VfGH vom 12.12.2013, U2272/2012
19837
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Ausweisung des Beschwerdeführers in den Iran infolge Unterlassung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens, insbesondere mangels sorgfältiger Auseinandersetzung mit den Gründen der Konversion des Beschwerdeführers vom Islam zum Christentum sowie einer etwaigen asylrelevanten Verfolgung; widersprüchliche Länderfeststellungen
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener Staatsangehöriger des Iran, reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Begründend gab er an, dass er in seinem Herkunftsstaat ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau gepflegt habe, weshalb er verurteilt und gesteinigt werden könne. Zudem befürchte er Racheaktionen des Ehemannes der genannten Frau.
2. Das Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 75/2007 ab, wies den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 Z 1 leg.cit. ab und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran aus.
3. Nach der gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom eingebrachten Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde das Verfahren wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers mit Anordnung des Asylgerichtshofes vom zunächst eingestellt und nach Bekanntgabe der Adresse durch den Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom fortgesetzt.
4. Am brachte der Beschwerdeführer eine Taufbestätigung der Evangelikalen Freikirchlichen Gemeinde Mödling in Vorlage, nach welcher er am getauft worden sei. Dazu führte er unter anderem aus, dass er sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und nunmehr asylrelevante Verfolgung aus religiösen Gründen zu gewärtigen habe.
5. Am fand vor dem Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zunächst angab, dass sein bisher getätigtes Fluchtvorbringen nicht der Wahrheit entspreche. Es gebe jedoch mittlerweile einen neuen Fluchtgrund, weil er in Österreich zum Christentum konvertiert sei und deshalb nicht in den Iran zurückkehren könne. Zu seinem Religionswechsel befragt, gab der Beschwerdeführer insbesondere Folgendes an:
"[…]
VR: Wann waren Sie zuletzt in einem Gottesdienst?
BF: Letzten Sonntag.
VR: Bei wem und wo waren Sie?
BF: Ich war in der HAMGAM Kirche.
VR: Wie läuft dort der Gottesdienst ab, können Sie das kurz beschreiben?
BF: Wir beten am Anfang, dann spielt eine Gruppe Musik, wir [s]ingen und das immer wieder und dazwischen beten wir. Dann kommt der Pfarrer und er predigt. Nach der Predigt singen wir wieder ein paar Lieder. Wir geben die Geschenke, das Geld, an die Kirche ab. Wir beten für die Woche[,] die wir vor uns haben, das war alles.
VR: Werden bestimmte Gebete gesprochen?
BF: Jeder kann sein eigenes Gebet sprechen. Ich bedanke mich bei Gott, dass ich gesund bin, dass er mir meinen Weg gezeigt hat und ich bedanke mich bei ihm, weil er mir erlaubt hat[,] alles zu benützen[,] was er erschaffen hat. Ich habe zu ihm gebetet, alle Menschen[,] die in ihren Gedanken gefangen sind, sollen durch Jesus Christus befreit werden.
VR: Ist ein Kreuz in dieser Kirche?
BF: Ja.
VR: Können Sie etwas über die Evangelien sagen, was wissen Sie darüber?
BF: Es sind die vier Evangelisten. Lukas, Johannes[,] Matthäus und Markus.
VR: Was waren das für Personen?
BF: Johannes und Matthäus waren Schüler, aber Markus und Lukas waren Anhänger von Jesus Christus, die später an ihn glaubten.
VR: Was wissen Sie über die biblische Figur Paulus?
BF: Er war ein Jude und er hat sehr viel über das Christentum gewusst. Er hat auch Christen belästigt, als Stefan umgebracht worden ist, war er auch anwesend. In der Zeit wurde er auch selbst ein Anhänger von Jesus, er war ein sehr treuer Anhänger von Jesus. Er hat auch viele Briefe an verschiedenen Personen geschrieben und verschickt.
VR: Haben Sie einen Pauls-Brief gelesen?
BF: Ja.
VR: Gibt es einen Brief[,] der einen besonderen Eindruck auf Sie gemacht hat?
BF: Nein, ich weiß jetzt keinen.
