VfGH vom 12.09.2013, U2346/2012

VfGH vom 12.09.2013, U2346/2012

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines staatenlosen Palästinensers und Ausweisung in den Libanon wegen objektiver Willkür infolge Verkennung der durch die Rechtsprechung des EuGH geklärten Rechtslage; Unterlassung der Prüfung eines etwaigen Vorliegens des "ipso facto"-Schutzes der Statusrichtlinie

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein aus dem Libanon stammender staatenloser Palästinenser. Er stellte am in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe den Libanon aufgrund des Krieges zwischen Israel und den libanesischen Kräften bzw. der Hisbollah-Miliz verlassen. Im Übrigen sei die Situation der palästinensischen Flüchtlinge im Südlibanon sehr unsicher.

2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 6 Abs 1 Z 1 iVm § 3 Abs 3 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl I 100 idgF (im Folgenden: AsylG 2005) ab. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 leg.cit. wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon nicht zuerkannt und gemäß § 10 Abs 1 Z 2 leg.cit. seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Libanon" verfügt. Das Bundesasylamt stellte unter anderem fest, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise dauerhaft im Libanon gelebt habe, wo er bei der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (im Folgenden: UNRWA) als palästinensischer Flüchtling anerkannt und registriert gewesen sei, weshalb der Ausschlussgrund des § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 vorliege.

3. Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 idgF mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass Spruchpunkt I. wie folgt zu lauten habe: "Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 idgF abgewiesen.".

Begründend führt der Asylgerichtshof dazu wörtlich aus:

"[…]

2.2. Wie oben festgestellt wurde, ist der BF als Flüchtling bei der 'United Nations Relief an[d] Works Agency for Palastine Refuge[e]s' (UNRWA) registriert.

Nach einhelliger Ansicht wird Art 1 Abschnitt D GFK derzeit nur auf Personen angewendet, die von der UNRWA Hilfe erhalten oder erhalten können (vgl. Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht, Rz 109; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 241; Schrefler-König/Gruber, Asylrecht, § 6 Anmerkung 2; Reinhard Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 31 Rz 3; UNHCR, Note über die Anwendbarkeit von Artikel I D des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge auf palästinensische Flüchtlinge; , Rn 44).

Damit steht fest, dass der gegenständliche BF grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art 1 Abschnitt D GFK fällt.

2.3. Das Bundesasylamt hat den Antrag auf internationalen Schutz daher in Bezug auf den Status des Asylberechtigten aufgrund des Vorliegens eines Asylausschlussgrundes gemäß § 6 Abs 2 AsylG abgewiesen. Es war also zu prüfen, ob dem BF aufgrund der Bestimmung des Art 1 Abschnitt D Abs 2 GFK bzw. des Art 12 Abs 1 lit a Satz 2 Statusrichtlinie ohne weitere Prüfung ipso facto ein subjektives Recht auf Asylgewährung gebühre oder ob der Antrag gemäß § 6 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AsylG in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.

