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VfGH vom 21.09.2010, U309/10 ua

VfGH vom 21.09.2010, U309/10 ua

19153

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Entscheidungen des Asylgerichtshofes; Willkür durch völliges Außer-Acht-Lassen der Regelung über die Zusammensetzung des erkennenden Senates im Fall einer stattgefundenen mündlichen Verhandlung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.240,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer, ein aus Armenien stammendes Ehepaar

und deren fünf, zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Kinder, brachten am (Erst- bis Sechstbeschwerdeführer) bzw. am (Siebtbeschwerdeführer) Anträge auf internationalen Schutz ein.

2. Die Anträge der Erst- bis Sechstbeschwerdeführer wurden vom Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) mit Bescheiden vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Ausweisung nach Armenien gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig befunden. Der Antrag des Siebtbeschwerdeführers wurde vom BAA mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 "idgF" (im Folgenden: AsylG 2005) abgewiesen (Spruchpunkt I.), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Ausweisung nach Armenien gemäß § 8 AsylG 2005 für zulässig befunden (Spruchpunkt II.) und der Siebtbeschwerdeführer gemäß § 10 AsylG 2005 nach Armenien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

3. Mit den nunmehr angefochtenen Entscheidungen wies der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) die gegen die Bescheide des BAA erhobenen Berufungen (nunmehr: Beschwerden) hinsichtlich der Erst- bis Sechstbeschwerdeführer vollinhaltlich ab. Die gegen den BAA-Bescheid vom erhobene Berufung des Siebtbeschwerdeführers wurde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. abgewiesen, unter einem wurde ihr in Bezug auf die Ausweisungsentscheidung in Spruchpunkt III. Folge gegeben und Spruchpunkt III. ersatzlos behoben.

In der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers führt der AsylGH zur Frage der mündlichen Verhandlung wie folgt aus:

"Angemerkt sei, dass die im Zuge der Beweiswürdigung bezeichnete Verhandlung vom nach der Geschäftsordnung des AsylGH im Jahre 2009 zuständigen Senat durchgeführt wurde, die Zusammensetzung sich jedoch angesichts der neuen Geschäftsordnung geändert hat.

Gemäß § 41 Abs 7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67 d AVG. Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG, dass die dort als Rechtsfolge vorgesehene sinngemäße Anwendung des AVG 1991 unter dem Vorbehalt anderer Regelungsinhalte des B-VG, des AsylG 2005 und des VwGG steht. Derartige ausdrückliche andere Regelungen für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof sind, in den in der Erläuterung laut AB 371 XXIII.GP genannten §§20, 22 und 41 AsylG 2005 enthalten, wohl aber auch in den §§42, 61 und 62 AsylG 2005. Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG somit die Anwendung von Verfahrensbestimmungen für den Asylgerichtshof in allen anhängigen Verfahren einschließlich der gemäß den Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führenden Verfahren, ohne dass es dafür einer Nennung dieser Bestimmungen (auch) im § 75 Abs 1 AsylG 2005 bedürfte. § 41 Abs 7 ist daher im gegenständlichen Verfahren anwendbar.

Gemäß § 41 Abs 7 AsylG hat der Asylgerichtshof § 67d AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur außer Kraft getretenen Regelung des ArtII Abs 2 litD Z 43a EGVG war der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will ( mit Hinweisen auf ; , 2002/20/0336). Gemäß dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung beim Asylgerichtshof unterbleiben, da der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war."

Diese Passage findet sich ebenso in der Entscheidung hinsichtlich der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer, sowie in gekürzter Form in der Entscheidung des Siebtbeschwerdeführers.

4. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die vorliegende Beschwerde nach Art 144a B-VG, in der deren Aufhebung wegen Verletzung der nach Art 2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte sowie des durch ArtI BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und der gesetzlich zustehende Kostenersatz beantragt werden.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verfahrensakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die Abweisung der Beschwerden.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Der AsylGH ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG gemäß § 23 Asylgerichtshofeinrichtungsgesetz, BGBl. I 4/2008 (im Folgenden: AsylGHG) - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der AsylGH nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.

2.2. Die Erkenntnisse des AsylGH stützen sich allesamt in ihren Feststellungen und der jeweiligen Beweiswürdigung auf Erkenntnisse aus der mündlichen Verhandlung vom , die zwar von demselben Senat, jedoch in anderer Zusammensetzung abgehalten worden war. Es findet sich weder in den Verwaltungs- noch in den Gerichtsakten ein Hinweis, dass diese Verhandlung gemäß § 10 AsylGHG vor dem nunmehr entscheidenden Senat wiederholt worden wäre.

2.3. Für das Verfahren vor dem AsylGH bestimmt § 10 AsylGHG:

"§10. (1) Hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, so kann die Entscheidung nur von jenen Richtern des Asylgerichtshofes getroffen werden, die an dieser Verhandlung teilgenommen haben. Wenn sich die Zusammensetzung des Senates oder des Kammersenates geändert hat, ist die Verhandlung zu wiederholen.

..."

Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum der Asylgerichtshof diese klar formulierte Bestimmung trotz ihres eindeutigen Wortlautes ohne jegliche Begründung völlig außer Acht gelassen und stattdessen § 41 Abs 7 AsylG 2005 herangezogen hat. Der Asylgerichtshof hat somit im Sinne der vorhin wiedergegebenen Judikatur willkürlich gehandelt.

Die Beschwerdeführer sind daher in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

3. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§88 iVm 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 700,-- und Umsatzsteuer in der Höhe von € 540,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.