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VfGH vom 03.05.2011, U2795/10

VfGH vom 03.05.2011, U2795/10

19374

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes; Gleichsetzung eines über den Beschwerdeführer verhängten Aufenthaltsverbotes mit dem Kriterium einer aufrechten Ausweisung nicht (näher) begründet

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte am nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002, abgewiesen und unter einem die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997), für zulässig erklärt. Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs dieser Bescheid in Rechtskraft.

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom wurde gegen den Beschwerdeführer aus Anlass einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ein Aufenthaltsverbot erlassen, welches am außer Kraft tritt.

3. Nach seiner Rücküberstellung aus Tschechien im Juli 2010 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Strafhaft am einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, im März 2008 während eines Freigangs nach Tschechien geflohen zu sein und dort im Jahre 2009 einen Asylantrag gestellt zu haben. Nunmehr fürchte er, nach seiner Entlassung aus der Justizanstalt nach Algerien abgeschoben zu werden. Er habe im Jahre 1996 an der Verhaftung mehrerer Terroristen mitgewirkt, weshalb ihm die Gefahr drohe, aus Rache getötet zu werden. Der Beschwerdeführer habe aus einem Telefonat im Jahre 2008 erfahren, dass sich die Lage in Algerien maßgeblich verschlechtert habe.

Am wurde im Rahmen einer Einvernahme mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesasylamtes der faktische Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12a Abs 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG 2005), aufgehoben.

4. Mit Beschluss vom bestätigte der belangte Asylgerichtshof die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß §§12a Abs 2 Z 1, 2 und 3 iVm 41a AsylG 2005. Der Asylgerichtshof stellte fest, dass im Falle des Beschwerdeführers kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliege, weil die vorgebrachten Probleme mit algerischen Terroristen bereits vor der Ausreise aus seinem Herkunftsland bestanden hätten. Auch seien im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die eine Verletzung von Art 3 EMRK im Falle der Rückverbringung des Beschwerdeführers nach Algerien wahrscheinlich machen würden. Da er sich von seiner österreichischen Ehegattin im Jahr 2005 habe scheiden lassen und auch sonst keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet bestünden, sei auch keine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers nach Art 8 EMRK ersichtlich. Betreffend die in § 12a Abs 2 Z 1 AsylG 2005 normierte Voraussetzung des Vorliegens einer aufrechten Ausweisung zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes hielt der Asylgerichtshof Folgendes fest:

„2.1. aufrechte Ausweisung

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2009 (330 BlgNR 24. GP) verweisen zu § 12 a Abs 2 AsylG 2005 auf jene zu § 12 a Abs 1 AsylG 2005, wo es heißt:

‚Gemäß Z 1 muss gegen den Fremden eine aufrechte Ausweisung bestehen. Dabei ist es unbeachtlich, ob es sich um eine Ausweisung nach dem AsylG 2005 oder früheren asylrechtlichen Bestimmungen handelt. Auch eine Ausweisung, die gemäß den fremdenpolizeilichen oder früheren fremdenrechtlichen Bestimmungen (insbesondere Fremdengesetz 1997) erlassen wurde, kommt dafür in Betracht. Eine aufrechte Ausweisung besteht jedenfalls dann, wenn der Fremde seit der Ausweisungsentscheidung das Bundesgebiet nicht verlassen hat, die Ausweisung also nicht konsumiert wurde; eine Ausweisung gemäß § 10 iVm der vorgeschlagenen Bestimmung des neuen Abs 6, aber auch dann, wenn der Fremde zwischenzeitlich ausgereist ist und zwar 18 Monate ab dieser Ausreise. Dies gilt auch für Ausweisungen, die vor In-Kraft-Treten dieser Bestimmung erlassen wurden. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Ausreise freiwillig erfolgte oder zwangsweise durchgesetzt wurde (siehe dazu auch § 10 Abs 6).’

