach Art 3 EMRK nicht verletzt würde. Feststellungen zu Art und Behandlung der Krankheit sind dem Erkenntnis ebenfalls nicht zu entnehmen.

4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gemäß Art 3 und 8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Das Erkenntnis des Asylgerichtshofes sei unschlüssig, der Asylgerichtshof habe Ermittlungstätigkeiten in entscheidungswesentlichen Punkten unterlassen.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).

1.3. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Gemäß dem - aus dem Blickwinkel des Falles verfassungsrechtlich unbedenklichen - § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

2.2. Der Asylgerichtshof ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.

2.3. Bereits aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die zu § 67 iVm § 60 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (zB ; , 99/01/0280; , 98/01/0278; , 98/20/0559; , 2000/20/0356), auf Entscheidungen des Asylgerichtshofes nicht übertragbar ist. Mag eine entsprechende Verweisung auf unterinstanzliche Bescheide in Bescheiden von Berufungsbehörden noch im Interesse der Verfahrensökonomie gelegen sein, so ist diese Begründungstechnik dann nicht mehr hinnehmbar, wenn die verweisende Entscheidung von einem (nicht im Instanzenzug übergeordneten) Gericht erlassen wird, welches überdies seinerseits nicht mehr der Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt.

2.4. In der angefochtenen Entscheidung hat der belangte Asylgerichtshof es verabsäumt, den Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung ausreichend darzustellen. So fehlt jegliche Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Krankheit. Erst in Zusammenschau mit dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich allenfalls dieses Vorbringen.

2.5. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006; 18.632/2008).

2.6. Der Beschwerdeführer ist deshalb durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

III. Ergebnis

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz leg.cit. ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.