VfGH vom 19.09.2011, U256/11
******
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen
Spruch
1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde an den Asylgerichtshof gegen die mit Bescheid des Bundesasylamtes festgestellte Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.
2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
II. beschlossen:
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am (bzw. wiederholend am ) in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er von Anhängern einer gegnerischen politischen Partei (die auch seinen Bruder entführt hätte) bedroht worden sei. Aus Angst vor ihnen habe er Pakistan verlassen. Außerdem sei er einmal von der Polizei festgenommen und geschlagen worden.
1.2. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG 1997), BGBl. I 76/1997 idgF, ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan für zulässig (Spruchpunkt II.).
1.3. Dagegen erhob der Einschreiter mit Schreiben vom Berufung (nunmehr: Beschwerde), die der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom (auf der ersten Seite der Entscheidung irrtümlich: "") gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I 126/2002 und gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 idgF abwies.
1.3.1. Im Erkenntnis kommt der Asylgerichtshof mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht den Tatsachen entspreche und der Beschwerdeführer in seinem Heimatland keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. ihm keine Verfolgung drohe. Deshalb wies er die Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrags als unbegründet ab.
1.3.2. Auch in Zusammenhang mit der Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Einschreiters in den Herkunftsstaat wies der Asylgerichtshof die Beschwerde als unbegründet ab. Als Begründung führt er dazu unter anderem aus:
"Dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Pakistan die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre (…), hat der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht und kann auch von Amts wegen aufgrund der Länderberichte nicht davon ausgegangen werden. […]
[…]
Hinsichtlich der Folgen der in diesem Jahr von der Flutkatastrophe getroffenen Pakistan [sic!] ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer eigenen Angaben nach aus G. stammt. Dabei handelt es sich um kein von den Folgen des Hochwassers unmittelbar betroffenes Gebiet. Im Übrigen hat die nationale und internationale Hilfe in Pakistan zu greifen begonnen und zu einer Stabilisierung der Lage des Landes beigetragen."
2. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die auf Art 144 B-VG (richtig: Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008) gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973), auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) sowie von jenem nach Art 3 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
3. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den Beschwerdeführer zum Kostenersatz zu verhalten.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan wendet.
1. In der Sache
1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
1.2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:
1.2.1. Vorauszuschicken ist, dass der Herkunftsort des Beschwerdeführers in der angefochtenen Entscheidung ausschließlich abgekürzt mit "G." bezeichnet wird.
Nur anhand des Bescheides des Bundesasylamtes und/oder durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten wird klar, dass es sich um die Stadt Gujranwala handelt, die zweitgrößte Stadt der Provinz Punjab mit ca. 1,5 Millionen Einwohnern.
Es kann allerdings dahingestellt bleiben, ob das Unterlassen der Nennung des Ortsnamens schon für sich einen Willkür begründenden Mangel darstellt. (Vgl. etwa das Erkenntnis VfSlg. 19.129/2010, in dem es - gleichfalls in Bezug auf den Asylgerichtshof - heißt, dass es "grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines [...] Gerichts [widerspricht], wenn sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt".) Willkür begründende Mängel sind im vorliegenden Fall nämlich auch dann zu konstatieren, wenn man davon ausgeht, dass in der angefochtenen Entscheidung evident von Gujranwala die Rede sei:
1.2.2. Der Asylgerichtshof hat es unterlassen darzulegen, auf welchen Quellen seine Feststellung beruht, dass Gujranwala "kein von den Folgen des Hochwassers unmittelbar betroffenes Gebiet" sei.
Schon allein in Anbetracht der Medienberichte, welche die verheerenden Folgen der in Rede stehenden Überschwemmungen vom Juli/August 2010 bekannt machten, wäre der Asylgerichtshof jedoch dazu verhalten gewesen, dies darzulegen. Nur gestützt auf eine fundierte Einschätzung der Lage in Pakistan nach der Flutkatastrophe (im Entscheidungszeitpunkt) hätte nämlich geklärt werden können, ob die - vom Asylgerichtshof mit der in Rede stehenden Aussage zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach behauptete - Möglichkeit einer Niederlassung in nicht vom Hochwasser betroffenen Teilen Pakistans (also die Möglichkeit einer innerstaatlichen Relokation) für den Beschwerdeführer überhaupt gegeben und/oder ihm zumutbar war.
1.2.3. Dass sich der Asylgerichtshof nur völlig unzureichend mit der Flutkatastrophe und deren Folgen beschäftigt hat, ist insbesondere auch daran ersichtlich, dass die in der angefochtenen Entscheidung genannten Erkenntnisquellen mit länderkundlichen Informationen über Pakistan veraltet sind, soweit es um dieses Ereignis geht: Der aktuellste der vom Asylgerichtshof herangezogenen Berichte stammt vom März 2010; die in Rede stehenden verheerenden Überschwemmungen ereigneten sich aber erst im Juli und August 2010. (Zur Aufhebung von Entscheidungen des Asylgerichtshofes infolge Heranziehung veralteter Länderberichte s. zB VfSlg. 19.130/2010 und .)
1.2.4. Der Asylgerichtshof hat sich also nicht ausreichend mit der durch die Flutkatastrophe in Pakistan eingetretenen, außergewöhnlichen Situation befasst und somit die Ermittlungstätigkeit in wesentlichen Punkten unterlassen. Dies führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.
2. Ergebnis und damit in Zusammenhang stehende Ausführungen
2.1. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, soweit damit die Beschwerde an den Asylgerichtshof gegen die mit Bescheid des Bundesasylamtes festgestellte Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan abgewiesen wird.
2.2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde (vgl. nachfolgenden Pkt. B) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.
2.3. Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).
B. Die Behandlung der Beschwerde wird aus folgenden Gründen abgelehnt, soweit sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche \berlegungen nicht erforderlich sind.
Die hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).