Im vorliegenden Fall liegt gegen den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot vor, das von der Bundespolizeidirektion Graz mit Bescheid vom , GZ IV-1014371/FR/05, ausgesprochen wurde und am außer Kraft tritt. Dieses ist einer aufrechten Ausweisung gleichzusetzen.“

5. Gegen diesen Beschluss des Asylgerichtshofes richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art 3 und 6 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

6. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründung:swert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

3. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

3.1. Gemäß der vom Verfassungsgerichtshof für unbedenklich befundenen Norm des § 12a Abs 2 AsylG 2005 (vgl. zu § 12a Abs 2 in seiner Gesamtheit ) kann das Bundesasylamt den faktischen Abschiebeschutz eines Asylwerbers dann aufheben, wenn

„1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“

Gemäß § 41a AsylG 2005 hat der Asylgerichtshof eine Entscheidung des Bundesasylamtes über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes von Amts wegen unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen und über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu entscheiden (§41a Abs 3 leg.cit.).

3.2. Gegenüber dem Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftiger Entscheidung des Bundesasylamtes zu seinem ersten Asylantrag keine asylrechtliche Ausweisung ausgesprochen. Eine Verpflichtung, das Bundesgebiet zu verlassen, erwuchs ihm hingegen durch den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom , mit welchem gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen wurde, das am außer Kraft tritt (zur - nicht zielstaatsbezogenen - Ausreiseverpflichtung aufgrund eines Aufenthaltsverbots s. ; , 2006/18/0438). In der angefochtenen Entscheidung wurde dieses Aufenthaltsverbot herangezogen, um die in § 12a Abs 2 Z 1 AsylG 2005 normierte Voraussetzung für eine Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes - nämlich das Vorliegen einer aufrechten Ausweisung - als gegeben zu erachten.

Wie unter Pkt. I.4. dargelegt, zitiert der Asylgerichtshof dabei jedoch lediglich die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2009. Diesen zufolge komme für das Kriterium einer aufrechten Ausweisung zwar - neben einer asylrechtlichen Ausweisung - auch eine Ausweisung, die gemäß den fremdenpolizeilichen bzw. früheren fremdenpolizeilichen Bestimmungen (insbesondere Fremdengesetz 1997) erlassen wurde, in Betracht. Allerdings bestehe eine aufrechte Ausweisung jedenfalls dann, wenn der Fremde seit der Ausweisungsentscheidung das Bundesgebiet nicht verlassen hat und die Ausweisung somit nicht konsumiert wurde. Nach § 10 Abs 6 AsylG 2005 verfügte Ausweisungen blieben hingegen 18 Monate ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gelte auch für Ausweisungen, die vor In-Kraft-Treten dieser Bestimmung erlassen wurden, wobei es unbeachtlich sei, ob die Ausreise freiwillig erfolgte oder zwangsweise durchgesetzt wurde.

3.3. Im gegenständlichen Fall liegt jedoch keine der in der Regierungsvorlage genannten Fallkonstellationen vor. So wurde eine asylrechtliche Ausreiseverpflichtung gegenüber dem Beschwerdeführer nie ausgesprochen. Soweit der Asylgerichtshof die dem Aufenthaltsverbot inhärente Ausweisung als aufrechte Ausweisung im Sinne des § 12a Abs 2 Z 1 AsylG 2005 erachtet, lässt er den Umstand unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer nach Verhängung des Aufenthaltsverbotes nach Tschechien ausreiste. Auf die Frage, inwiefern er damit der fremdenpolizeilichen Ausweisung nachgekommen ist, wird in der bekämpften Entscheidung nicht eingegangen. Überhaupt begnügt sich der Asylgerichtshof unter Verweis auf die Materialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 mit der pauschalen Aussage, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot „einer aufrechten Ausweisung gleichzusetzen“ sei, ohne dies auch nur irgendwie näher zu begründen.

Da dem angefochtenen Beschluss insofern ein wesentliches Begründungselement fehlt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.