Dazu ist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom , C-31/09 hinzuweisen, welchem der Antrag einer staatenlosen Palästinenserin aus Gaza an die ungarischen Behörden auf Anerkennung als Flüchtling nach Art 1 Abschn. D 2. Satz der GFK zugrunde lag, zumal sie nunmehr außerhalb des Tätigkeitsgebiets der UNRWA lebe. Sie sei ehedem zwar berechtigt gewesen, den Beistand der UNRWA in Anspruch zu nehmen, habe diesen tatsächlich aber nicht in Anspruch genommen. Die ungarischen Behörden hatten ihren Antrag abgewiesen, diese Abweisung aber auf Art 1 Abschnitt A der GFK gestützt, wobei festgestellt wurde, dass die Antragstellerin keine Verfolgung aufgrund der dort normierten allgemeinen Tatbestände dargelegt habe. In dem Verfahren vor dem EuGH ersuchte das zuständige ungarische Gericht u.a. um Beantwortung der Frage, ob eine Person den Schutz iSd Art 1 Abschnitt D der GFK bzw. Art 12 Abs 1 lita der Qualifikationsrichtlinie schon genießt, wenn sie einen Anspruch auf diesen hat, oder ob es erforderlich sei, dass sie diesen tatsächlich in Anspruch nimmt. Der Europäische Gerichtshof beantwortete diese Frage letztlich dahingehend, dass 'für die Zwecke der Anwendung des Art 12 Abs 1 Buchst. a Satz 1 eine Person den Schutz oder Beistand einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR genießt, wenn sie diesen tatsächlich in Anspruch nimmt' (Rn 53). Sofern sie diesen nicht tatsächlich in Anspruch nehme, könne sie ihren Antrag auf Anerkennung als Flüchtling jedenfalls nach Art 2 lit c der Richtlinie (sinngleich: Art 1 Abschn. A der GFK) prüfen lassen (vgl. Rn 54; vgl. auch die Pressemitteilung des Gerichtshofs der EU, Nr 57/10 v. , Urteil zu C-31/09).

Dem BF gebührt somit aufgrund der Bestimmung des Art 1 Abschnitt D Abs 2 GFK bzw. Art 12 Abs 1 lit a Satz 2 Statusrichtlinie nicht bereits automatisch ('ipso facto') die Anerkennung als Flüchtling und geht dies auch aus der Entscheidung des , nicht hervor. Ebenso führt der UNHCR aus, dass sich der Betroffene in dem Fall, dass er sich außerhalb des Mandatsgebietes aufhält, nicht ipso facto auf die Schutzbestimmungen der Konvention berufen könne, jedoch die Prüfung seiner Flüchtlingseigenschaft in einem Feststellungsverfahren möglich sei (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rn 143).

Aus Art 1 Abschnitt D Abs 2 GFK bzw. Art 12 Abs 1 lit a Satz 2 Statusrichtlinie geht hervor, dass die Ausschlussklausel des Abs 1 (bzw. Satz 1) dann nicht zum Tragen kommt, wenn ein solcher Schutz oder Beistand (gemeint: durch eine Organisation oder Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR) aus irgendeinem Grund nicht oder nicht länger gewährt wird. Daraus ist wiederum abzuleiten, dass zu prüfen ist, ob dem BF bei einer Rückkehr der Zugang zu effektivem Schutz im UNRWA-Einsatzgebiet möglich ist.

Nur in dem Fall, dass die betroffene Person – auch nach freiwilliger Ausreise – entweder mangels Erlaubnis des jeweiligen Staates nicht in das UNRWA-Mandatsgebiet zurückkehren kann, in dem sie effektiven Schutz erhalten hat, oder aus anderen Gründen als aus ihrem eigenen Belieben nicht heimkehren kann bzw. will, z.B. weil sie glaubhaft darlegen kann, in diesem Staat verfolgt zu werden, bedarf es keiner Prüfung der Voraussetzungen des Art 1 Abschnitt A GFK (vgl. Pinter, Fremden- und Asylrecht 3 , Internationales Flüchtlingsrecht, 15). Dies ist auch insofern konsequent, zumal sich der in Art 1 Abschnitt D GFK genannte Schutz oder Beistand, welcher zu einem Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling führt, primär auf die Umstände bezieht, die zur Flucht aus dem ehemaligen Völkerbundgebiet Palästina geführt haben, und nicht auf die Situation in den jeweiligen Erstzufluchtsländern (im konkreten Fall auf die Situation im Libanon). Der BF beruft sich jedoch gegenständlich auf die Situation im Libanon und fällt daher (auch) nach der genannten Entscheidung des (Rn 54) unter die allgemeinen Vorschriften der Konvention. Demnach ist sein Antrag auf internationalen Schutz weder 'ohne weitere Prüfung' iSd § 6 Abs 2 AsylG abzuweisen, noch ist diesem ipso facto stattzugeben, sondern ist dieser individuell zu prüfen und kann ihm nur im Falle einer Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A der GFK genannten Gründen stattgegeben werden (vgl. Schrefler-König/Gruber, Asylrecht, § 6 Anmerkung 2).

