VfGH vom 14.03.2012, U2252/11

VfGH vom 14.03.2012, U2252/11

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes einen Tag nach der Zustellung des Beschlusses über die Beigebung eines Rechtsberaters

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Mit demselben Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Italien gemäß § 10 Abs 4 leg.cit. für zulässig erklärt.

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am Beschwerde an den Asylgerichtshof und beantragte die Beigebung eines Rechtsberaters, um die Beschwerde inhaltlich zu ergänzen bzw. auszuführen. Dieser Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs 2 AsylG 2005 ein Rechtsberater beigegeben. Dieser Beschluss über die Beigebung eines Rechtsberaters wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt. Eine Zustellung an den zum Rechtsberater bestellten Verein ist den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen. Mit Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 5 und § 10 AsylG 2005 als unbegründet ab.

2. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144a B-VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, wobei er u.a. dem Sinne nach die nicht rechtzeitige Beigebung eines Rechtsberaters rügt, und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

3. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Rechtslage

1. § 66 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF

BGBl. I 122/2009, lautete:

"Rechtsberater

§66. (1) Zur Unterstützung von Fremden in Angelegenheiten des Asylrechts hat der Bundesminister für Inneres Rechtsberater in der notwendigen Anzahl zu bestellen. Diese haben ihre Tätigkeit objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen.

(2) Rechtsberater haben Fremde auf Verlangen

1. über alle das Asylrecht betreffenden Fragen zu informieren, soweit diese nicht in die Beratungspflicht der Rechtsberater (§64) fallen;

2. bei der Stellung oder Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz zu unterstützen;

3. in Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder -

soweit es sich um Asylwerber handelt - nach dem FPG zu vertreten, soweit nicht die Zuziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich vorgeschrieben ist;

4. bei der Übersetzung von Schriftstücken und Bereitstellung von Dolmetschern behilflich zu sein und

5. gegebenenfalls Rückkehrberatung zu leisten.

(3) Die Auswahl der Rechtsberater obliegt dem Bundesminister für Inneres. Er kann hierbei auf Vorschläge des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), der Länder und Gemeinden sowie des Beirates für Asyl- und Migrationsfragen (§18 NAG) Bedacht nehmen.

(4) Rechtsberater, die Bedienstete des Bundes sind, haben Anspruch auf Ersatz von Reisekosten nach Maßgabe der Reisegebührenvorschrift 1955, BGBl. Nr. 133, andere Rechtsberater auf Vergütung von Reisekosten, wie sie einem auf einer Dienstreise befindlichen Bundesbeamten der Gebührenstufe 3 nach der Reisegebührenvorschrift 1955 zusteht sowie auf eine Entschädigung für den Zeit- und Arbeitsaufwand, die vom Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festzusetzen ist."

2. § 66 sowie § 75 Abs 15 und 16 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, lauten:

"Rechtsberatung vor dem Asylgerichtshof

§66. (1) In einem Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof gegen zurück- oder abweisende Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz, die keine Folgeanträge sind, ist einem Asylwerber kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite zu stellen. Darüber hat das Bundesasylamt den Asylwerber mittels Verfahrensanordnung zu informieren und den bestellten Rechtsberater oder die betraute juristische Person davon in Kenntnis zu setzen.

(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Asylwerber beim Einbringen einer Beschwerde gemäß Abs 1 und im Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben den Beratenen jedenfalls die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen und gegebenenfalls Rückkehrberatung zu veranlassen.

(3) Der Bundeskanzler verordnet die Höhe der Entschädigung der Rechtsberater für den Zeit- und Arbeitsaufwand. Ist eine juristische Person mit der Rechtsberatung vor dem Asylgerichtshof betraut, verordnet der Bundeskanzler die Höhe der Entschädigung für den Zeit- und Arbeitsaufwand für die Rechtsberatung einschließlich der Dolmetschkosten in Form von Pauschalbeträgen pro beratenem Asylwerber. Die Entschädigung hat sich am zuvor eingeholten Angebot der betrauten juristischen Person zu orientieren.

Übergangsbestimmungen

§75. [...]

(15) § 66 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 ist auf alle am beim Bundesasylamt anhängigen Verfahren mit der Maßgabe, dass sie nach dem entschieden werden, anzuwenden.

(16) Asylwerber, deren Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof gegen eine zurück- oder abweisende Entscheidung auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz, der kein Folgeantrag ist, am anhängig ist, können bis spätestens das amtswegige zur Seite stellen eines Rechtsberaters gemäß § 66 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 beim Asylgerichtshof beantragen. Über diesen Antrag entscheidet ein Einzelrichter mit Verfahrensanordnung. Darüber hinaus gilt dies auch für am anhängige Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997."

III. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet:

Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.3012/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

3. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

In seinem Erkenntnis vom , U860/11, hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf seine Rechtsprechung (VfSlg. 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie U3078,3079/09) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren im Hinblick auf den in § 66 AsylG 2005 normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält.

Eine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander kann auch dann vorliegen, wenn der Asylgerichtshof zwar einen Rechtsberater zur Vertretung des Asylwerbers im asylgerichtlichen Verfahren bestellt hat, dem Asylwerber jedoch dennoch kein effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stand (vgl. ).

4. Im vorliegenden Fall hat der Asylgerichtshof mit Beschluss vom einen Rechtsberater beigegeben und diesen Beschluss am dem Beschwerdeführer zugestellt. Die Zustellung des genannten Beschlusses an den bestellten Verein ist den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen. Am entschied der Asylgerichtshof über die Beschwerde des Beschwerdeführers.

Der Asylgerichtshof hat, indem er einen Tag nach Zustellung des Beschlusses über die Beigebung eines Rechtsberaters an den Beschwerdeführer über die Beschwerde des Asylwerbers entschieden hat, dem Beschwerdeführer keine angemessene Frist eingeräumt, um sich im Verfahren der rechtlichen Beratung und allfälligen Vertretung durch den Rechtsberater zu bedienen und so seine Rechte im Verfahren effektiv wahrzunehmen. Zudem ist nicht nachvollziehbar, ob und - wenn ja - wann dem zum Rechtsberater bestellten Verein der genannte Beschluss zugestellt worden ist.

Ein derartiges Vorgehen, mit dem das Recht eines Asylwerbers, sich in einem Asylverfahren eines Rechtsberaters zur rechtlichen Beratung und allenfalls Vertretung zu bedienen, im Verfahren vor dem Asylgerichtshof schlechthin missachtet wird, wertet der Verfassungsgerichtshof als willkürliche, das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzende Gesetzeshandhabung (vgl. ; , U1847/11). Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob § 66 AsylG 2005 idF BGBl. I 38/2001 oder idF vor dieser Novelle zur Anwendung zu kommen hatte.

Damit hat der Asylgerichtshof gegen das Willkürverbot des Gebotes der Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoßen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die

angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung war daher schon aus

diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88

VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.