VfGH vom 19.09.2011, U2125/10
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes; Willkür wegen Fehlens eines wesentlichen Begründungselementes in der Entscheidung des Asylgerichtshofes
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.400,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener Staatsangehöriger Indiens, stellte erstmals am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen. Unter einem wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt.
1.2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde vom Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit Entscheidung vom abgewiesen.
2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.
3. Am stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Verfahrensanordnung vom teilte das BAA dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009 (im Folgenden: AsylG 2005), mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Am fand eine Einvernahme statt, an deren Ende das BAA mit mündlich verkündetem Bescheid den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufhob.
4. Mit der angefochtenen Entscheidung vom befand der AsylGH die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 in Verbindung mit § 41a AsylG 2005 für rechtmäßig.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet wird, weil sich der AsylGH unter anderem nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Integration in Österreich auseinander gesetzt hat.
6. Der belangte AsylGH legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.
2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der AsylGH dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des AsylGH gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu Entscheidungen des AsylGH ausgesprochen hat, verstößt dieser gegen das aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgende Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen, wenn sich der Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Begründung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergeben. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006, 18.632/2008).
3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem belangten AsylGH ein willkürliches Verhalten vorzuwerfen:
3.1. Gemäß der vom Verfassungsgerichtshof für unbedenklich befundenen Norm des § 12a Abs 2 AsylG 2005 (vgl. zu § 12a Abs 2 in seiner Gesamtheit ) kann das BAA den faktischen Abschiebeschutz eines Asylwerbers dann aufheben, wenn
"1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."
Gemäß § 41a AsylG 2005 hat der AsylGH eine Entscheidung des BAA über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes von Amts wegen unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen und über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu entscheiden (§41a Abs 3 leg.cit.).
3.2. Aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen folgt für die Begründung dieser Entscheidung, dass sich aus ihr ergeben muss, ob die Entscheidung des BAA alle Tatbestandsmerkmale erfüllt, die § 12a Abs 2 AsylG 2005 vorsieht. Aus der Begründung des AsylGH muss sich daher ergeben, dass er sich vergewissert hat, ob eine aufrechte Ausweisung besteht, der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist und ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Bei dieser Beurteilung kann sich der AsylGH - da er die Entscheidung des BAA lediglich zu überprüfen hat - auf das Verfahren des BAA stützen, doch muss sich aus seiner Entscheidung ergeben, dass er diese Überprüfung tatsächlich vorgenommen hat.
3.3. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Entscheidung des AsylGH zwar, dass er das Vorliegen einer aufrechten Ausweisung sowie die Frage geprüft hat, ob der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen ist und ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK bedeuten würde. Hingegen ergibt sich aus der Begründung der asylgerichtlichen Entscheidung mit keinem Wort, ob auch geprüft wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung des Art 8 EMRK bedeuten würde.
Da insofern ein wesentliches Begründungselement der Entscheidung des AsylGH fehlt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt (vgl. ; , U1858/10 ua.).
4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-
enthalten.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.