VR: Wann haben Sie zuletzt in der Bibel gelesen?
BF: Gestern in der Nacht.
VR: Welche Stelle haben Sie gelesen?
BF: Philipian.
VR: Erzählen Sie den Inhalt.
BF: Es waren die Verse 4.6. Macht euch um nichts Sorgen, das wa[s] ihr wollt, betet zu uns und seit dankbar für alles, was ihr euch wünscht wird in Erfüllung gehen.
VR: Wo findet man diese Verse?
BF: Im Neuen Testament, 'Philipian' Verse 4 Teil 6.
[…]"
6. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§3, 8 und 10 Asylgesetz 2005 idF BGBl I 87/2012 ab. Darin traf der Asylgerichtshof unter anderem folgende Länderfeststellungen:
"Muslime und Angehörige der drei weiteren durch die Verfassung anerkannten Religionsgemeinschaften (Christentum, Zoroastrismus und Judentum) leben im Wesentlichen friedlich nebeneinander. Die anerkannten Buchreligionen dürfen ihren Kult ausüben. Religionsfreiheit besteht dagegen nicht: Insbesondere die religiöse Minderheit der Baha'i wird diskriminiert. Konvertierung von Muslimen zu einem anderen Glauben – auch dem Christentum – kann als Apostasie auch mit dem Tode bestraft werden. Gegen missionierende Gruppierungen wird aktiv vorgegangen.
[…]
Konvertiten droht Verfolgung und Bestrafung, bis hin zur Todesstrafe. Es gibt nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts allerdings auch Konvertiten, die unbehelligt eine der anerkannten Religionen ausüben. Die Konvertiten und die Gemeinden, denen sie angehören, stehen jedoch insofern unter Druck, als den Konvertiten hohe Strafen drohen und auch die Gemeinden mit Konsequenzen rechnen müssen (z.B. Schließung), wenn die Existenz von Konvertiten in der Gemeinde öffentlich bekannt wird. Zum anderen wird die 'Ausübung' der Religion restriktiv ausgelegt und schließt jede missionierende Tätigkeit aus. Missionierende Angehörige auch von Buchreligionen werden verfolgt und hart bestraft, ihnen kann als 'Mohareb' […] sogar eine Verurteilung zum Tode drohen.
[…]
Repressionen betreffen missionierende Christen, unabhängig davon, ob diese zuvor konvertiert sind. […] Die Suche nach bzw. Verfolgung von Konvertiten und Missionaren erfolgt nicht strikt systematisch, sondern stichprobenartig. Die Behörden reagieren insbesondere auch auf Hinweise aus der Bevölkerung. Im Oktober 2010 wurde dem bereits im Jahr 2008 festgenommenen Pastor ****** **********, Leiter einer örtlichen Hauskirche in Rasht (ca. 100 Mitglieder), die zur 'Jesus Only'-Richtung der Pfingstkirchen gehört, mit der Todesstrafe wegen Apostasie gedroht. Im Juni 2011 erging vom Obersten Gerichtshof ein Urteil, das das erstinstanzlich verhängte Urteil kassierte und den Fall an das erstinstanzliche Gericht zurückverwies mit dem Auftrag, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Gleichzeitig wurde in dem Urteil festgehalten, dass das Todesurteil aufrechterhalten werden sollte, wenn sich der Verdacht der Apostasie bestätigte. Zuletzt häuften sich auch Festnahmen mehrerer Angehöriger von christlichen Freikirchen u.a. in Mashhad, die jedoch jeweils nach wenigen Tagen bis wenigen Wochen wieder freigelassen wurden. Nach glaubwürdigen Informationen werden Kirchen systematisch von staatlichen Stellen unter Druck gesetzt, Listen aller Gemeindemitglieder zur Verfügung zu stellen.
