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VfGH vom 11.06.2012, U230/12

VfGH vom 11.06.2012, U230/12

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in entscheidungswesentlichen Punkten; willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes

Spruch

I.1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz

BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

3. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am einen Asylantrag. Seinen Antrag begründend gab er an, in Indien Probleme mit Sikh-Extremisten gehabt zu haben. Diese Probleme hätten etwa 1994 begonnen, als Sikh-Extremisten zum Bauernhof der Familie des Beschwerdeführers gekommen wären und Verpflegung verlangt hätten. Die örtliche Polizei hätte jedoch davon erfahren und den Beschwerdeführer in weiterer Folge verhört. Nur infolge einer Intervention durch einflussreiche Personen wäre er wieder frei gekommen. Die Sikh-Extremisten hätten daraufhin den Beschwerdeführer verdächtigt, Informationen preisgegeben zu haben. Auf Grund dieser Drucksituation hätte er Indien verlassen.

1.2. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 3 AsylG, BGBl. 8/1992, ab. Diese Entscheidung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom aufgehoben und die Sache an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

1.3. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997, idF BGBl. I 126/2002, ab, erklärte gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997) die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig und wies ihn gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

2. Die dagegen erhobene Berufung (gemäß § 23 Abs 1 AsylGHG nunmehr als Beschwerde bezeichnet) vom wies der Asylgerichtshof nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat am sowie zweier mündlicher Verhandlungen vor dem Asylgerichtshof am und mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§7, 8 Abs 1 AsylG 1997 und § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005, idF BGBl. I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005), mit der Maßgabe ab, dass der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Indien" ausgewiesen werde.

2.1. Der Asylgerichtshof geht dabei - nach gutachterlichen Erhebungen im Herkunftsland des Beschwerdeführers - von der Unglaubwürdigkeit seiner Angaben aus, weil er sich im Zuge seiner Einvernahmen in gravierende Widersprüche verstrickt habe. Da der Beschwerdeführer die behaupteten Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können, lägen die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl nicht vor. Weiters seien keine exzeptionellen Umstände zutage getreten, die im Rahmen einer Abschiebung des Beschwerdeführers eine Verletzung der Art 2 oder 3 EMRK bedeuten würden. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig, was ihm auch ärztlich attestiert worden sei. Er habe bereits als Landwirt gearbeitet und verfüge in Indien über familiären Rückhalt.

2.2. Die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet begründet der Asylgerichtshof mit nachstehenden Ausführungen:

"Im Rahmen der Verhandlung vor dem erkennenden

Gericht am gab der Beschwerdeführer an, seine Familie lebe nach wie vor in Indien und sei von ihm finanziell abhängig. Alle zwei Monate schicke er ihr 100 Euro. Das Haus, in dem seine Familie in Indien wohne, gehöre ihm.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Freunde; seine Kontakte beziehen sich auf Personen, die das Heim der Volkshilfe, in dem er lebt, betreuen. Der Beschwerdeführer ist trotz seiner langen Aufenthalt[s]dauer der deutschen Sprache nicht mächtig (Er unterhält sich mit seiner Kontaktperson der Volkshilfe in englischer Sprache). Er geht keiner geregelten Arbeit nach und bezieht finanzielle Unterstützung (Grundversorgung).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Fall des Beschwerdeführer[s] eine schützenswerte Integration nicht erfolgt ist. Der Asylgerichtshof hat daher keinen Grund anzunehmen, dass der Ausweisung Hindernisse entgegenstehen."

3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm sowie die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art 83 Abs 2 B-VG, Art 3 und 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

4. Der Asylgerichtshof übermittelte die Verfahrensakten und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Betreffend die verfügte Ausweisung wird im Wesentlichen auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen und festgehalten, dass die durchgeführte Interessenabwägung der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Verfassungsgerichtshofes entspreche. Die öffentlichen Interessen überwögen die privaten Interessen des Beschwerdeführers an seinem Verbleib im Bundesgebiet.

II. Erwägungen

A. Die - zulässige - Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien richtet, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB

VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa

VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000).

2. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem

belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Der Asylgerichtshof begründet die Ausweisung des Beschwerdeführers im Rahmen äußerst kurz gehaltener Ausführungen lediglich damit, dass dieser in Österreich keine Freunde habe und sich seine Kontakte bloß auf Personen bezögen, die das Heim der Volkshilfe, in dem er lebt, betreuen. Der Beschwerdeführer sei trotz seiner langen Aufenthaltsdauer der deutschen Sprache nicht mächtig. Ferner gehe er keiner geregelten Arbeit nach und beziehe finanzielle Unterstützung aus der Grundversorgung.

2.2. Mit diesen Ausführungen setzt der Asylgerichtshof die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet jedoch primär bloß in Bezug zu seinen mangelnden Deutschkenntnissen. Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung des Asylgerichtshofes bereits seit über 14 Jahren - und somit über einen verhältnismäßig sehr langen Zeitraum - im Bundesgebiet befand, wird als eigenes Abwägungskriterium hingegen nicht berücksichtigt; statt dessen spricht der Asylgerichtshof dem unbescholtenen Beschwerdeführer trotz dessen langjährigen Aufenthaltes in Österreich eine schützenswerte Integration gänzlich ab. Vor allem die Tatsache, dass den Beschwerdeführer an der langen Dauer seines Asylverfahrens kein Verschulden trägt, findet keine Berücksichtigung (vgl. VfSlg. 19.203/2010).

2.3. Hinzu kommt, dass die letzte mündliche

Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am stattfand, die angefochtene Entscheidung aber erst - mehr als ein Jahr später - am getroffen wurde. Schon auf Grund des langen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet wäre es auch Aufgabe des Asylgerichtshofes gewesen, zu ermitteln, ob die Integration des Beschwerdeführers im Zeitraum seit der letzten mündlichen Verhandlung fortgeschritten ist. Der Asylgerichtshof hätte diese Ermittlungsergebnisse sodann nach dem Kriterienkatalog des § 10 Abs 2 Z 2 AsylG 2005 umfassend abwägen müssen.

3. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen:

3.1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Abweisung seiner Beschwerde betreffend die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgesprochen wird, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Die Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben.

3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

3.3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

B. Soweit die Beschwerde im Übrigen die Abweisung des Asylantrags und die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat bekämpft, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung

einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. In der Beschwerde wird - ohne nähere Begründung - vorgebracht, der Beschwerdeführer sei wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt. Der Verfassungsgerichtshof hegt aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalls keine rechtlichen Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung. Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

3. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s. etwa EGMR , Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 [319];

, Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 [309];

, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Der Asylgerichtshof hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg. 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005; zu den krankheitsbedingten Gründen vgl. auch VfSlg. 18.407/2008 und ). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Was das Beschwerdevorbringen betreffend eine Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG betrifft, wird auf das Erkenntnis , verwiesen.

4. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit der Beschwerdeführer damit die Abweisung seines Asylantrags und die Feststellung der Zulässigkeit ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat bekämpft, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).