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VfGH vom 10.06.2011, U2460/10 ua

VfGH vom 10.06.2011, U2460/10 ua

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags bzw des Antrags auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen bzw keine eigene Begründung in der Entscheidung des Asylgerichtshofes

Spruch

I.1. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit die Beschwerden gegen die vom Bundesasylamt verfügten Ausweisungen abgewiesen werden, in dem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen werden insoweit aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit jeweils € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt

1. Die Beschwerdeführer sind georgische Staatsangehörige, wobei es sich beim Erstbeschwerdeführer um den Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin handelt. Sie reisten getrennt voneinander unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer brachte zunächst vor, seine Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen zu haben.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) begründete der Erstbeschwerdeführer seinen Antrag im Wesentlichen damit, dass er wegen seiner Mitgliedschaft bzw. wegen der Mitarbeit seiner Frau bei der oppositionellen Partei "Samartlianoba" (Gerechtigkeit) behördlich verfolgt werde. Die Zweitbeschwerdeführerin gab u.a. an, sie habe wegen ihrer Mitgliedschaft zur Oppositionspartei "Samartlianoba" ihre Arbeit als Buchhalterin verloren. Die Sitzungen mit ihren Parteifreunden seien regelmäßig von den Behörden aufgelöst worden. Da bereits mehrere Mitglieder der Partei verhaftet worden seien, befürchteten beide Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr ins Gefängnis zu kommen.

1.1. Das BAA wies die Anträge jeweils mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 3 iVm § 11 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005) ab, erkannte gemäß § 8 Abs 3 iVm § 11 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies die nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien aus.

1.2. Die dagegen erhobenen Berufungen (nunmehr: Beschwerden) vom hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit den angefochtenen Entscheidungen vom gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 abgewiesen. In den im Wesentlichen gleich begründeten Erkenntnissen führte der AsylGH u.a. aus, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer aufgrund von Widersprüchen unglaubwürdig sei und vor dem Hintergrund ihrer Arbeitsfähigkeit sowie des im Herkunftsstaat vorhandenen familiären Rückhaltes keine Umstände ersichtlich seien, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art 3 EMRK darstellen könnten.

1.3. Hinsichtlich der jeweiligen Ausweisungsentscheidung hält der AsylGH fest, dass die Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK darstelle, weil beide Ehepartner von der Ausweisung betroffen seien. Im Hinblick auf den - aufgrund des vierjährigen Aufenthaltes in Österreich - erfolgenden Eingriff in das Privatleben sei zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführer nach illegaler Einreise in Österreich befänden, keiner Erwerbstätigkeit nachgingen, die deutsche Sprache nicht beherrschten und sich ihr bisheriger Aufenthalt in Österreich lediglich auf ein auf das Asylverfahren beschränktes Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz stütze. Nach Ansicht des AsylGH überwögen daher die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet. Eine mündliche Verhandlung oder eine Aufforderung zur Stellungnahme zum Familien- und Privatleben der Beschwerdeführer fand nicht statt.

2. In den gegen diese Entscheidungen gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerden wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art 3, 6 und 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und jeweils die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt.

3. Der Asylgerichtshof hat in den Beschwerdesachen beider Beschwerdeführer von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen und zulässigen - Beschwerden erwogen:

A. Die Beschwerden sind, soweit sie sich gegen die vom BAA verfügten Ausweisungen wenden, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

Zwischen Erlassung der erstinstanzlichen Bescheide und der Entscheidung des AsylGH sind annähernd vier Jahre vergangen. In diesem Zeitraum haben weder der Unabhängige Bundesasylsenat noch der AsylGH irgendwelche Ermittlungen durchgeführt (vgl. ; , B158/08). Es wären jedoch Ermittlungsschritte betreffend eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens der Beschwerdeführer jedenfalls zu treffen gewesen. So führt der AsylGH aus, dass die Beschwerdeführer keiner Erwerbstätigkeit nachgingen und die deutsche Sprache nicht beherrschten. Wie aus den bekämpften Entscheidungen hervorgeht, fußen diese Feststellungen auf den vor vier Jahren durchgeführten Einvernahmen vor dem BAA. In einem Zeitraum von vier Jahren hätte jedoch durchaus ein zu berücksichtigendes Familien- oder Privatleben der Beschwerdeführer entstehen können (vgl. ; , U2801/09). Entsprechende Ermittlungen - zumindest in Form einer Aufforderung zur Stellungnahme zu den persönlichen Lebensumständen in Österreich - wären jedenfalls von Amts wegen vorzunehmen gewesen.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt sind.

4. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher, soweit damit die Beschwerden gegen die vom BAA verfügten Ausweisungen abgewiesen werden, aufzuheben.

4.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Im vorliegenden Fall wurden zwei Beschwerden für zwei Beschwerdeführer zu zwei gleichartigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofs eingebracht. Daher sind jeweils Kosten in der Höhe von € 2.400,-- zuzusprechen. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerden (vgl. B.) kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den jeweils zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

4.2. Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerden wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten richten, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers behauptet - soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten richtet - die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 3 und 6 EMRK. Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin behauptet die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 6 EMRK sowie gemäß ArtI Abs 1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973.

Dem Asylgerichtshof ist bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung keine Verletzung des Art 3 EMRK unterlaufen, hat er sich doch in aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandender Weise mit allen aus Art 3 EMRK erfließenden Aspekten auseinandergesetzt (vgl. zB VfSlg. 18.610/2008).

Das Asylverfahren ist nicht von Art 6 EMRK erfasst (vgl. VfSlg. 13.831/1994).

Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens des Erstbeschwerdeführers zu Art 8 EMRK ist auf die Ausführungen unter A. zu verweisen.

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen der Zweitbeschwerdeführerin wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten richten (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).