2.4. Folglich war das Vorbringen des BF hinsichtlich der Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgung zu prüfen, zumal bei einer Rückkehrverweigerung aus 'eigenem Belieben' die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ipso facto anzuwenden sind.

Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. Zl. 2000/20/0241; Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. Zl. 99/20/0273; Zl. 99/011/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. Zl. 98/20/0233; Zl. 98/01/0318).

2.5. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, konnte der BF keine maßgebliche Gefahr einer Verfolgung für den Fall seiner Rückkehr in den Libanon glaubhaft machen. Eine Asylgewährung kommt deshalb nicht in Betracht.

Die Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe alleine reicht ebenso wenig für eine Asylgewährung aus, zumal sich aus den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen ergibt, dass asylrelevante Repressionen, die über allgemeine Diskriminierungen insbesondere am Arbeitsmarkt bzw. im Erwerbsleben hinausgehen, im Libanon allein aufgrund der palästinensischen Volksgruppenzugehörigkeit nicht bekannt sind.

Sonstige Gründe, die ihn zum Verlassen des Herkunftslandes bewogen hätten, insbesondere staatliche Repressionen, hat der BF nicht vorgebracht.

2.6. Vor diesem Hintergrund war daher die Beschwerde gegen Spruchteil I des

angefochtenen Bescheides mit der genannten Maßgabe abzuweisen.

[…]"

4. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die vorliegende, auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt wird.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm – unter Hinweis auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung – von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Rechtslage

1. Die §§3 und 6 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005AsylG 2005), BGBl I 100/2005, lauten wie folgt:

"2. Hauptstück

Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten

1. Abschnitt

Status des Asylberechtigten

§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden ist von Amts wegen und ohne weiteres Verfahren der Status

des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn sich die Republik Österreich völkerrechtlich dazu verpflichtet hat.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

[…]

Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten

ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2. einer der in Art 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3. er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens

eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. […]"

2. Art 1 Abschnitt D und Art 5 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955 idF BGBl 78/1974 (im Folgenden: GFK), lauten wie folgt:

"Artikel 1

Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'

[…]

D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten. Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig.

[…]

Artikel 5

Rechte außerhalb des Abkommens

Dieses Abkommen soll keinerlei Rechte oder Vorteile, die von einem vertragschließenden Staat vor oder neben diesem Abkommen gewährt wurden, beeinträchtigen."

3. Die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Art 2, 12, 38 und 39 der Richtlinie 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304, 12 ff. (im Folgenden: Status-RL) haben folgenden Wortlaut:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

[…]

b) 'Genfer Flüchtlingskonvention' das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom in der durch das New Yorker Protokoll vom geänderten Fassung;

c) 'Flüchtling' einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb

des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

[…]

Artikel 12

Ausschluss

(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;

b) von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat.

[…]

Artikel 38

Umsetzung

(1) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie spätestens bis zum nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf

diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.

[…]

Artikel 39

Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

3. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4. Ein derartiger Fall liegt hier vor:

4.1. Der Beschwerdeführer legte im Asylverfahren die "UNRWA Registration Card" seines Vaters vor, in welcher er als unverheirateter Sohn eingetragen ist. Bei der UNRWA handelt es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen iSd Art 1 Abschnitt D der GFK, auf den sowohl Art 12 Abs 1 lita Status-RL sowie § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 Bezug nehmen. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich dem Schutz einer von Art 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation unterstehen, unterscheidet sich in folgender Hinsicht von jener anderer Asylwerber: Art 12 Abs 1 lita Status-RL sieht – in Entsprechung des Art 1 Abschnitt D GFK – einerseits vor, dass Drittstaatsangehörige oder Staatenlose von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, wenn sie unter dem Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Art 1 Abschnitt D GFK stehen. Andererseits genießen vom Anwendungsbereich der genannten Bestimmungen erfasste Personen dann, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw. der GFK. Auf Grund dieses in Art 12 Abs 1 der Status-RL angeordneten "ipso facto" Schutzes sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung erfassten Personen auf Antrag den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn der Beistand einer Organisation der Vereinten Nationen iSd Art 1 Abschnitt D GFK "aus irgendeinem Grund" wegfällt und keiner der in Art 12 Abs 1 litb oder Abs 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. , Mostafa Abed El Karem El Kott ua. , Rz 76).