Zum Christentum konvertierte Muslime sind in der Regel keinen Repressionen durch Dritte ausgesetzt." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
Zur Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten hält der Asylgerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer keinen asylrelevanten Verfolgungsgrund glaubhaft gemacht habe. In seiner Beweiswürdigung bzw. rechtlichen Beurteilung führt der Asylgerichtshof hiezu Folgendes aus:
"Hinsichtlich seines Vorbringens, mit dem der BF nunmehr den Antrag auf internationalen Schutz stützen möchte (Glaubenswechsel), ist der BF jedoch persönlich keineswegs glaubwürdig. Diesen Schluss zieht der Asylgerichtshof daraus, dass der BF zunächst einmal seinen Antrag auf internationalen Schutz auf unwahre Angaben gestützt und das Asylverfahren mit gleichbleibender Begründung bis Mai 2012 – somit mehr als 4 ½ Jahr[e] lang betrieben hat. […]
Der Asylgerichtshof kann dem BF nicht folgen, wenn er nunmehr implizit behauptet, seine Glaubensüberzeugungen seien so tief, dass er ein anderes als - in religiöser Hinsicht - christliches Leben nicht mehr führen könne und die Geheimhaltung des Glaubenswechsels sei ihm nicht mehr zumutbar. Die stark erschütterte persönliche Glaubwürdigkeit des BF kann nicht durch die seinen Äußerungen zu entnehmende Beteuerung wieder hergestellt werden, gerade durch den Glaubenswechsel habe er die Überzeugung gewonnen, nicht mehr lügen zu wollen (vergl. Verhandlungsschrift S 4). Auch die übrigen Angaben zu seiner Motivation sind oberflächlich und wirken angesichts des Umstandes, dass er bis dahin sein Asylvorbringen auf ein erfundenes Vorbringen stützte, wenig überzeugend. Der Asylgerichtshof sieht im nunmehr völlig ausgewechselten Asylvorbringen lediglich den Versuch, durch ein weiteres, nicht den Tatsachen entsprechendes Vorbringen in Österreich einen Aufenthaltstitel zu erlangen.
Für das Vorliegen unlauterer Motive spricht, dass der BF noch während seines Aufenthaltes im Herkunftsland kein gläubiger Mensch war (Verhandlungsschrift S 5). Offenbar war ihm dies auch gar nicht wichtig. Der BF konnte im Verfahren nicht objektivierbar darlegen, aus welchen persönlichen Überlegungen heraus er dem Thema Religion nach mehr als 4 1/2-jähriger Verfahrensdauer nun doch diese Bedeutung beimisst, dass er sogar in eine andere Religion konvertiert ist. Gerade bei einem Konvertiten, der aus tiefer innerer Überzeugung den Glauben wechselt, wäre zu erwarten, dass er sich grundsätzlich mit Glaubensfragen und Fragen des Seins beschäftigt, auch wenn er früher einer anderen Religion angehört hat als zum jetzigen Zeitpunkt. Solche Überlegungen hat der BF jedoch nicht angestellt, sondern seine Motivation in der Beschwerdeverhandlung wie folgt nur oberflächlich beschrieben: In der Unterkunft (Pension) habe er Freunde (der BF meinte: Mitbewohner, die ebenfalls Asylwerber waren) gefunden, durch die er die neue Religion kennen gelernt hätte. Nachdem er von der Erstinstanz den negativen Bescheid erhalten hatte, hätte er sich mit dem Pfarrer in S. angefreundet (Verhandlungsschrift S 5). Er habe hier in Österreich – ohne es selbst bemerkt zu haben – einen neuen Weg eingeschlagen und er habe bemerkt, dass sich sein Charakter verändert habe. Auf diese Weise sei er zur neuen Religion gekommen (vergl. Verhandlungsschrift S 5).
