VfGH vom 25.06.2010, U2197/09 ua
19129
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Asylantrages mangels eigener Begründung im Urteil des Asylgerichtshofes bzw mangels eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 1.320,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener
armenischer Staatsbürger, stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Diesen begründete er damit, dass er in Armenien der Verfolgung durch die Polizei und das Militär ausgesetzt sei. Man erhoffe sich, von ihm Informationen über den Aufenthaltsort seines Sohnes zu bekommen. Es sei bereits zu Anhaltungen gekommen, im Zuge derer der Beschwerdeführer misshandelt worden sei. Seiner Ehefrau sei es ähnlich ergangen.
2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997), ab, erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.
3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 7 AsylG 1997 und § 8 AsylG 1997 mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen wird. Im Erkenntnis führt der Asylgerichtshof u.a. an, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei. Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung enthält das Erkenntnis zwar eine extensive Darstellung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Ausweisung von Asylwerbern, Feststellungen zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers fehlen; ebenso Feststellungen zur aktuellen Lage in Armenien.
4. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofs richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach Art 8 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:
2.1. Gemäß dem - aus dem Blickwinkel des Falles verfassungsrechtlich unbedenklichen - § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Der Asylgerichtshof ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere auch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.
Bereits aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die zu § 67 iVm § 60 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (zB ; , 99/01/0280; , 98/01/0278; , 98/20/0559; , 2000/20/0356), auf Entscheidungen des Asylgerichtshofes nicht übertragbar ist.
Mag eine entsprechende Verweisung auf unterinstanzliche Bescheide in Bescheiden von Berufungsbehörden noch im Interesse der Verfahrensökonomie gelegen sein, so ist diese Begründungstechnik dann nicht mehr hinnehmbar, wenn die verweisende Entscheidung von einem (nicht im Instanzenzug übergeordneten) Gericht erlassen wird, welches überdies seinerseits nicht mehr der Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt.
Es widerspricht auch grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006; ).
2.2. Im gesamten Erkenntnis finden sich keinerlei Feststellungen zur aktuellen Lage in Armenien, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Folgerungen für das Asylverfahren des Beschwerdeführers. Dies ist vor allem angesichts der Tatsache problematisch, dass der zugrunde liegende Bescheid des BAA bereits vom datiert.
2.3. Weiters enthält das Erkenntnis keine wie auch immer gearteten Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers, lediglich ein Satz auf Seite 33 des Erkenntnisses weist darauf hin, dass "eine Prüfung der sonstigen genannten Kriterien" keine weiteren gewichtigen Argumente für den Verbleib des Beschwerdeführers ergeben habe. Es mangelt jedoch sowohl am Parteiengehör zur persönlichen Situation als auch an den Feststellungen sowie an der Beweiswürdigung hinsichtlich dieser Feststellungen zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers. Diese wären aber notwendig gewesen, um die vom BAA verfügte und durch den Asylgerichtshof nunmehr bestätigte Ausweisung im Zuge der Interessenabwägung am Maßstab des Art 8 EMRK messen zu können. Schließlich datierten sowohl der bekämpfte Bescheid als auch die Berufung dagegen aus dem Jahr 2005. Somit waren vier Jahre bis zur Entscheidung durch den Asylgerichtshof vergangen, in denen durchaus ein zu berücksichtigendes Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers hätte entstehen können.
2.4. Schließlich lässt das Erkenntnis jegliche Auseinandersetzung mit der Tatsache vermissen, dass im Fall der Ehefrau des Beschwerdeführers keine Ausweisung ausgesprochen worden ist.
3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in mehreren wesentlichen Punkten führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.
4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Jedoch ist zu beachten, dass im gegenständlichen Fall eine Beschwerde für insgesamt zwei Beschwerdeführer zu zwei gleichartigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofes (U 2197, 2198/09) eingebracht wurde, über die mittels getrennter Erkenntnisse zu entscheiden ist. Hier gebührt insgesamt nur ein Pauschalsatz in Höhe von € 2.000,--. Ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,-- ist dennoch zu gewähren (vgl. VfSlg. 14.788/1997; ua.; , B1798/00 ua.). Beiden Beschwerdeführern ist somit jeweils die Hälfte der gesetzlich zustehenden Kosten von insgesamt € 2.640,-- zuzusprechen. In den jeweils zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 220,--, insgesamt € 440,--, enthalten.
Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).