4.2. Österreich ist seiner Verpflichtung, die Status-RL und damit auch den genannten Art 12 der Status-RL in innerstaatliches Recht umzusetzen, insoweit nachgekommen, als nach dem in § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 normierten Asylausschlussgrund einem Fremden kein Asyl gewährt werden kann, "so lange er Schutz gemäß Art 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt". Eine ausdrückliche Regelung, die die – in Satz 2 des Art 12 Abs 1 lita Status-RL vorgesehene – "ipso facto"-Zuerkennung von Asyl an Personen, denen gegenüber der Beistand der UNRWA "aus irgendeinem Grund" weggefallen ist, anordnen würde, enthält das AsylG 2005 jedoch nicht. Der "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung von Personen, die unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, als diese – im Unterschied zu nicht unter Art 12 Abs 1 lita der Status-RL fallende Personen – für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft machen müssen, sondern nur darzutun haben, dass sie unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, dass dieser Beistand aus irgendeinem Grund weggefallen ist und dass keiner der in Art 12 Abs 1 litb oder Abs 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. , Mostafa Abed El Karem El Kott ua. , Rz 76). Somit dürfte es sich bei dem zweiten Satz des Art 12 lita Status-RL um eine den Einzelnen begünstigende unionsrechtliche Regelung handeln, die mangels Umsetzung innerhalb der am abgelaufenen Umsetzungsfrist (vgl. Art 38 Status-RL) unmittelbar anzuwenden sein dürfte.

4.3. Da der Asylgerichtshof nicht vom Vorliegen des Asylausschlussgrundes des § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 ausgegangen ist, war die Frage von Bedeutung, ob der Beschwerdeführer nicht "ipso facto" den Schutz der Status-RL genießt, weil ihm der Beistand der UNRWA zwar in der Vergangenheit gewährt wurde, nunmehr jedoch "aus irgendeinem Grund" iSd Status-RL nicht mehr gewährt wird. In seiner im Dezember 2012 – und somit nach der vorliegenden Entscheidung des Asylgerichtshofes ergangenen – Entscheidung in der Rechtssache El Kott führte der Gerichtshof der Europäischen Union aus, dass die nationalen Behörden für "die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung […] tatsächlich nicht länger gewährt wird, […] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (, Mostafa Abed El Karem El Kott ua. , Rz 61; vgl. insbesondere auch Rz 65). Da der Asylgerichtshof diesbezügliche Ermittlungshandlungen verabsäumt und lediglich geprüft hat, ob eine individuelle Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A der GFK gegeben ist, hat er die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union geklärte Rechtslage in maßgeblicher Weise verkannt und damit objektive Willkür geübt.

4.4. Der Verfassungsgerichtshof hat auch nach Klärung von unionsrechtlichen Rechtsfragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union dadurch offenkundig gewordene Fehler in der rechtlichen Beurteilung des Asylgerichtshofes aufzugreifen. Er hat nämlich eine festgestellte Rechtswidrigkeit der Gesetzesanwendung im Sinne der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts in jedem Stadium des Verfahrens zu beachten, und zwar auch dann, wenn die korrekte Auslegung des Unionsrechts erst im Zuge des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof offenkundig wurde (vgl. VfSlg 15.448/1999; ; ).

5. Im fortgesetzten Verfahren wird der Asylgerichtshof zu prüfen haben, ob er über die Beschwerde auf Grund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott entscheiden kann, oder ob er vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles gegebenenfalls weitere Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union richten muss.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2013:U2346.2012