Aus den angeführten Angaben geht hervor, dass die Kontaktaufnahme mit der christlichen Religion und die Beschäftigung damit wohl überwiegend durch seine Situation als Asylwerber und die sich daraus bietende Gelegenheit, die Nähe zu Mitgliedern einer Kirche zu nutzen, bedingt war als eine intrinsische Motivation zu einem Glaubenswechsel objektiv als gegeben angesehen werden könnte. Der BF lässt sogar durchblicken, dass die erstinstanzlich negative Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz eine Rolle dabei gespielt hat, dass er den Kontakt zur christlichen Gemeinde aufgenommen hat (vergl. Verhandlungsschrift S 5: 'VR: Wann haben Sie zum ersten Mal mit jemanden Kontakt gehabt, wobei der Religionswechsel angesprochen wurde? - BF: Das war in der Zeit, in der ich in der Pension gelebt habe und ich meinen negativen Bescheid bekommen habe, habe ich mich mit dem Pfarrer von Sieggraben angefreundet'.). Dem BF gelingt es nicht, einen von innerer Überzeugung und Ernsthaftigkeit getragenen Glaubenswechsel und damit eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Daran vermag auch die vorgelegte Taufbestätigung der Evangelikalen Freikirchlichen Gemeinde Mödling, wonach der BF dort am getauft worden war, nichts zu ändern. Dieser Umstand wird vom Asylgerichtshof nicht in Zweifel gezogen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Faktenwissen über das Christentum auch in der Situation des BF leicht verfügbar und für einen intellektuellen Menschen ohne großen Aufwand erlernbar ist. Dies allein sagt naturgemäß nur wenig darüber aus, ob der Betreffende tatsächlich und mit Ernsthaftigkeit einen Glaubenswechsel anstrebt oder durchgeführt hat. Obwohl der BF nach seinen Angaben bereits vor ca. 4 Jahren einen Glaubenskurs bei einer Kirche besucht hätte (Verhandlungsschrift S 5), hat er diesen Umstand im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz erst im Mai 2012 und in der Beschwerdeverhandlung am erwähnt. Folglich ist anzunehmen, dass der BF den Glaubenswechsel nicht aus innerer Überzeugung heraus durchgeführt hat, sondern aus taktischen Erwägungen für das Asylverfahren verwendet. Von einem Asylwerber mit ernsthaften Absichten ist zu erwarten, dass er solche wichtigen Umstände in seinem Asylverfahren möglichst frühzeitig vorbringt. Der BF wurde zu Beginn seiner ersten asylbehördlichen Einvernahme eindringlich auf die Bedeutung seiner Mitwirkungspflicht und auf die Folgen hingewiesen, falls er dieser nur unzureichend nachkommt. Er kann daher im gegenständlichen Fall nicht mit Erfolg einwenden, davon keine Kenntnis gehabt zu haben.
[…]
Da er auch in Österreich nicht oppositionspolitisch gegen das iranische Regime tätig war, kann davon ausgegangen werden, dass er für die iranischen Auslandsbehörden oder den Auslandsgeheimdienst nicht derart von Interesse ist, um ihn zu überwachen und zu verfolgen sowie im Falle der Rückkehr ihn wegen einer 'Scheinkonversion' zu belangen. Wenn dem iranischen Staat aber die 'Scheinkonversion' gar nicht zur Kenntnis gekommen ist, muss dem BF zugemutet werden, dass er eine solche von sich aus auch gar nicht bekannt macht. Der BF kann sich nicht auf die weitere Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, berufen, da nach dem Ermittlungsergebnis nicht von einem solchen inneren Entschluss auszugehen ist." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
Des Weiteren führt der Asylgerichtshof an, dass hinsichtlich des gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführers, der über ein soziales Netz in Form von Familienangehörigen im Herkunftsstaat verfüge, im Falle einer Rückverbringung in den Iran keine reale Gefahr bestünde, dass dieser einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Schließlich gehe mit der Ausweisung des Beschwerdeführers keine Verletzung seines Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK einher.
7. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK und des Folterverbots nach Art 3 EMRK geltend gemacht sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Die Beschwerde führt unter anderem Folgendes aus:
"Der AsylGH führte am eine Beschwerdeverhandlung durch. […] Der BF wurde daraufhin zu seinem christlichen Glauben befragt. Aus den S. 4 bis 10 der Niederschrift der Verhandlung vor dem AsylGH am sind seine ausführlichen Antworten zu seiner ersten Begegnung und seiner Freundschaft mit einem Pfarrer; zu seinen Kontakten zu mehreren persisch-sprachigen Gemeinden in Wien; zu den von ihm besuchten Tauf-Vorbereitungskursen; zu dem bereits vor Jahren erfolgten Angebot, ihm die christliche Taufe zu spenden, was er damals jedoch noch nicht in Anspruch nahm; sowie zu seiner nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben schließlich erfolgten Taufe ersichtlich. Auch die detaillierten Fragen der RichterInnen des AsylGH zu den Evangelien und deren Autoren, einzelnen zentralen Figuren des neuen Testaments, der zuletzt angehörten Predigt sowie den zuletzt gelesenen Bibelversen beantwortete der BF ausführlich und korrekt.
