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VfGH vom 06.06.2014, U2643/2013

VfGH vom 06.06.2014, U2643/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan mangels ausreichender Feststellungen zur Lage in der Heimatprovinz Paktia bzw zur "Ausweichmöglichkeit" Kabul

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan und seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856, bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er stammt aus der Provinz Paktia. Am stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I 100, idF BGBl I 87/2012, (im Folgenden: AsylG 2005) (Spruchpunkt I) und bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 leg.cit. (Spruchpunkt II) abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III).

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Begründend führte der Asylgerichtshof aus:

3.1. Der Beschwerdeführer sei afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams. Er sei verheiratet, Vater von drei Kindern, zudem gebe es noch zwei Neffen, deren Eltern verstorben seien. Die Mutter, die Ehefrau, die Kinder und die beiden Neffen des Beschwerdeführers würden nach wie vor in Afghanistan leben. Er sei ausgebildeter Kfz-Mechaniker und verfüge über eine langjährige Arbeitserfahrung.

Als fluchtauslösendes Ereignis habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er "Vertreter eines Stammesrates der Zazai" gewesen sei, die durch die Amerikaner gefördert wurden. Auf Grund der Tätigkeit im Stammesrat sei es zu Problemen mit den Taliban gekommen. Der Beschwerdeführer sei drei Mal schriftlich bedroht und drei Mitarbeiter seien bereits getötet worden. Auch sei ein Angriff auf ihn und den Leiter des Projekts ***** **** ***** verübt worden. Aus Angst um sein Leben sei er dann geflohen.

3.2. Zur Lage im Herkunftsstaat trifft der Asylgerichtshof auszugsweise folgende Feststellungen:

"Grundversorgung:

Staatliche soziale Sicherungssysteme wie Renten- und Arbeitslosenversicherung existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist von einer hohen Arbeitslosenquote geprägt, wobei gleichzeitig eine große Nachfrage nach Facharbeitern besteht. Die Verdienstmöglichkeiten sind jedoch in Relation zu den Lebenshaltungskosten niedrig. Die boomende Bauwirtschaft schafft zwar sehr viel mehr Arbeitsplätze, aber es fehlen qualifizierte Arbeitskräfte. Gesucht sind Handwerker und Personen mit Englisch-Office- und Internetkenntnissen für Verwaltung und Dienstleistung. Eine Jobvermittlung läuft vor allem über private oder familiäre Netzwerke. Im öffentlichen Dienst wurde 2009 eine Reform beschlossen, um die Leistungsfähigkeit zu steigern und die Korruption zu bekämpfen. Staatsbedienstete werden besser ausgebildet und legen eine Prüfung ab. Vor allem junge Leute verdienen heute im öffentlichen Sektor mehr als früher. (Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage, vom , S. 27)

Die Arbeitslosenrate in Afghanistan beträgt rund 40 Prozent. Durch die steigende Zahl von Binnenvertriebenen sowie zunehmend stattfindender, wirtschaftlich bedingter Migration aus anderen Landesteilen hat sich die Situation am Arbeitsmarkt weiter verschärft. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Im Dienstleistungsbereich sind etwa 14% und in der Industrie 6% beschäftigt. Häufig ausgeübte Tätigkeiten für Männer in Afghanistan sind ungelernte Arbeiter, Tätigkeiten im öffentlichen Sektor, Ladenbesitzer, Schneider, Fahrer, Lehrer. Typische Tätigkeiten für Frauen sind Schneiderin, Köchin, Haushaltshilfe, Teppichweberin, Stickerin, Lehrerin. Hauptbereiche für wirtschaftliche Tätigkeit sind der Handel (Markt- und Basarstrukturen). Das Handwerk/Kleinindustrie (Baugewerbe, Textil, Möbel, Teppiche, Seife, Schuhe, Lebensmittel, Kunstdünger, Kohle, Kupfer). Der Dienstleistungsbereich (Telekommunikation, Banken, Fahrzeugreparatur), sowie der Öffentliche und der Nichtregierungsorganisationssektor zählen ebenfalls zu den Hauptbereichen wirtschaftlicher Tätigkeiten. Wachsende Branchen sind die Bauwirtschaft, Telekommunikationsindustrie, Dienstleistungssektor. Eine große Nachfrage nach Facharbeitern besteht im Fachbereich des Baugewerbes, Verwaltung und Dienstleistungssektor. Die Einkommensstruktur (monatlich) stellt sich so dar, dass Landarbeiter 50 100 US Dollar verdienen. Landwirte etwa 100 300 US Dollar, Ungelernte Hilfskräfte verdienen 80 150 US Dollar. Facharbeiter im staatlichen Bereich 80 150 US Dollar und Facharbeiter im privaten Bereich 200 300 US Dollar. Ein Arzt beziehungsweise Ingenieure verdienen im staatlichen Sektor 80 150 US Dollar. Je nach Einsatzort im privaten Bereich 1.500 US Dollar. Ladenbesitzer und Händler kommen auf 150 250 US Dollar. Ein Fahrer hat etwa 80 150 US Dollar. Im öffentlichen Dienst ist ein Verdienst zwischen 50 200 US Dollar zu erwarten. Nach der Reform im öffentliche Dienst zwischen 200 300 US Dollar. Bei einer internationalen Organisation zwischen 300 2.500 US Dollar (nach oben offen). In diesem Bereich und im Bereich von internationalen Hilfsorganisationen gibt es tendenziell einen Überhang an Arbeitskräften.

