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VfGH vom 19.09.2011, U2359/10

VfGH vom 19.09.2011, U2359/10

19466

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags wegen entschiedener Sache und Ausweisung; keine Ermittlungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, stellte am einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom abgewiesen, festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Gambia zulässig ist und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom abgewiesen.

2. Am stellte der Beschwerdeführer einen zweiten (hier maßgeblichen) Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, die Gründe für seinen Antrag seien dieselben, wie jene, die er zum ersten Asylantrag vorgebracht habe. Seine Tante, die in Frankreich lebe, habe ihm gesagt, dass die Situation in Gambia nach wie vor gefährlich für ihn sei. Er könne sich vorstellen, nach den Präsidentenwahlen im Jahr 2011 nach Gambia zurückzukehren.

2.1. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BAA vom gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) nach Gambia ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des AsylGH vom gemäß § 68 Abs 1 AVG und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 abgewiesen. Begründend führte der AsylGH aus, schon auf Grund des eindeutigen Vorbringens des Beschwerdeführers liege entschiedene Sache iSd § 68 AVG vor. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Rückenschmerzen seien durch nichts belegt worden. Die Situation im Herkunftsstaat habe sich gegenüber dem Zeitpunkt des rechtskräftigen Erkenntnisses des AsylGH vom nicht geändert. Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei zulässig. Er verfüge nach eigenen Angaben über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Trotz mehrjährigen Aufenthalts spreche er nur ein bisschen Deutsch. Außerdem werde seine Integration durch strafgerichtliche Verurteilungen nach dem Suchtmittelgesetz geschmälert.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht und ein Vorabentscheidungsverfahren angeregt wird.

4. Der AsylGH hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt sowie eine Gegenschrift erstattet, in der er den Beschwerdeausführungen entgegentritt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdefalles auch nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der AsylGH dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.1. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem AsylGH bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung unterlaufen:

2.1.1. Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status auch auf die Gewährung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG 2005 gerichtet. Der Umstand, dass in einem auf das AsylG 2005 gestützten Antrag auf internationalen Schutz ein Antrag auch in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz enthalten ist, wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem AsylG 2005 ist der AsylGH verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (; vgl. auch ).

2.1.2. Dieser Verpflichtung ist der AsylGH jedoch nicht nachgekommen. In der angefochtenen Entscheidung finden sich keine Feststellungen zu allfälligen subsidiären Schutzgründen auf Grund der aktuellen Lage in Gambia. Die Entscheidung hält zwar fest, dass sich seit der rechtskräftigen Entscheidung des AsylGH vom die Lage im Herkunftsstaat nicht geändert hat, doch finden sich weder in der Entscheidung des AsylGH noch im Bescheid des BAA nachvollziehbare Feststellungen, die dies begründen. Ebensowenig enthält die Entscheidung des AsylGH vom Feststellungen zur Lage in Gambia. Diese Entscheidung bezieht sich vielmehr auf die im (ersten) Bescheid des BAA vom enthaltenen Feststellungen. Da diese Länderfeststellungen mehrere Jahre alt sind und weder das BAA noch der AsylGH im vorliegenden Verfahren neue Feststellungen zur Lage in Gambia getroffen haben, ist der AsylGH seiner Aufgabe, auch Änderungen im Hinblick auf Gründe für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes zu prüfen, nicht ausreichend nachgekommen. Die angefochtene Entscheidung ist daher mit Willkür belastet.

Der Beschwerdeführer ist somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-

enthalten. Die Eingabegebühr in Höhe von € 220,- ist nicht zuzusprechen, weil mit Beschluss vom Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO (vorläufige Befreiung von der Gerichtsgebühr und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren) gewährt wurde.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.