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VfGH vom 20.02.2014, U2496/2013

VfGH vom 20.02.2014, U2496/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung des - im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen und unbegleiteten - Beschwerdeführers nach Pakistan infolge verfassungswidriger Interessenabwägung

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise nach Österreich am einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, am geboren zu sein. Laut einer zu einem späteren Zeitpunkt eingebrachten Geburtsurkunde und den Angaben des Beschwerdeführers während einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am ist er am geboren. In jedem Fall war er zum Zeitpunkt seiner Einreise und der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz minderjährig und unbegleitet. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass im Zuge von Grundstücksstreitigkeiten bzw. Streitigkeiten hinsichtlich der Rechte an der Ernte Familienmitglieder entführt, zu Unrecht angezeigt und ins Gefängnis gekommen seien. Die gegnerische Familie habe viel Einfluss und genieße die Unterstützung des Staates. Die Familie des Beschwerdeführers hingegen sei arm. Der Beschwerdeführer lebte zunächst in einem Flüchtlingsheim und seit August 2012 bei einer Pflegefamilie.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Asylantrag gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 29/2009, abgewiesen und der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 leg. cit. wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 leg. cit. wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan verfügt (Spruchpunkt III.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom gemäß §§3, 8 und 10 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 67/2012 (im Folgenden: AsylG 2005), abgewiesen.

2.1. Die Abweisung des Asylantrages begründet der Asylgerichtshof zusammengefasst damit, dass dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland Pakistan keine asylrelevante Verfolgung drohe. Trotz der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers seien dessen Angaben derart vage, unpräzise und widersprüchlich gewesen, dass nicht von einem glaubhaften Fluchtvorbringen ausgegangen werden könne. Es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass es dem Beschwerdeführer auf Grund seines Alters nicht möglich gewesen sei, konsistente und detaillierte Angaben zu machen oder der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes substantiiert entgegenzutreten. Der Widerspruch zwischen dem bei der ersten Befragung angegebenen (1992) und auf einer vorgelegten Geburtsurkunde ersichtlichen (1995) Geburtsjahr sei ein weiteres Indiz dafür, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers insgesamt unrichtig sei. Weiters habe der Beschwerdeführer lediglich wirtschaftliche Motive für das Verlassen des Heimatlandes vorgebracht.

2.2. Zum subsidiären Schutz führt der Asylgerichtshof gestützt auf Länderberichte aus den Jahren 2011 und 2012 aus, dass keine Hinweise auf das Vorliegen eines unter Art 2 oder Art 3 EMRK zu subsumierenden Sachverhalts vorlägen. Die Ausgestaltung des pakistanischen Strafrechts lasse nicht auf das Vorliegen einer Gefahr iSd Art 2 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK schließen. Zwar sei die Menschenrechtssituation problematisch, aber es könne nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen herrschen würde. Der Beschwerdeführer sei ein mobiler, gesunder, junger, arbeitsfähiger Mensch, der in seinem Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage und nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge.

2.3. Zur Zulässigkeit der Ausweisung führt der Asylgerichtshof zunächst aus, dass ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens des Beschwerdeführers nicht vorliege. Der Beschwerdeführer habe keine Verwandten in Österreich. Zwar lebe er trotz seiner inzwischen eingetretenen Volljährigkeit nach wie vor im Haushalt seiner Pflegeeltern. Dass der Beschwerdeführer eine besondere Beziehung zu seinen Pflegeeltern habe oder in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen stehe, habe dieser aber nicht vorgebracht. Daher würde die Ausweisung keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben des Beschwerdeführers darstellen.

Jedoch stelle nach Ansicht des Asylgerichtshofs die Ausweisung einen Eingriff in das Recht auf Privatleben des Beschwerdeführers dar, wenngleich dieser "schon alleine durch den erst […] kurzen Aufenthalt und den niedrigen Integrationsgrad, welcher darüber hinaus nur durch die unbegründete Stellung eines Asylantrages erreicht werden konnte, in Österreich relativiert" werde.