[…]

Rückkehrfragen:

Freiwillig zurückkehrende Afghanen kamen in den ersten Jahren meist bei Familienangehörigen unter, was die in der Regel nur sehr knapp vorhandenen Ressourcen (Wohnraum, Versorgung) noch weiter strapazierte. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfügt aber nicht mehr über diese Anschlussmöglichkeiten. (Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage, vom , S. 28)

Ob ein Schutz in Kabul für Personen aus einer Konfliktregion gegeben ist, hängt sehr von der schwere des Konflikts ab, ob sie oder er in Kabul weiter verfolgt wird. Aufgrund der Stammesgesellschaft mit nahen Familiennetzen ist es kein Problem jemanden zu finden, wenn man es wirklich will. Auch den nationalen Behörden ist es möglich in Kabul Personen ausfindig zu machen. Die Problematik die sich jedoch dabei stellt, ist dass es in Afghanistan keine Registrierung der Adresse gibt.

(Danish Immigration Service, Report from Danish Immigration Service´s fact finding mission to Kabul, vom )

[…]

Sicherheitslage:

Nach stetigen Verschlechterungen seit 2006 ging die Zahl der Angriffe und Gefechte im Jahr 2011 in ganz Afghanistan insgesamt zurück. Dass die Zahl der zivilen Opfer 2011 insgesamt zugenommen hat, ist in erster Linie der Anschläge regierungsfeindlicher Kräfte geschuldet. Etwa 80% der zivilen Opfer des bewaffneten Konflikts werden durch sie verursacht. Bei den Angriffen der Aufständischen handelt es sich um direkten und indirekten Beschuss, Hinterhalte, Überfälle, Entführungen, gezielte Tötungen, Selbstmordanschläge oder Sprengfallen an Straßen. (Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom , S. 4)

Die Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle nahm in Afghanistan zwischen Jänner 2012 und Juni 2013 leicht ab und setzte somit den letztjährigen Trend fort. In den Herbst- und Wintermonaten war eine weitere wetterbedingte Abschwächung der Kampfhandlungen zu beobachten. Die Führungs- und Operationsfähigkeit der Insurgenz konnte weiter geschwächt werden. Gleichzeitig wurde die Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch afghanische Sicherheitskräfte im Rahmen der Transition auf 80% der Landesfläche ausgedehnt. Bis Ende 2014 werden die internationalen Kampftruppen Afghanistan verlassen haben. (Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom , S. 4)

Präsident Karzais Regierung übt nicht die volle Kontrolle über das gesamte Land aus. Vor allem nicht außerhalb Kabuls und den großen Provinzstädten.

In der Provinz Paktia haben sich die Attacken und Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen im Jahr 2012 verglichen mit 2011 um 54% verringert. Durchschnittlich kam es im 4. Quartal 2012 in der Provinz Paktia täglich zu 1 2 Anschlägen und Angriffen durch regierungsfeindliche Gruppen. (Quelle: ANSO 4. Quartalsbericht 2012, vom S. 16;)

Im 1. Quartal 2013 kam es zu einer 50%igen Steigerung von Attacken und Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen verglichen mit dem 1. Quartal 2012.