[…]
Nach den zutreffenden Länderfeststellungen des AsylGH (S. 9 des Erkenntnisses) droht Personen, die vom Islam zum Christentum konvertieren, Verfolgung und Bestrafung bis hin zur Todesstrafe. Insbesondere die christliche Missionierung wird verfolgt und hart bestraft. Schon der Abfall vom Islam kann unter dem Titel der Apostasie mit der Todesstrafe geahndet werden (S. 14).
Zu prüfen blieb dem AsylGH […], ob unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des BF vernünftigerweise anzunehmen sei, dass er im Fall einer Rückkehr religiöse Betätigungen vornehmen würde, die ihn der Verfolgung aussetzen würden. Zu diesem Behufe wurde der BF im Zuge der Verhandlung am ausführlich befragt. Zur Vermeidung von Wiederholungen darf […] insbesondere auf die Seiten 4 - 9 der […] Verhandlungsschrift verwiesen werden, aus welcher sich ergibt, dass der BF sämtliche Fragen umfassend und ausführlich beantwortete, wodurch er nachvollziehbar darlegte, wie er mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommen war und in einem mehrjährigen Prozess zum Glauben gefunden hatte. Er nannte sowohl für ihn wichtige Bezugspersonen, als auch bestimmte Erlebnisse, welche entscheidend zu seinem Glaubenswechsel beigetragen hatten. Seine innere Abwendung vom Islam hatte der BF schon in seiner Heimat, vollzogen, wo der BF die Religion als Instrument zum Machterhalt des korrupten und verbrecherischen Mullah-Regimes erlebte."
8. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Gemäß Art 14 StGG ist jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet. Nach der – Art 14 StGG überlagernden – Verfassungsnorm des Art 9 Abs 1 EMRK hat jedermann das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Art 9 Abs 2 EMRK normiert einen materiellen Gesetzesvorbehalt: Demnach darf die Religionsfreiheit "nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind". Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit ist ein höchstpersönliches Recht, welches Inländern und Ausländern gleichermaßen zukommt (vgl. Öhlinger/Eberhard , Verfassungsrecht 9 , 2012, Rz 935, unter Hinweis auf VfSlg 13.513/1993).
3. Dem belangten Asylgerichtshof ist ein willkürliches Vorgehen iSd o.a. Judikatur vorzuwerfen:
3.1. Laut den Feststellungen des Asylgerichtshofes in der angefochtenen Entscheidung geht dieser davon aus, dass der Beschwerdeführer persönlich unglaubwürdig sei. Der vom Beschwerdeführer angeführte Glaubenswechsel sei nicht objektivierbar und stelle eine Scheinkonversion dar, auf Grund welcher der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit keiner asylrelevanten Verfolgung zu rechnen habe (s. S 7 der angefochtenen Entscheidung).