Zur Integration des Beschwerdeführers stellt der Asylgerichtshof fest, der Beschwerdeführer befinde sich – bezogen auf sein Lebensalter – erst seit einem relativ kurzen Zeitraum in Österreich und habe hier "keine besonders qualifizierten Anknüpfungspunkte". Zwar absolviere der Beschwerdeführer auf Grundlage einer Beschäftigungsbewilligung eine Lehre als Koch, sein Lehrvertrag bestehe jedoch erst seit acht Monaten. Einen davor absolvierten Kurs für Berufstätige habe der Beschwerdeführer offenbar nicht bestanden, wobei das Fach Deutsch als Fremdsprache mit der Note 4 beurteilt worden sei. Eine staatlich anerkannte Prüfung über deutsches Sprachwissen habe der Beschwerdeführer bislang nicht abgelegt. Der Beschwerdeführer sei im Asylverfahren nicht in der Lage gewesen, den Antrag ohne Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Der Beschwerdeführer sei Mitglied in einem Trachten- und Volkstanzverein, was "durchaus Ansätze des Versuches einer Integration erkennbar" mache. Dennoch sei "ein besonderes soziales oder gesellschaftliches Engagement damit in dieser speziellen Einzelfallprüfung noch nicht zu erkennen". Der Beschwerdeführer habe die Pflichtschule absolviert. Dies sei aber eine Verpflichtung und könne daher die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich nicht maßgeblich stärken. Wohl seien aber die in der Schule geknüpften privaten Kontakte zu berücksichtigen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer auf Dauer selbsterhaltungsfähig sei. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers sei als selbstverständlich anzusehen.

Der Beschwerdeführer habe den überwiegenden Teil seines Lebens in Pakistan verbracht. Es sei davon auszugehen, dass in Pakistan Bezugspersonen, etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises, existieren, da nichts darauf hindeute, dass der Beschwerdeführer vor der Ausreise in völliger Isolation in Pakistan gelebt habe. Es deute daher auch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer sich nicht in seinem Herkunftsstaat erneut integrieren könnte.

Durch die illegale Einreise habe der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Einwanderungsrecht begangen, der in die Interessenabwägung einzubeziehen sei. Erst durch Stellung des Asylantrages habe der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt legalisiert. Er habe von Anfang an gewusst, dass sein Aufenthalt in Österreich im Fall einer Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender sei. Durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz habe der Beschwerdeführer seine Mitwirkungspflichten im Asylverfahren nach § 15 AsylG 2005 verletzt.

Schließlich legt der Asylgerichtshof dar, dass die Interessen von Fremden, die sich jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, gegenüber jenen von Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Asylverfahrens Abschiebeschutz zukomme, unterschiedlich zu beurteilen seien. Würde sich ein Fremder in einer Situation wie der des Beschwerdeführers erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, würde dies nach Ansicht des Asylgerichtshofes dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Dies würde auch dazu führen, dass Fremde, die die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Asylantragsstellung allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen, um ihren Aufenthalt in Österreich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund zu legalisieren, was zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung zwischen Fremden führen könne. Die Interessenabwägung könne daher nicht zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144a B-VG in der bis zum geltenden Fassung gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie in den verfassungsgesetzlich gewährleiteten Rechten, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, auf Leben und auf Achtung des Privat- und Familienlebens behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt wird. Begründend wird dazu u.a. Folgendes ausgeführt:

3.1. Der Beschwerdeführer sei sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch während der Einvernahmen im Asylverfahren minderjährig gewesen. Dieser Umstand sei während des gesamten Verfahrens nicht berücksichtigt worden. Die Behörden treffe im Zusammenhang mit Minderjährigen eine erhöhte Manuduktions- und Sorgfaltspflicht. Insbesondere sei bei allfälligen Widersprüchen ein genaues Nachfragen oder ein entsprechender Vorhalt geboten. An die Glaubwürdigkeit Minderjähriger müsse ein anderer Maßstab angelegt werden als an jene von Erwachsenen. Auch die Intensität von Verfolgungshandlungen gegen Minderjährige dürfe nicht mit demselben Maßstab beurteilt werden wie jene gegen Erwachsene. Der Asylgerichtshof habe sich nicht ausreichend mit entscheidungswesentlichen Punkten des Fluchtvorbringens auseinandergesetzt und sei seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nur unzureichend nachgekommen. Auch hinsichtlich allfälliger Mitwirkungspflichten im Verfahren gelte gegenüber Minderjährigen ein erhöhter Manuduktionsmaßstab.

3.2. Die Ausweisung des Beschwerdeführers widerspreche insbesondere Art 8 EMRK. Nach Ansicht des Beschwerdeführers sei die vom Asylgerichtshof vorgenommene Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers im Lichte der Kriterien des Art 8 EMRK verfassungswidrig. Der Asylgerichtshof übersehe, dass es die Verantwortung des Staates sei, jene Voraussetzungen zu schaffen, um ein Verfahren so effizient wie möglich zu führen und nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung, ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen, und ohne, dass dem Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, mehrere Jahre verstreichen zu lassen. Vom Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers bis zum Erkenntnis des Asylgerichtshofes seien fast fünf Jahre vergangen. Der Beschwerdeführer befinde sich in einem Alter, in dem eine "Weichenstellung" für das weitere Berufsleben aber auch für sein weiteres Privatleben erfolge. Der Beschwerdeführer verfüge sehr wohl über familiäre Beziehungen, nämlich zur Pflegefamilie, bei der er seit August 2012 lebe. Er habe mit dem Sohn der Pflegeeltern gemeinsam die Hauptschule besucht und habe sich mit diesem angefreundet, woraufhin die Familie den Beschwerdeführer aufgenommen habe, und den Eltern die Obsorge über den damals noch minderjährigen Beschwerdeführer übertragen worden sei. Trotz der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit lebe der Beschwerdeführer weiterhin bei seiner Pflegefamilie. Er betrachte diese als seine Familie. Dass er erst seit einem Jahr bei der Pflegefamilie lebe, könne keinen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass die Bindung zu seiner Pflegefamilie nicht intensiv sei.