(Quelle: ANSO 1. Quartalsbericht 2013, vom , S. 10)"

3.3. Der Asylgerichtshof führt in seiner Entscheidung aus, dass dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers die persönliche Glaubwürdigkeit fehle. Er habe eine konkrete Bedrohungssituation durch seine vagen und widersprüchlichen Angaben nicht glaubhaft machen können, weil sich aus seinem Vorbringen mehrere Ungereimtheiten ergeben hätten, sodass davon auszugehen sei, dass er nicht bei der Wahrheit geblieben sei. Es sei in Bezug auf die chronologische Abfolge der behaupteten Ereignisse zu Widersprüchen gekommen, sodass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. Der Asylgerichtshof führt zum Spruchpunkt I (Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten) des angefochtenen Bescheides des Bundesasylamtes zudem Folgendes aus:

"Selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer mit Schwierigkeiten hinsichtlich der Erreichbarkeit seines Heimatortes konfrontiert sein sollte, besteht für ihn daher jedenfalls eine Ausweichmöglichkeit nach Kabul, und ist ihm eine solche auch zumutbar. Der Beschwerdeführer ist trotz der vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen – es handelt sich lediglich um Kopfschmerzen, die medikamentös behandelbar sind – grundsätzlich arbeitsfähig. Er verfügt über Schulbildung und eine qualifizierte Ausbildung als Kfz-Mechaniker sowie über langjährige Arbeitserfahrung in diesem Bereich, weshalb angenommen werden darf, dass er seine Kenntnisse am Arbeitsmarkt in Kabul nutzen kann und sich eine Lebensgrundlage erwirtschaften kann. Die Sicherung seiner Grundbedürfnisse wie Wohnraum, Nahrung und medizinische Versorgung in Kabul wird ihm auch dadurch erleichtert, dass der Beschwerdeführer mit seiner Familie, die nach wie vor in der Provinz Paktia lebt, in Kontakt steht, sodass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Familie ihm Unterstützung zukommen lassen kann. Die Familie hat seinen Angaben nach keine finanziellen Schwierigkeiten und lebt von Ersparnissen sowie von den Erträgen, die durch die Bewirtschaftung ihrer Grundstücke eingenommen werden. Es ist zu erwarten, dass der vorhandene Grundbesitz auch in Zukunft entsprechende Erträge abwerfen wird. Auch wenn der Beschwerdeführer gegebenenfalls bei der Erreichbarkeit seines Heimatortes mit Schwierigkeiten konfrontiert sein sollte, darf davon ausgegangen werden, dass ihn in Kabul durch das grundsätzlich funktionierende Bankwesen Zuwendungen seiner Angehörigen erreichen können. Es ist dem Beschwerdeführer somit möglich und zumutbar […], seinen Aufenthalt in Kabul zu nehmen, da entsprechende finanzielle Ressourcen seitens der Familie des Beschwerdeführers gegeben sind, die dem Beschwerdeführer auch in Hinkunft ein Auskommen in Kabul ermöglichen sollten.

Insgesamt betrachtet ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in Kabul nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt wäre und ihm ein Ausweichen nach Kabul durchwegs zumutbar ist.

Auch in der Rechtsprechung des EGMR wird etwa im Urteil vom im Fall N. gegen Schweden – im Rahmen der Prüfung einer möglichen Verletzung von Artikel 3 EMRK durch die Abschiebung einer Frau nach Afghanistan – festgehalten, dass der Gerichtshof trotz Kenntnis der Berichte über ernsthafte Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, diese an sich nicht für ausreichend hält, um zu zeigen, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerin in dieses Land eine Verletzung der Konvention zur Folge hätte. Aus diesem Grunde müsse der Gerichtshof unter Beachtung der persönlichen Situation der Beschwerdeführerin klären, ob ein solches Vorgehen Artikel 3 EMRK zuwiderlaufen würde. Er habe dazu die vorhersehbaren Konsequenzen einzuschätzen, die sich für die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan ergeben würden (EGMR , N. gg. Schweden, Zl. 23.505/09, Rz. 52; aufgrund der besonderen Umstände dieses Falles gelangte der Gerichtshof letztlich zu dem Schluss, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin eine Verletzung von Artikel 3 EMRK begründen würde). […]"

3.4. Die abweisende Entscheidung betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) begründet der Asylgerichtshof vor allem damit, dass für den Beschwerdeführer jedenfalls eine Ausweichmöglichkeit nach Kabul bestehe, wo eine ausreichend wahrscheinliche Gefährdung des Beschwerdeführers nicht angenommen werden könne, und verweist auf die im Spruchpunkt I getroffenen Ausführungen. Betreffend den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers führt der Asylgerichtshof aus, dass darin ebenfalls kein Abschiebungshindernis erkannt werden könne, zumal der Beschwerdeführer lediglich unter Kopfschmerzen leide, die medikamentös behandelbar seien. Die Krankheiten des Beschwerdeführers erreichten nicht eine derartige Schwere, dass davon ausgegangen werden müsste, er geriete im Falle einer Rückkehr in seine Heimat in eine lebensbedrohliche Notlage.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2, 3 und 8 EMRK sowie im durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt wird.

