VfGH vom 19.09.2011, U2447/10
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz Nr. BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ghana (alias Liberia) reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein. Am stellte der Beschwerdeführer den hier maßgeblichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Er wiederholte seine bereits im ersten Asylverfahren angegebenen Fluchtgründe. Als weiteren Grund für die neuerliche Antragstellung gab er an, nicht von seiner Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter getrennt werden zu wollen.
1.2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Liberia ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats (im Folgenden: UBAS) vom stattgegeben, der Bescheid des BAA behoben und der Asylantrag zugelassen. Mit Bescheid des BAA vom wurde der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer nach Ghana ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
2. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, abgewiesen. Begründend führte der AsylGH aus, das BAA habe ein mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt. Der Beschwerdeführer habe über Jahre hinweg die österreichischen Behörden über seine wahre Herkunft getäuscht und auch sein Fluchtvorbringen entbehre jeder Glaubwürdigkeit. Zur Frage des subsidiären Schutzes wird ausgeführt, es haben keine derart exzeptionellen Umstände festgestellt werden können, dass von einer Gefahr der Verletzung von Art 3 EMRK in Ghana auszugehen sei. Die Rückkehr nach Ghana sei dem Beschwerdeführer daher zumutbar. Die Ausweisung sei zulässig, weil der Beschwerdeführer sich bisher nur auf Grund seiner Anträge auf internationalen Schutz in Österreich aufgehalten habe. Die Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen sei er zu einem Zeitpunkt eingegangen, zu dem er sich seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein habe müssen. Dies gelte auch für die Geburt des gemeinsamen Sohnes. Der Beschwerdeführer habe den Großteil seines Lebens in Ghana verbracht und es sei trotz des langjährigen Aufenthalts keine besonders starke Integration feststellbar.
3. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens geltend gemacht wird.
4. Der AsylGH hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Bestimmungen sind weder in der Beschwerde vorgebracht worden noch beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdefalles entstanden.
Der Beschwerdeführer ist daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
2. In der Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet, weil der AsylGH es unterlassen habe zur Frage der Zulässigkeit der Ausweisung Beweise aufzunehmen, insbesondere im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen sowie die Geburt eines gemeinsamen Kindes bekannt gegeben hat.
2.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.2. Ein solcher, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem AsylGH vorzuwerfen:
Mit Mitteilungen vom und vom hat der Beschwerdeführer die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen bzw. die Geburt eines gemeinsamen Kindes bekannt gegeben und ist somit auch seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren ausreichend nachgekommen. Zu diesen Zeitpunkten war sein (zweites) Asylverfahren noch nicht abgeschlossen und der erste Bescheid des BAA betreffend den Antrag auf internationalen Schutz vom war vom UBAS aufgehoben worden.
Der AsylGH führt aus, dass der Beschwerdeführer die Ehe zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, zu dem ihm sein unsicherer Aufenthalt bewusst sein musste. Er verweist auch auf das Urteil des EGMR , Fall Omoregie, Appl. 265/07, wonach bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung auch stets die Frage der Bindung zum Herkunftsstaat zu beurteilen sei. Das Asylverfahren des Beschwerdeführers war aber zum Zeitpunkt der Eheschließung noch vor dem AsylGH anhängig, dennoch unterlässt es der AsylGH, die näheren Umstände der Zumutbarkeit der Übersiedlung der österreichischen Ehefrau und des gemeinsamen Sohnes in den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu untersuchen (vgl. VfSlg. 18.832/2009). Um eine dem § 10 AsylG 2005 und Art 8 EMRK (insbesondere im Lichte der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR) entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen, wäre es aber erforderlich gewesen, diese näheren Umstände zu ermitteln. Indem der AsylGH dies unterlassen hat, hat er die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastetet.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 iVm § 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-
sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in Höhe von € 220,-
enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 letzter Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.