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VfGH vom 06.06.2014, U2429/2013

VfGH vom 06.06.2014, U2429/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz mangels Auseinandersetzung mit der behaupteten Zwangsverheiratung und Beschneidung einer somalischen Staatsangehörigen der Volksgruppe der Madhiban

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine am geborene somalische Staatsangehörige, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin behauptete, der in Somalia diskriminierten Volksgruppe der Madhiban anzugehören. Zu ihren Fluchtgründen brachte sie zusammengefasst vor, dass sie von ihrem Stiefvater zu einer Heirat mit einem alten Mann gezwungen werden sollte, der Mitglied der radikalislamischen Gruppe Al Shabaab gewesen sei. Als sich die Beschwerdeführerin weigerte, habe ihr Stiefvater damit gedroht, sie umzubringen. Zum Zwecke der für September 2011 geplanten Zwangsheirat sei sie – von einer nicht dafür ausgebildeten Person – beschnitten worden. Die ältere Schwester der Beschwerdeführerin sei im August 2011 von Al Shabaab entführt worden. Über deren Verbleib sei nichts bekannt.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs 1 Z 1 leg. cit. den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Somalia zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr gemäß § 8 Abs 4 leg. cit. eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

3. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde vom wies der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit Entscheidung vom gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet ab.

Der AsylGH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Behauptung der Beschwerdeführerin, ihr ganzes Leben in Mogadischu bzw. Shabeellaha Hoose im Süden Somalias verbracht zu haben, unglaubwürdig sei. Die durchgeführte Sprachanalyse habe ergeben, dass das von der Beschwerdeführerin gesprochene Somali nicht der Variante entspreche, die im Gebiet Mogadischu im südlichen Somalia gesprochen wird. Vielmehr spreche sie eine Variante, die im nördlichen Somalia verbreitet ist. Daher sei ihr sprachlicher Hintergrund mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im nördlichen Somalia, in den Regionen Waqooyi-galbeed und Togdheer, einzuordnen. Der von ihr angegebene sprachliche Hintergrund habe hingegen einen sehr niedrigen Wahrscheinlichkeitsgrad. Auch die Kenntniskontrolle über regionale Gegebenheiten habe in vielen Punkten nicht den Tatsachen entsprochen. Dieses Ergebnis könne auch nicht damit entkräftet werden, dass sich die Beschwerdeführerin ein Jahr lang in Griechenland aufgehalten habe, wo sie viele Menschen aus Nordsomalia getroffen hätte, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass sich die von Kindheitstagen an geprägte Dialektik durch den gelegentlichen Kontakt mit Menschen, die einen anderen Dialekt sprechen, dermaßen nachhaltig verändert. Dass ihre Eltern aus dem Norden Somalias stammen, habe die Beschwerdeführerin erstmals in der – von einer rechtsberatenden Organisation verfassten – Beschwerde vorgebracht. Vor dem Hintergrund der ursprünglich erstatteten Antworten auf Konfrontationen mit dem Ergebnis der Sprachanalyse sei dieses Vorbringen als Schutzbehauptung zu qualifizieren.

4. In ihrer gegen diese Entscheidung auf Art 144 Abs 1 B VG gestützten Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973, auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gemäß Art 47 GRC und darauf, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden gemäß Art 3 EMRK und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Zusammengefasst bringt die Beschwerdeführerin vor, dass der AsylGH im Hinblick auf das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander zu weiteren Ermittlungen, u.a. zur Frage der Herkunft der Beschwerdeführerin, verpflichtet gewesen sei. Insbesondere hätte eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden müssen, weil es große Widersprüche zwischen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und den Feststellungen der ersten Instanz gegeben habe und die Beschwerdeführerin den Bescheid begründet und nachvollziehbar bekämpft hätte. Zudem habe der AsylGH lediglich die Argumente der ersten Instanz wiederholt, ohne auf das von der Beschwerdeführerin erstattete Vorbringen einzugehen und die Argumente gegeneinander abzuwiegen. Der AsylGH habe sich nicht mit den für die Bejahung der Anspruchsberechtigung sprechenden Gründen auseinander gesetzt. Die Beschwerdeführerin laufe konkret Gefahr, bei Auslieferung nach Somalia erneut einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden.

5. Die belangte Behörde legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

Ein willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem AsylGH vorzuwerfen:

2.1. Die Feststellung, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubwürdig sei, wird vom AsylGH auf die Ergebnisse der durchgeführten Sprachanalyse gestützt, aus welcher sich ergeben hätte, dass sie nicht, wie behauptet, aus Mogadischu bzw. Shabeellaha Hoose im Süden Somalias stammt, sondern ihre sprachliche Herkunft wahrscheinlich vielmehr im nördlichen Somalia liege.

Aus dieser Feststellung zieht der AsylGH den Schluss, dass das gesamte Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei. Damit lässt er aber ihr Vorbringen zu den Ereignissen, die zur Ausreise aus Somalia geführt hätten, völlig außer Betracht. Der AsylGH lässt jegliche Auseinandersetzung mit den für die Prüfung der relevanten Rechtsfrage zentralen Behauptungen vermissen. Der angefochtenen Entscheidung ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass irgendwelche Ermittlungstätigkeiten zum Wahrheitsgehalt der behaupteten Zwangsverheiratung, der Beschneidung und der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der somalischen Behörden im Hinblick auf Angehörige der ethnischen Gruppe der Madhiban gesetzt wurden (zur Asylrelevanz von Zwangsbeschneidungen bereits VfSlg 18.590/2008 und 18.916/2009).

Es ist dem AsylGH grundsätzlich Recht zu geben, wenn er in die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit einer Beschwerdeführerin auch Umstände einfließen lässt, die in keinem Zusammenhang mit dem unmittelbaren Fluchtvorbringen stehen (z.B. Angaben über den Fluchtweg oder das familiäre Umfeld). Für sich allein stehend ist ein solches Argument – mangels Zusammenhanges mit den Fluchtgründen – jedoch nicht hinreichend, um die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens schlüssig zu begründen (vgl. ; , 2001/20/0338).

2.2. Auch den Ausführungen des AsylGH, dass selbst die Wahrunterstellung der Angaben der Beschwerdeführerin zu keinem anderen Ergebnis führen würde, kann nicht gefolgt werden. Diese Schlussfolgerung wird sinngemäß darauf gestützt, dass Al Shabaab zwischenzeitlich aus Mogadischu abgezogen sei und Zwangsverheiratungen mit Angehörigen dieser Gruppe nur in Gebieten stattfinden, die unter deren Kontrolle stehen. Da der AsylGH davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin nicht aus Mogadischu, sondern aus dem Norden von Somalia stammt, kommt diesen Ausführungen kein Begründungswert zu. Vielmehr hätten diese Annahmen den AsylGH dazu anhalten müssen, Feststellungen über die Präsenz von Al Shabaab im nördlichen Somalia zu treffen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U2429.2013