Begründend wird unter anderem ausgeführt, dass es sich bei den vom Asylgerichtshof ins Treffen geführten Widersprüchen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers um keine tatsächlichen Widersprüche handle. Der Asylgerichtshof hätte auf Grund der Aussagen des Beschwerdeführers zum Ergebnis gelangen müssen, dass der Beschwerdeführer stark traumatisiert sei und die angeblich widersprüchlichen Angaben auf die aus einer Kopfverletzung resultierenden Gedächtnisschwierigkeiten zurückzuführen seien. Der Asylgerichtshof hätte erkennen müssen, dass der Beschwerdeführer unter einer psychischen Erkrankung leide; es hätte daher ein Gutachten aus dem Fachbereich Psychiatrie eingeholt werden müssen. Weiters habe es der Asylgerichtshof unterlassen, "Feststellungen – allenfalls durch Erkundigungen vor Ort – zur Situation in Paktia zu treffen, die eine Beurteilung ermöglichen, ob dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in die Provinz Paktia möglich und zumutbar ist. Der Asylgerichtshof hat sich auch nicht damit auseinander gesetzt, ob dem Beschwerdeführer in Kabul eine Unterkunft zur Verfügung steht bzw. dass dem Beschwerdeführer in Kabul kein soziales Netzwerk zur Verfügung steht. Selbst nach den vom Asylgerichtshof in der angefochtenen Entscheidung zitierten Quellen ist es wahrscheinlich und möglich, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit für die 'Volksvereinigungs-Procedere' von den Taliban, die – wie amtsbekannt ist – über ein weitverzweigtes Netzwerk verfügen, auch in Kabul aufgespürt und beseitigt werden kann."

5. Das im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof an die Stelle des Asylgerichtshofes getretene Bundesverwaltungsgericht (vgl. Art 151 Abs 51 Z 8 B VG) legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Äußerung ausdrücklich Abstand.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (als Rechtsnachfolger des Bundesamtes für Asyl – vgl. Art 151 Abs 51 Z 8 B VG) nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan sowie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan richtet, begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten vorzuwerfen:

2.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat können unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK relevant sein (VfSlg 19.602/2011 mwN).

2.2. In den Ausführungen zur Situation in Afghanistan (Länderberichte aus den Jahren 2011 bis 2013) trifft der Asylgerichtshof allgemeine Aussagen zu verschiedenen Themenbereichen, u.a. auch zur "Grundversorgung", zu "Rückkehrfragen" und zur "Sicherheitslage". Er führt darin aus, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt von hoher Arbeitslosigkeit geprägt sei (die Arbeitslosenrate beträgt in Afghanistan 40%), wobei gleichzeitig eine große Nachfrage nach Fachkräften am Arbeitsmarkt bestehe. Rückkehrer können auf Schwierigkeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art vor allem dann stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit aus dem Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Zur Situation in Kabul wird in den Länderberichten in den Themenbereichen "Rückkehrfragen" und "Sicherheitslage" lediglich festgestellt, dass ein Schutz für Personen aus einer Konfliktregion in Kabul sehr von der Schwere des Konflikts abhänge und weiters davon, ob die Person in Kabul weiter verfolgt werde. Auch den nationalen Behörden sei es möglich, in Kabul Personen ausfindig zu machen. Der Asylgerichtshof stellt folgend fest, "dass sich aus den Feststellungen ergibt, dass betreffend Kabul die Sicherheitslage relativ stabil bleibt, in einer Aufstellung von ANSO zu sicherheitsrelevanten Zwischenfällen für das erste Halbjahr 2012 fast 80 Prozent der Vorfälle von den afghanischen Sicherheitskräften initiiert wurden, was bedeutet, dass diese eine sehr aktive Rolle in der Provinz einnehmen, die Polizei in Kabul vergleichsweise gut funktioniert, weiters gingen die Angriffe der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen bereits im Jahr 2011 zurück, im ersten Halbjahr 2012 gab es erneut einen Rückgang der Angriffe". Zur Situation in der Heimatregion des Beschwerdeführers stellt der Asylgerichtshof lediglich fest, dass es im 1. Quartal 2013 zu einer 50% igen Steigerung von Attacken und Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen im Vergleich zum 1. Quartal 2012 gekommen sei.

