VfGH vom 10.06.2011, U2570/10
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags wegen entschiedener Sache und Ausweisung; keine Ermittlungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Verfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsbürger, reiste bereits 1999 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, dessen Abweisung letztendlich mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom über die Ablehnung der Beschwerdebehandlung bestätigt wurde. Die Begründung des damaligen Antrages lässt sich weder aus dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Asylgerichtshofes noch aus den vorgelegten Verwaltungs- und Gerichtsakten ableiten. Am stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, er sei in seinem Heimatland aufgrund seiner Religionszugehörigkeit von asylrelevanter Verfolgung bedroht. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag gemäß § 68 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. 51/1991 "idgF" (im Folgenden: AVG) wegen entschiedener Sache zurück und den Beschwerdeführer gemäß "§10 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" nach Indien aus.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am eine Beschwerde, in welcher er unter anderem die Verletzung von Art 2, 3 und 8 EMRK rügte, sich wiederholt auf seinen Gesundheitszustand bezog und eine aktuelle Erhebung seines Gesundheitszustandes beantragte.
3. Diese Beschwerde hat der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß "§68 AVG und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 idgF" als unbegründet abgewiesen. Der Beschwerdeführer habe in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben, dass er gesund sei. Eine Sachverhaltsänderung könne darin nicht erblickt werden. Der Beschwerdeführer befinde sich in einer Substitutionstherapie mit Methadon, eine derartige Therapie sei in Indien verfügbar.
4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG sowie gemäß Art 3 und 8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Es sei dem Erkenntnis insbesondere nicht zu entnehmen, dass sich der Asylgerichtshof mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Gesundheitszustand, und somit zu einer entscheidungsrelevanten Sachverhaltsänderung auseinandergesetzt hätte. Der Asylgerichtshof habe zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert. Den Ausführungen in der Beschwerde und den vorgelegten Befundberichten zufolge leidet der Beschwerdeführer an paranoider Schizophrenie.
5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.
II. Erwägungen
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).
1.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:
2.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof festgehalten hat (vgl. Zl. 2008/01/0344), sind bei "Folgeanträge[n] nach dem AsylG 2005 die Asylbehörden auch dafür zuständig, Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus einer Prüfung zu unterziehen."
2.2. Weiters hat der Asylgerichtshof bei der Entscheidung über die Ausweisung § 10 Abs 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, zu beachten:
"(3) Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben."
2.3. Der Asylgerichtshof lässt aber das Beschwerdevorbringen zum gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers und den Antrag auf Feststellung desselbigen im Hinblick auf die Behandelbarkeit seiner psychischen Erkrankungen völlig außer Acht. Somit unterlässt es der Asylgerichtshof, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers die Annahme einer entschiedenen Sache sowie eine Ausweisung zulässt. Eigene und aktuelle Ermittlungen des Asylgerichtshofs zu diesen entscheidungsrelevanten Sachverhalten fehlen zur Gänze (vgl. VfSlg. 18.646/2008).
2.4. Der Beschwerdeführer ist somit durch die Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
III. Schluss
1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz leg.cit. ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.