VfGH vom 22.02.2013, U2756/12

VfGH vom 22.02.2013, U2756/12

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine willkürliche Entscheidung des Asylgerichtshofes; keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen, insbesondere hinsichtlich der behaupteten anhaltenden Ausübung des christlichen Glaubens infolge Annahme einer Scheinkonversion eines iranischen Staatsangehörigen zum Christentum

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Ent scheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerde führer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozess kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am darauf folgenden Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, dass er wegen der Teilnahme an Demonstrationen verfolgt werde.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs 1 und § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran ausgewiesen. Im Verfahren vor dem Asylgerichtshof über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde brachte der Beschwerdeführer am eine Stellungnahme ein, in der er sein Vorbringen dahingehend erweiterte, dass sein Vater ein Moslem, seine Mutter jedoch eine Jüdin sei und letztere deshalb diskriminiert worden sei. Als der Beschwerdeführer älter geworden sei, habe er sich entschlossen, über die Religionen und die islamische Regierung nachzudenken. Er habe viele Bücher gelesen, den Koran und die Scharia studiert und eine kritische Einstellung gegenüber dem Islam und seinen Gesetzen entwickelt. Mit 27 Jahren habe er begonnen, gegen das System und den Islam zu propagieren. Er habe mit Menschen geredet und sie über die islamische Verfassung aufgeklärt, sein Wissen auf Papier gebracht und verbreitet. Vor den Wahlen habe er sich der "Grünen Bewegung" angeschlossen und gegen die islamische Republik demonstriert. Die Regierung sei dagegen gewaltsam vorgegangen.

Am langte eine weitere Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der dieser u.a. angab, am in einer näher bezeichneten Pfarre römisch-katholisch getauft und gefirmt worden zu sein; unter einem wurde ein Taufschein übermittelt. Mit weiteren Eingaben übermittelte der Beschwerdeführer Referenzen des zuständigen Pfarrers sowie eines Mitgliedes der Pfarre. In dem als "pfarrliche Referenz" bezeichneten Schreiben vom führt der Pfarrer der Taufpfarre u.a. aus:

"Ich habe [den Beschwerdeführer] am 10. April dJ getauft. Wenn bei uns eine Erwachsenen-Taufe erfolgt, dann geschieht dies immer in genauer Prüfung der persönlichen Situation. […]

[A]ls Flüchtling suchte er sofort Kontakt mit unserer Kirche vor Ort. Seine Taufpaten […] sind beide Mitglieder des inneren Kreises in der Pfarre und beide begleiteten ihn ein Jahr in der Vorbereitung. Er ist nach wie vor ein Dauergast bei unseren Gottesdiensten und arbeitet bei uns in der Pfarre bei den Festen mit. Ich bin davon überzeugt, dass seine Konversion echt ist und für ihn auch den Beginn eines neuen Lebens markiert."

Am führte der Asylgerichtshof eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer u.a. zu seiner Konversion zum Christentum befragt wurde und mehrere Fragen zu Inhalten und Riten des christlichen Glaubens beantwortete.

3. Mit Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die Beschwerde des Beschwerdeführers gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Verfolgungsvorbringen unglaubwürdig und auf ein gefälschtes Bescheinigungsmittel gestützt worden sei. Der Beschwerdeführer sei persönlich unglaubwürdig; sowohl die Taufvorbereitung als auch die Taufe selbst seien unter dem Blickwinkel zu sehen, dass der Beschwerdeführer eindeutig die Anerkennung als Flüchtling mit unlauteren Mitteln verfolge. Insbesondere führt der Asylgerichtshof diesbezüglich aus:

"Seine behauptete Hinwendung zum Christentum ist nicht von Ernsthaftigkeit und innerer Überzeugung getragen. Der BF hat im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht geltend gemacht, sich zum Christentum hingezogen zu fühlen und zu christlichen Kirchen Kontakt aufgenommen zu haben. Erst als das Beschwerdeverfahren schon bereits fast ein Jahr beim Asylgerichtshof anhängig war, wurde in einer Beschwerdeergänzung vom Mai 2011 […] erstmals von dem inzwischen von der Caritas vertretenen BF ein römisch-katholischer Taufschein übermittelt und darauf hingewiesen, dass der BF nunmehr zum Christentum konvertiert sei. Im Falle der Rückkehr in den Iran würde er mit Verfolgung und schweren Repressionen zu rechnen haben. Der Pfarrer von […] stellte dem BF ein[e] 'pfarrliche Referenz' aus […], wonach der BF als 'Flüchtling' sofort Kontakt mit der dortigen Kirche aufgenommen hätte, ein Jahr lang von engeren Pfarrmitarbeitern vorbereitet und am getauft worden wäre. Der BF sei nach wie vor 'Dauergast' bei den Gottesdiensten und arbeite bei den Pfarrfesten mit. Der Pfarrer sei davon überzeugt, dass seine Konversion echt sei. Ebenso wurde für den BF von einem der genannten Pfarrmitarbeiter und Taufpaten des BF ein Unterstützungsschreiben übermittelt […].

In der Beschwerdeverhandlung gab der BF an, dass er schon sehr früh nach seiner Ankunft in Österreich mit Hilfe von 2 Landsleuten in der Kirche vorgestellt worden war und seither regelmäßig an Sonntagen die Gottesdienste besuche. Er gab auch an, bereits im Iran ab und zu (armenische) Kirchen besucht zu haben. Dies alles hat der BF aber erst anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung dargelegt, im erstinstanzlichen Verfahren aber mit keinem Wort erwähnt. E[s] ergibt sich somit Grund zur Annahme, dass der BF eine Konversion zum Christentum aus taktischen Gründen in das Asylverfahren einbrachte und er in Wahrheit eine Konversion nur zum Schein durchführte. Dazu hat er sich auch gut in die Materie eingelesen, so dass er Fragen zum Christentum im Wesentlichen richtig beantworten konnte.