Der Beschwerdeführer sei bestrebt, sich nunmehr aus eigener Kraft ein Leben in Österreich aufzubauen. Daher habe er im Februar 2013 mit einer Lehre als Koch begonnen. Dem Ausbildner (einem Hotel-Restaurant) sei eine Beschäftigungsbewilligung erteilt worden. Auf Grund seines Einkommens sei der Beschwerdeführer aus der Grundversorgung entlassen worden. Er habe die Pflichtschule absolviert und verfüge über gute Deutschkenntnisse. Im Jahreszeugnis 2011/2012 sei er im Fach Deutsch mit der Note "gut" beurteilt worden. Dieses Zeugnis sowie andere Nachweise seien dem belangten Asylgerichtshof vorgelegt worden. Abgesehen von seinen Vereinsmitgliedschaften sei der Beschwerdeführer auch leidenschaftlicher Läufer und nehme regelmäßig an Laufveranstaltungen teil.

Es entspreche nicht den Tatsachen, dass der Beschwerdeführer – wie vom Asylgerichtshof ausgeführt – noch Kontakte in seiner Heimat habe. Er habe im Gegenteil keinerlei Bezugspunkte mehr zur Heimat. Sein Vater sei im Oktober 2010 verstorben, auch die Mutter sei nicht mehr am Leben. Zu seinen Geschwistern pflege der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Eine nähere Begründung darüber, welche Anknüpfung der Beschwerdeführer noch zu seinem Heimatland habe, fehle in der angefochtenen Entscheidung.

4. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Rechtslage

1. § 10 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011 lautet:

"Verbindung mit der Ausweisung

§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;

2. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und kein Fall der §§8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.

(2) Ausweisungen nach Abs 1 sind unzulässig, wenn

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2. diese eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen würden. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

d) der Grad der Integration;

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

i) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs 1 Z 1 verbunden ist, gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

(5) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§45 und 48 oder §§51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

(6) Ausweisungen nach Abs 1 bleiben binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

(7) Wird eine Ausweisung durchsetzbar, gilt sie als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I Nr 100, und hat der Fremde binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig auszureisen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 38 durchführbar wird; in diesen Fällen hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

(8) Mit Erlassung der Ausweisung ist der Fremde über seine Pflicht zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise und gegebenenfalls über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde (§55a FPG) zu informieren, insbesondere auf Rückkehrhilfe, sowie auf mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung (§46 FPG) hinzuweisen."

III. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Entscheidung richtet, ist sie auch begründet.

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof bei der Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes betreffend die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan unterlaufen:

2.1. Der Asylgerichtshof stützt seine Entscheidung zunächst zutreffend auf § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005, wonach eine Entscheidung, mit der der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, mit der Ausweisung zu verbinden ist, sofern die Ausweisung nicht gemäß Abs 2 leg. cit. unzulässig ist, zB weil sie eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen würde. Dabei sind gemäß § 10 Abs 2 Z 2 AsylG 2005 insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts, die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen. Zutreffend gibt der Asylgerichtshof im angefochtenen Erkenntnis auch die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und vom Verfassungsgerichtshof aus Art 8 EMRK abgeleiteten und bei der Entscheidung über eine Ausweisung zu beachtenden Kriterien wider (vgl. u.a. VfSlg 18.223/2007 mwN; EGMR , Fall Boultif , Appl. 54273/00 mwN).

Der Asylgerichtshof stellt fest, dass der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer keine Angehörigen in Österreich habe. Er lebe zwar nach wie vor bei seiner früheren Pflegefamilie, jedoch sei eine besondere Beziehung zu diesen Personen bzw. ein Abhängigkeitsverhältnis nicht dargetan worden.

