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VfGH vom 22.09.2014, U2529/2013

VfGH vom 22.09.2014, U2529/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Asylabweisung, Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und Ausweisung nach China; Sachverhalt im Hinblick auf das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht hinreichend geklärt

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass sie von ihrem Ehemann geschlagen werde, weil sie kein weiteres Kind zur Welt bringen möchte. Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter hätten die chinesischen Behörden eine Geldstrafe gegen sie verhängt, die sie nicht habe bezahlen können.

2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz ab und wies die Beschwerdeführerin in die Volksrepublik China aus. Das Bundesasylamt ging dabei insbesondere davon aus, dass das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft und die Beschwerdeführerin unglaubwürdig seien.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, in der u.a. Mängel und Unsachlichkeiten im Einvernahmeprotokoll behauptet wurden, wies der Asylgerichtshof mit Entscheidung vom ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab.

Wörtlich führte der Asylgerichtshof in seiner rechtlichen Beurteilung aus:

"Aus dem Akteninhalt des Bundesasylamtes ist die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar. Mit der Beschwerde wurde nichts weiteres Entscheidungsrelevantes vorgebracht; […] Dem Asylgerichtshof liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der Beschwerdeführerin mündlich erörtert hätte werden müssen."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet wird. Die Beschwerdeführerin ist insbesondere der Ansicht, dass sich der Asylgerichtshof mit der Ein-Kind-Politik und Zwangssterilisierungen in der Volksrepublik China näher hätte auseinandersetzen müssen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und verwies auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof regelt § 41 Abs 7 Asylgesetz 2005 den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (s. VfSlg 19.632/2012).

Das Absehen von einer gebotenen mündlichen Verhandlung stellt hingegen eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 47 Abs 2 GRC dar ( ua.; , U1257/2012).

3. Eine solche Verletzung in Art 47 Abs 2 GRC liegt aus folgendem Grund vor:

Wenn der Asylgerichtshof zu der Auffassung gelangt, dass aus dem Akteninhalt des Bundesasylamtes die Grundlage des bekämpften Bescheides "unzweifelhaft nachvollziehbar" sei, missachtet er offensichtliche Widersprüchlichkeiten, die im Einvernahmeprotokoll des Bundesasylamtes vom enthalten sind. So habe die Beschwerdeführerin auf die Frage, was sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland befürchte, gesagt: "Nichts, gar nichts." Dies widerspricht nicht nur dem bei der Asylantragstellung vorgebrachten Fluchtvorbringen, sondern auch einer im Folgenden protokollierten Frage: "F: Werden Sie ausschließlich in [der Volksrepublik] China verfolgt? A: Ja." Die Relevanz des Fluchtvorbringens lässt sich somit anhand des Aktenmaterials nicht beurteilen.

4. Unter Bedachtnahme darauf, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde im vorliegenden Fall daher nicht geklärt erscheint, ist festzuhalten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung nicht vorlagen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 GRC verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U2529.2013

Fundstelle(n):
RAAAE-28608