Der Kontakt mit dem Christentum ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Senates bloß aus der spezifischen sozialen Situation des BF als Asylwerber heraus, da er stets von kirchennahen Menschen und Organisationen betreut wurde und infolge dessen leichten Zugang zu kirchlichen Institutionen und Mitarbeitern hatte. Eine überzeugende Konversion hat jedoch nicht stattgefunden, da der BF in diesem Fall von vornherein seinen Antrag auf internationalen Schutz darauf gestützt oder zumindest schon im erstinstanzlichen Verfahren erwähnt hätte, dass er sich mit dem Christentum beschäftigt. Da er dies bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorbringen hätte können[,] aber davon nichts erwähnte, sondern mehr als 8 Monate verstreichen ließ, um sich im Asylverfahren erstmals auf den Glaubenswechsel zu berufen, erweist sich der BF einmal mehr als persönlich unglaubwürdig und kann von einem dauerhaft angelegten und von tiefer Überzeugung getragenen Glaubenswechsel nicht gesprochen werden. Von einem Asylwerber mit ernsthaften Absichten ist zu erwarten, dass er solche wichtigen Umstände in seinem Asylverfahren möglichst frühzeitig vorbringt. Der BF wurde zu Beginn seiner ersten asylbehördlichen Einvernahme eindringlich auf die Bedeutung seiner Mitwirkungspflicht und auf die Folgen hingewiesen, falls er dieser nur unzureichend nachkommt. Er kann daher im gegenständlichen Fall nicht mit Erfolg einwenden, davon keine Kenntnis gehabt zu haben. Es liegt nach Ansicht des erkennenden Senates eine 'Scheinkonversion' vor."

4. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144a B VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Begründend wird u.a. ausgeführt, dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum von Zeugen, welche keine Eigeninteressen im Asylverfahren verfolgten – nämlich vom Pfarrer sowie den Taufpaten – bestätigt worden sei. Der Asylgerichtshof habe in der angefochtenen Entscheidung selbst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die in der Verhandlung gestellten Fragen zum Christentum im Wesentlichen beantwortet habe. In der Folge habe er jedoch seine Annahme einer Scheinkonversion ausschließlich auf den Umstand gestützt, dass der Beschwerdeführer den Übertritt zum Christentum nicht sogleich gegenüber den Asylinstanzen angegeben habe, sondern erst im weiteren Verlauf des Verfahrens. Dies stelle eine bloße Mutmaßung dar, der in Anbetracht der aktenkundigen Unterlagen – deren Inhalt vom Asylgerichtshof keiner näheren Überprüfung unterzogen worden sei – kein Begründungswert zukomme.

5. Der belangte Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sach lichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkenn bar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. ge währleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Dis kriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Ver fassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Er mittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unter lassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem belangten Asylgerichtshof im Zusammenhang mit der Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Asylgrundes unterlaufen:

Im vorliegenden Fall stützt der Asylgerichtshof seine Annahme, dass es sich um eine Scheinkonversion handle, ausschließlich auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer das diesbezügliche Vorbringen nicht zu einem früheren Zeitpunkt erstattet hat, ohne zu prüfen, ob damit allenfalls ein subjektiver Nachfluchtgrund geltend gemacht wurde, zumal asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten des Fremden beruhen kann, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat. Die Kenntnisse des Beschwerdeführers zum Christentum führt er darauf zurück, dass dieser sich "gut in die Materie eingelesen [hat], so dass er Fragen zum Christentum im Wesentlichen richtig beantworten konnte". Der Asylgerichtshof hat es jedoch unterlassen, sich mit den Inhalten der im Verfahren vorgelegten Referenzschreiben – insbesondere mit dem Schreiben des Pfarrers vom , in dem dieser ausführt, dass der Beschwerdeführer "sofort" Kontakt mit der Pfarre aufgenommen habe und auch nach seiner Taufe am "Dauergast" bei den Gottesdiensten sei und bei Pfarrfesten mitarbeite – auseinanderzusetzen und darzulegen, warum er dem Vorbringen, dass der Beschwerdeführer an der Ausübung des christlichen Glaubens tatsächlich regelmäßig und über einen längeren Zeitraum teilnehme, nicht folgt (vgl. auch VfSlg 11.484/1987, 12.426/1990 mwH) oder warum dieser Tatsache allenfalls keine Relevanz für die Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung droht, zukommt. Eine solche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Ausübung des christlichen Glaubens wäre aber jedenfalls erforderlich gewesen, zumal aus den vom Asylgerichtshof getroffenen Länderfeststellungen hervorgeht, dass Konvertiten im Iran Verfolgung und Bestrafung bis hin zur Todesstrafe drohen und dieses Vorbringen daher als Kernbestandteil des Fluchtvorbringens möglicherweise einen subjektiven Nachfluchtgrund (§3 Abs 2 AsylG 2005) darstellt.

3. Der Asylgerichtshof hat, indem er seine Annahme einer Scheinkonversion ausschließlich auf den Zeitpunkt des erstmaligen Vorbringens zur Konversion stützt und nicht näher auf die behauptete und durch schriftliche Bestätigungen bescheinigte anhaltende Ausübung des christlichen Glaubens durch den Beschwerdeführer eingegangen ist, seine Entscheidung mit Willkür behaftet (vgl. ).

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.