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VfGH vom 11.06.2012, U2344/11

VfGH vom 11.06.2012, U2344/11

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in entscheidungswesentlichen Punkten; willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes

Spruch

I.1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien abgewiesen wird, in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

3. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger, reiste am illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am wurde das Asylverfahren des Beschwerdeführers (nach Einholung einer Zentralmelderegisterauskunft mit negativem Ergebnis) eingestellt. Am wurde der Beschwerdeführer aus Norwegen, wo er unter anderem Namen aufgetreten ist, nach Österreich überstellt. Im Rahmen seiner am vom Bundesasylamt durchgeführten Einvernahme begründete der Beschwerdeführer seinen Asylantrag im Wesentlichen damit, dass er wegen seiner früheren Beschäftigung als Leibwächter für Abaschidze in seinem Heimatland verfolgt werde.

2. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG 1997), BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002, ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 8 Abs 1 "AsylG 1997 idgF" für zulässig und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

3. In der dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wiederholte der Beschwerdeführer sein bisheriges Fluchtvorbringen.

4. Im Rahmen der beim Asylgerichtshof am abgehaltenen öffentlichen mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer demgegenüber als Fluchtgrund an, bis zum Jahr 2003 bei der Zollbehörde an der türkischen Grenze gearbeitet zu haben, wo die teils hohen Zolleinnahmen nicht dem Staat, sondern einer näher genannten Organisation zugeflossen seien. Man benötige ihn als Zeugen, um die Auftraggeber auszuforschen. Auf Vorhalt der Widersprüchlichkeit seiner Angaben bestritt der Beschwerdeführer, jemals vorgebracht zu haben, als Leibwächter tätig gewesen zu sein.

5. Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die Beschwerde nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung am gemäß §§7 und 8 Abs 1 AsylG 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003, mit der Maßgabe ab, dass der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. 28/2011, aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen wird.

Begründend wird auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt, dass das Beschwerdevorbringen mit Blick auf die gegensätzliche Darstellung in Bezug auf die Fluchtgründe völlig unglaubwürdig sei. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen im technischen Bereich (Schiffbaudiplom des Technikums Leningrad) sehr gut ausgebildeten Erwachsenen, der in der Lage sei, im Herkunftsstaat für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. In Georgien sei kein "real risk" einer unmenschlichen Behandlung festzustellen, es herrsche weder Bürgerkriegssituation noch eine sonstige extreme Gefahrenlage, die eine nachhaltige Bedrohung für Leib und Leben darstelle. Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung hält der Asylgerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer zwar bereits seit November 2003 in Österreich aufhältig sei und über geringe Deutschkenntnisse verfüge, ohne jedoch entsprechenden Zertifikate beigebracht zu haben; ungeachtet der Vorlage einer Einstellungszusage sei er nicht selbsterhaltungsfähig. Trotz bestehender Kontakte zu Österreichern und zu seiner (nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden) Verlobten, einer russischen Staatsangehörigen, die ebenfalls Asylwerberin sei, seien keine tiefer gehenden Bindungen an Österreich erkennbar. Nach Ansicht des Asylgerichtshofes überwögen daher die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet.

6. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Leben und nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf ein faires Verfahren geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. In der Beschwerde wird der vor dem Asylgerichtshof geschilderte Fluchtgrund wiederholt.

7. Der Asylgerichtshof hat die Verfahrensakten

vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die -

zulässige - Beschwerde erwogen:

2. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung und die Ausweisung nach Georgien wendet, im Ergebnis begründet:

2.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB

VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.3. Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (zB VfSlg. 18.614/2008, 19.181/2010). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2.4. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen.

2.4.1. Der Asylgerichtshof hat in der bekämpften Entscheidung zur Lage in Georgien lediglich Folgendes festgehalten:

"Nicht festgestellt werden kann, dass der beschwerdeführenden Partei im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung oder eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention droht."

"Der Beschwerdeführer hat in [seinem] Verfahren keinerlei Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK bzw. Art 3 EMRK sprechen würden, vorgebracht, sodass keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR feststellbar waren, die gegen eine Abschiebung nach Georgien sprechen würden. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen sehr gut technisch ausgebildeten Erwachsenen, der sehr wohl aufgrund seines im Verfahren festgestellten Gesundheitszustandes und insbesondere aufgrund seiner Ausbildung in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und insofern nicht in eine unmenschliche Lage im Sinne des Art 3 EMRK geraten würde.

Da in Georgien weder grobe, massenhafte Menschenrechtsverletzungen unsanktioniert erfolgen, noch nach den getroffenen Feststellungen von einer völligen behördlichen Willkür auszugehen ist, ist auch kein 'real risk' (...) einer unmenschlichen Behandlung festzustellen. Darüber hinaus herrscht in Georgien weder eine Bürgerkriegssituation, noch eine sonstige derart extreme Gefahrenlage, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, eine Gefahr für Leib und Leben im hohen Maße droht."

2.4.2. Auf welchen Erkenntnisquellen die Feststellungen über die Lage in Georgien beruhen, ist der gesamten Entscheidung (die auch keine Bezugnahme auf den - im Übrigen rund sechseinhalb Jahre zurückliegenden - Bescheid des Bundesylamtes enthält) nicht zu entnehmen. Damit ist das angefochtene Erkenntnis aber im erheblichen Punkt der Refoulementprüfung mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet (VfSlg. 18.646/2008, 19.181/2010; ), weil die maßgebliche Erwägungen der Entscheidung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes aus der Begründung der Entscheidung selbst hervorgehen müssen (VfSlg. 18.614/2008).

2.4.3. Zwar hat der Asylgerichtshof - indes ohne jegliche Verwertung in seiner Entscheidung - dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vom sowohl eigene - mit dem Hinweis "Stand " versehene - Länderfeststellungen als auch "ACCORD-Anfragebeantwortungen" vom sowie vom und eine "SFH-Länderanalyse" vom zur Stellungnahme binnen einer (ungenützt verstrichenen) Frist von vier Wochen ausgefolgt. Alle diese Unterlagen beruhen aber auf Berichten, deren jüngster aus dem Jahr 2008 stammt. Diese Unterlagen sind nicht geeignet, die Gefährdung von Rechten nach Art 2 und 3 EMRK für rückkehrende Personen im Sinne einer allfälligen maßgeblichen Verschlechterung der Situation zum Zeitpunkt der Entscheidung des Asylgerichtshofes (rund drei Jahre später) auszuschließen. Der Asylgerichtshof hat daher auch die gebotene Einholung aktueller Erkenntnisquellen verabsäumt, obwohl dies vor dem Hintergrund der Durchführung einer weiteren Verhandlung am indiziert gewesen wäre.

2.5. Der Beschwerdeführer ist insofern im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.5.1. Da die Ausweisung aus dem Bundesgebiet u.a. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung voraussetzt, ist die Entscheidung, soweit sie die Zulässigkeit der Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien betrifft, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen dazu einzugehen war.

2.5.2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

3. Hingegen wird die Behandlung der Beschwerde,

soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet, aus folgenden Gründen abgelehnt:

3.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Das Asylverfahren ist jedoch nicht von Art 6 EMRK

erfasst (vgl. VfSlg. 13.831/1994).

3.2. Die in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

3.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG sowie § 19 Abs 4 erster Satz leg.cit. ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.