Die diesbezüglich in seiner Beweiswürdigung getroffenen Ausführungen des Asylgerichtshofes (s. oben unter Pkt. I.6.) haben – insbesondere im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer dargelegte Wissen über den christlichen Glauben – keinen Begründungswert iSd oben dargestellten Judikatur. Dem Asylgerichtshof ist zwar dahingehend zuzustimmen, dass Faktenwissen über das Christentum leicht verfügbar ist, dennoch fällt auf, dass der Beschwerdeführer die Fragen des vorsitzenden Richters im Zusammenhang mit dem Religionswechsel im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am detailliert zu beantworten und dabei sogar einzelne Stellen aus der Bibel zu zitieren vermag (vgl. oben Pkt. I.5.), was nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes als starkes Indiz für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel zu werten ist. Diese Annahme wird auch durch die Ausführungen des Asylgerichtshofes nicht entkräftet, wonach der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz zunächst auf unwahre Angaben (Behauptung der strafrechtlichen Verfolgung auf Grund einer Affäre mit einer verheirateten Frau) gestützt hat, zumal dieser – wie in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof richtigerweise festgehalten wird – in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof sein zunächst getätigtes Fluchtvorbringen aus eigenen Stücken zurückzog und festhielt, mit dem eingangs angeführten Fluchtgrund die Unwahrheit gesagt zu haben (s. S 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof vom ). Schließlich ist dem Argument des Asylgerichtshofes zur Begründung der Unglaubwürdigkeit des von innerer Überzeugung getragenen Religionswechsels des Beschwerdeführers, wonach er einen solch wichtigen Umstand, wie jenen eines Glaubenswechsels, im Fall von ernsthaften Absichten auf Grund seiner Mitwirkungspflichten im Asylverfahren bereits zu einem früheren Zeitpunkt darlegen hätte müssen (s. oben Pkt. I.6.), nicht zu folgen, weil – selbst wenn der Beschwerdeführer mit dem christlichen Glauben bereits lange Zeit vor der Bekanntgabe seines Glaubenswechsels in Berührung gekommen ist bzw. Glaubenskurse besucht hat – der verfahrensrelevante Wechsel der Religion mittels Taufe erst am vollzogen wurde und dieser Umstand ca. zwei Monate danach durch den Beschwerdeführer bekannt gegeben wurde. Sobald – wie im Falle des Beschwerdeführers – auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, muss sich der Asylgerichtshof auf Grund einer ausführlichen Beurteilung der Persönlichkeit und aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht.
Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes erfordert die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im konkreten Fall eine besonders sorgfältige Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Religionswechsel des Beschwerdeführers aus innerer Überzeugung oder lediglich zum Schein erfolgt ist. Aus den soeben getätigten Ausführungen ist ersichtlich, dass der Asylgerichtshof in willkürlicher Weise nicht nachvollziehbar darlegt, weshalb der vom Beschwerdeführer erfolgte Religionswechsel vom Islam zum Christentum von keiner inneren Überzeugung getragen ist. Der belangte Gerichtshof hat daher im vorliegenden Fall eine hinreichend intensive Prüfung unterlassen, ob mit dem Religionswechsel des Beschwerdeführers allenfalls ein subjektiver Nachfluchtgrund gegeben ist, zumal asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs 2 Asylgesetz 2005 idF BGBl I 87/2012 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat.
3.2. Vor diesem Hintergrund ist auch festzuhalten, dass die vom Asylgerichtshof getroffenen Länderfeststellungen in sich widersprüchlich sind. Aus diesen geht allgemein hervor, dass verschiedene, anerkannte Religionsgemeinschaften im Iran im Wesentlichen friedlich nebeneinander bestünden, Konvertiten unbehelligt ihre Religion ausübten und zum Christentum konvertierte Muslime in der Regel keinen Repressionen durch Dritte ausgesetzt seien. Diese Länderberichte führen jedoch auch aus, dass die Konvertierung von Muslimen zu einem anderen Glauben, wie auch dem Christentum, als Apostasie mit dem Tode bestraft werde und Konvertiten Verfolgung und Bestrafung, wie auch die Todesstrafe, drohen könne (s. oben unter Pkt. I.6.). Darüber hinaus geht aus den dargelegten Länderfeststellungen nicht eindeutig hervor, ob eine mögliche Verfolgung von Konvertiten lediglich bei exponierter Stellung innerhalb der Religionsgemeinschaft bzw. bei starkem Ausleben des religiösen Glaubens oder aber für jede ihren Glauben wechselnde Person wahrscheinlich ist.
Der Asylgerichtshof hat daher ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren unterlassen, indem er im Hinblick auf eine wesentliche Rechtsfrage, nämlich ob zum Christentum konvertierten Personen im Iran bei ihrer Rückkehr religiöse Verfolgung iSd GFK droht, keine ausreichenden Ermittlungen getätigt hat.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG iVm § 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr in der Höhe von € 220,– enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2013:U2272.2012