VfGH vom 23.02.2010, U2801/09

VfGH vom 23.02.2010, U2801/09

18998

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Asylantrages mangels eigener Begründung im Urteil des Asylgerichtshofes bzw mangels eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die Entscheidung wird, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, aufgehoben.

3. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 1.962,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener

indischer Staatsbürger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit als Taxifahrer in eine Polizeikontrolle geraten sei im Zuge derer bei seinen Fahrgästen Waffen und Drogen gefunden worden seien. Der Beschwerdeführer habe von diesen aber nichts gewusst, sei aber dennoch verhaftet worden und fortan der permanenten Kontrolle durch die Polizei ausgesetzt gewesen. Dabei sei er immer wieder aufs Revier mitgenommen, angehalten und geschlagen worden. Der Beschwerdeführer fürchtet, im Falle seiner Rückkehr erneuter Verfolgung durch die Polizei ausgesetzt zu sein.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997), ab, erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Indien für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß §§7 AsylG 1997 und § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen wird. Im Erkenntnis führt der Asylgerichtshof u.a. an, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei, eine landesweite Verfolgung in Indien nicht nachgewiesen werden könne. Es bestünde demnach eine innerstaatliche Fluchtalternative. Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung enthält das Erkenntnis neben einer allgemeinen Bezugnahme auf den Bescheid des BAA lediglich eine Darstellung der Rechtslage, Feststellungen zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers fehlen.

4. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofs richtet sich die auf Art 144 B-VG (richtig: Art 144a B-VG), BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach den Art 2, 3, 5, 6, 7 und 8 EMRK und Art 1

6. ZPEMRK sowie nach dem Art 85 B-VG und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die vom BAA verfügte Ausweisung wendet, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Gemäß dem - aus dem Blickwinkel des Falles verfassungsrechtlich unbedenklichen - § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Der Asylgerichtshof ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.

Bereits aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die zu § 67 iVm § 60 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (zB ; , 99/01/0280; , 98/01/0278; , 98/20/0559; , 2000/20/0356), auf Entscheidungen des Asylgerichtshofes nicht übertragbar ist.

Mag eine entsprechende Verweisung auf unterinstanzliche Bescheide in Bescheiden von Berufungsbehörden noch im Interesse der Verfahrensökonomie gelegen sein, so ist diese Begründungstechnik dann nicht mehr hinnehmbar, wenn die verweisende Entscheidung von einem (nicht im Instanzenzug übergeordneten) Gericht erlassen wird, welches überdies seinerseits nicht mehr der Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt.

Es widerspricht auch grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006; ).

2.2. Das Erkenntnis des Asylgerichtshofes enthält keine wie auch immer gearteten Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers. Diese wären aber notwendig gewesen, um die vom BAA verfügte und durch den Asylgerichtshof nunmehr bestätigte Ausweisung im Zuge der Interessenabwägung am Maßstab des Art 8 EMRK messen zu können. Schließlich datierten sowohl der bekämpfte Bescheid als auch die Berufung dagegen aus dem Jahr 2004. Somit waren fünf Jahre bis zur Entscheidung durch den Asylgerichtshof vergangen, in denen durchaus ein zu berücksichtigendes Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers hätte entstehen können.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt und die mangelnde Begründung führen dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die vom BAA verfügte Ausweisung abgewiesen wird, aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde (vgl. B.) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- enthalten (vgl. ).

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Abweisung der Beschwerde an den Asylerichtshof gegen die Abweisung des Asylantrages sowie die Zulässigkeitsentscheidung hinsichtlich der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde behauptet weiters die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art 2, 3, 5, 6, 7, 8 EMRK und Art 1 6. ZPEMRK sowie nach Art 85 B-VG.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte [s. etwa EGMR , Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 (319); , Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 (309); , Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 (436 f.)] davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Der Asylgerichtshof hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg. 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005 sowie ). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Soweit die Beschwerde unter Bezugnahme auf die weiteren, oben bezeichneten Rechte verfassungsrechtlich relevante Fragen aufwirft, lässt auch dieses Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diesen Rechten die behaupteten Rechtsverletzungen als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Im Übrigen ist das Asylverfahren nicht von Art 6 EMRK erfasst (vgl. VfSlg. 13.831/1994).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, insoweit sie die Abweisung des Asylantrages und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung betrifft, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).