2.3. Der Asylgerichtshof geht in der Folge davon aus, dass der Beschwerdeführer mit Schwierigkeiten hinsichtlich der Erreichbarkeit seines Heimatortes konfrontiert werden könne, für ihn aber jedenfalls eine Ausweichmöglichkeit nach Kabul bestehe. Dem Beschwerdeführer, der über eine Schulbildung und eine qualifizierte Ausbildung sowie eine einschlägige Berufserfahrung als Kfz-Mechaniker verfüge, sei es möglich und zumutbar, in der Hauptstadt Kabul nach einem Wohnraum zu suchen und ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Die Sicherung seiner Grundbedürfnisse wie Wohnraum, Nahrung und medizinische Versorgung werde dem Beschwerdeführer in Kabul auch dadurch erleichtert, dass ihm seine Familie Unterstützung zukommen lassen könne, weil sie nach eigenen Angaben keine finanziellen Schwierigkeiten hätte, und den Beschwerdeführer auf Grund des funktionierenden Bankwesens diese Zuwendungen auch erreichen können.

2.4. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar ist, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Wegen des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Zusammenhalts in Afghanistan, der durch jahrzehntelange Kriege, massive Flüchtlingsströme und Stadtflucht verursacht worden sei, sei aber eine Prüfung jedes einzelnen Falles notwendig (EGMR, , Fall Husseini, Appl. 10.611/09, Rz 96; , Fall H. und B., Appl. 70.073/10 und 44.539/11, 45 und 114).

2.5. Eine derartige Einzelfallprüfung hat der Asylgerichtshof jedoch im vorliegenden Fall jedenfalls unterlassen (vgl. dazu zB auch ):

2.5.1. Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt (vgl. § 8 Abs 1 AsylG 2005) auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der dem Beschwerdeführer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (vgl. zB ; , U2087/2012; , U2643/2012).

2.5.2. Der Asylgerichtshof geht in seiner Entscheidung davon aus, dass die sozialen und familiären Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in der Provinz Paktia liegen. Er setzt sich mit dortigen Lage nicht näher auseinander (vgl. dazu zB ). Wenn der Asylgerichtshof davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer in seine Heimatprovinz zurückkehren kann, hätte er Länderberichte zur dortigen Situation einholen und sich mit diesen auseinandersetzen müssen, zumal die Sicherheitslage in Afghanistan von Provinz zu Provinz variiert (vgl. zB ; , U2643/2012).

2.5.3. Auch wenn der Asylgerichtshof – "für den Fall, dass der Beschwerdeführer mit Schwierigkeiten hinsichtlich der Erreichbarkeit konfrontiert sein sollte" – vom Vorliegen einer "Ausweichmöglichkeit" nach Kabul ausgeht, hat er die Entscheidung mit einem qualifizierten Mangel belastet:

Der Asylgerichtshof hat keine ausreichenden Feststellungen darüber getroffen, ob der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, sich in Kabul niederzulassen. Der Beschwerdeführer verfügt weder über soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul (vgl. ) noch hat er sich vor seiner Flucht in Kabul aufgehalten. Der Asylgerichtshof hat weder – entgegen den in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Ausführungen – ausreichende Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul noch zu den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in Kabul (zB Wohnungs- und Arbeitsmarkt) getroffen, um beurteilen zu können, ob es die Situation in Kabul tatsächlich zulässt, dass sich der Beschwerdeführer die vom Asylgerichtshof angeführte Lebensgrundlage schaffen kann; solche Feststellungen zur Lage in Kabul wären schon deshalb erforderlich gewesen, weil der Asylgerichtshof in den Länderberichten selbst festgestellt hat, dass Rückkehrer auf Schwierigkeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art vor allem dann stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit aus dem Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Auch die vom Asylgerichtshof getroffenen Ausführungen, dass die Familie des Beschwerdeführers – die nach wie vor in der Provinz Paktia lebe – dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Kabul finanzielle Zuwendungen auf Grund des grundsätzlich funktionierenden Bankwesens zukommen lassen können, gehen ins Leere, weil sich aus den vom Asylgerichtshof in der Entscheidung herangezogenen Länderberichten keinerlei Aussagen zum Bankensystem in Afghanistan entnehmen lassen.

2.6. Da die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 voraussetzt, dass der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, ist die bekämpfte Entscheidung, soweit der Beschwerdeführer damit aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen wird, ebenfalls aufzuheben.

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichthof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144 B VG iVm § 7 VwGbk ÜG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B VG iVm § 7 VwGbk ÜG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Insbesondere konnte der Asylgerichtshof in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgehen, dass das einschlägige Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig ist.

3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit damit die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird, abzusehen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, insoweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und die Ausweisung nach Afghanistan abgewiesen wird, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U2643.2013