Zwar kann auch zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern eine als de facto-Familienleben iSd Art 8 EMRK zu qualifizierende Beziehung bestehen, insbesondere in Fällen, in denen das Pflegekind im Kleinkindalter in die Obsorge der Pflegeeltern gekommen ist, die Pflegeeltern mit dem Pflegekind eine starke, mit jener zwischen Eltern und Kindern in dieser Lebensphase vergleichbare, emotionale Verbindung haben und die Pflegeeltern sich in jeder Hinsicht wie Eltern des Kindes verhalten (vgl. etwa EGMR , Fall Moretti und Benedetti , Appl. 16318/07; EGMR , Fall Kopf und Liberda , Appl. 1598/06 [Z36 f.]). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer erst im Alter von fast 17 Jahren unter die Obsorge der Pflegeeltern gestellt wurde, zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits volljährig war und abgesehen vom nach wie vor bestehenden gemeinsamen Haushalt Aspekte einer besonderen Nahebeziehung zwischen ihm und den (ehemaligen) Pflegeeltern nicht aufgekommen sind (zu familiären Beziehungen unter Erwachsenen vgl. etwa VfSlg 17.851/2006), ist im vorliegenden Fall nicht von einer als "Familienleben" zu qualifizierenden Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen ehemaligen Pflegeeltern auszugehen.

Der Asylgerichtshof geht daher zutreffend davon aus, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers einen Eingriff in dessen Privatleben darstellen würde.

2.2. Der Asylgerichtshof hat – unter Zugrundelegung einer Gesamtbetrachtung des Falles – in der Folge zwar den öffentlichen Interessen auf dem Gebiet des Fremdenwesens die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers im Hinblick auf sein Privatleben gegenübergestellt, die Interessen jedoch im Ergebnis in verfassungswidriger Weise abgewogen.

Der Asylgerichtshof qualifiziert den Integrationsgrad des Beschwerdeführers als "gering" und führt aus, der Beschwerdeführer habe in Österreich keine besonders qualifizierten Anknüpfungspunkte. Damit widerspricht der Asylgerichtshof seinen eigenen Feststellungen zur Integration des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer, der zum Zeitpunkt seiner Einreise minderjährig und unbegleitet war, lebt auch nach Erreichen der Volljährigkeit nach wie vor bei seiner ehemaligen Pflegefamilie, verfügt somit über intensive private Bindungen in Österreich. Dass der Asylgerichtshof bei der Interessenabwägung die Integration des Beschwerdeführers vor diesem Hintergrund lediglich in Form von "Ansätze[n] eines Versuchs" gewichtet, ist – überdies im Hinblick auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer einer legalen Beschäftigung nachgeht und die Pflichtschule absolviert hat – mit Art 8 EMRK unvereinbar. Zudem hätte der Asylgerichtshof auch dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer durch seine Mitgliedschaft in Sport- und Kulturvereinen aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligt, stärkere Bedeutung als Zeichen der Integration beimessen müssen (vgl. etwa VfSlg 19.357/2011; 19.612/2011; ).

Dass der Beschwerdeführer, wie der Asylgerichtshof betont, bei seinen Einvernahmen einen Dolmetscher benötigt habe, vermag keine Minderung der Integration des Beschwerdeführers aufzuzeigen, zumal die Einvernahmen des Beschwerdeführers kurz nach seiner Einreise stattgefunden haben und das Verfahren vor dem Asylgerichtshof ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung stattgefunden hat. Unabhängig davon darf die Inanspruchnahme von Vorkehrungen für einen rechtsstaatlichen Ablauf von Asylverfahren den Betroffenen nicht dadurch zum Nachteil gereichen, dass die Inanspruchnahme eines Dolmetschers als Indiz für mangelnde Sprachkenntnisse in die Interessenabwägung gem. Art 8 Abs 2 EMRK einfließt. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass die vorgelegten Zeugnisse keine hervorragenden Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers ausweisen. Jedoch ist schon in Anbetracht des dem Asylgerichtshof vorgelegten Zeugnisses aus dem Schuljahr 2011/2012, wonach der Beschwerdeführer im Fach Deutsch – nach Wiederholung der Klasse – mit "Gut" benotet wurde, sowie der Tatsache, dass der Beschwerdeführer eine Lehrstelle gefunden hat, nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer keine Kenntnisse der deutschen Sprache vorweisen kann.

3. Ausgehend von der vom Asylgerichtshof selbst festgestellten Integration des Beschwerdeführers in Österreich ist in der konkreten Fallkonstellation auf Grund des Art 8 EMRK bei der Abwägung mit den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung den privaten Interessen des Beschwerdeführers stärkeres Gewicht beizumessen. Es ist daher verfassungsrechtlich nicht vertretbar, wenn der Asylgerichtshof in seiner Entscheidung zu dem Schluss kommt, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenpolizeilicher Vorschriften überwiege.

B. Soweit sich die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Entscheidung richtet, wird ihre Behandlung abgelehnt:

4. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrecht liche Überlegungen nicht erforderlich sind.

5. Die vorliegende Beschwerde rügt hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Entscheidung die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch Spruchpunkt III. der angefochtenen Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere (diesen Spruchpunkt betreffende) Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz bzw. § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436.