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VfGH vom 20.06.2012, U202/12

VfGH vom 20.06.2012, U202/12

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in entscheidungswesentlichen Punkten; willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer stellte am erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Er begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass er in seinem Heimatland Afghanistan von den Taliban mit dem Tod bedroht worden sei, sollte er nicht seine Tätigkeit für die afghanische Armee einstellen und zu den Taliban überlaufen. Das Bundesasylamt erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig und wies mit Bescheid vom den Asylantrag ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus. Am stellte der Beschwerdeführer - offensichtlich unter Anleitung durch die Caritas Zell am See - den Antrag auf Beigabe eines Rechtsberaters gemäß § 66 AsylG unterließ es jedoch eine Beschwerde einzubringen. Der Bescheid erwuchs am in Rechtskraft.

2. Am stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Dabei gab er an, dass er immer noch um sein Leben fürchte, sollte er nach Afghanistan zurückkehren. Durch ein Telefonat mit seinen Angehörigen in seiner Heimat hätte er erfahren, dass er nun nicht nur von den Taliban, sondern auch von der afghanischen Regierung gesucht werde. Außerdem entgegnete der Beschwerdeführer am auf die Vorlage der Länderberichte, dass er nicht glaube dass sich die Situation in Afghanistan gebessert hätte. Tatsächlich werde die Lage zunehmend schlechter. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers zurück und den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus. Das Bundesylamt begründete diese Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer im Zuge des Verfahrens keinen neuen Sachverhalt und auch die von Amtswegen berücksichtigte Ländersituation keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervorgebracht hätte.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde an den Asylgerichtshof in der er vor allem die Beweiswürdigung durch das Bundesasylamt bemängelte. Der Asylgerichtshof wies diese Beschwerde am ab und bestätigte die Beweiswürdigung des Bundesasylamts. Mit Bezug auf die Lage in Afghanistan stellte der Asylgerichtshof fest:

"Das Bundesasylamt setzte sich im angefochtenen

Bescheid mit der allgemeinen Lage auseinander, die jedoch keine relevante Sachverhaltsänderung zeigt. Es kann nicht erkannt werden, dass in dem kurzen Zeitraum vom bis zur Erlassung des nunmehrigen Bescheides vom eine derart signifikante Änderung der allgemeinen Lage in Afghanistan gegeben wäre, die nunmehr im Gegensatz zur ursprünglichen Situation in Afghanistan die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gebieten würde."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde gemäß Art 144a B-VG in der der Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und eine Verletzung des Schutzes des Privatlebens geltend macht. Der Asylgerichtshof legte die Akten vor und erstattete eine Gegenschrift in der er erneut darauf aufmerksam macht, dass der Beschwerdeführer keinen neu entstandenen Sachverhalt vorbringt, dass sich bereits das Bundesasylamt ausreichend mit der allgemeinen Lage in Afghanistan auseinandergesetzt hätte und dass auch der Asylgerichtshof im maßgeblichen Zeitraum keine relevante Sachverhaltsänderung erkennen könne. Aus diesem Grund beantragt der Asylgerichtshof die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB

VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Das Bundesasylamt stellt in seinem Bescheid vom fest, dass die von amtswegen berücksichtigte Ländersituation keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervorbrachte. Dabei stützt sich das Bundesasylamt auf eine Reihe von in der Bescheidbegründung näher angeführten Länderberichten. Der jüngste dieser Länderberichte weist allerdings in den für das Verfahren maßgeblichen Teilen einen Stand von auf (mit Ausnahmen eines kurzen Absatzes über die Wirtschaftsleistung des Landes aus Juli 2011). Alle relevanten Länderberichte beziehen sich damit auf einen Zeitraum der vor dem Zeitpunkt der Rechtskraft des ersten Asylbescheides liegt. Es kann gerade für die notorisch fragile Sicherheitssituation in Afghanistan kein Erfahrungssatz angenommen werden, wonach eine für den Beschwerdeführer nachteilige Änderung der Verhältnisse im Zeitraum von mehreren Monaten nicht denkbar wäre.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof kann daher nicht erkennen, wie das Bundesasylamt auf Grundlage der aktenkundigen Länderberichte die in diesem Verfahren allein maßgebende Frage klären und dazu auf vertretbare Weise feststellen konnte, ob es im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers seit der Erlassung des ersten Asylbescheides zu einer entscheidungsrelevanten Veränderung der Sachlage gekommen ist. Dabei wäre es schon dem Bundesasylamt leicht möglich gewesen, seine Entscheidung auf Vergleiche mit aktuellen Länderberichten zu stützen. In den Wochen vor der Bescheiderlassung am 10. Oktober sind nämlich zumindest drei einschlägige Informationen veröffentlicht worden (: "Afghanistan: Human Rights and Security Situation", Landinfo - Country of Origin Information Centre, Informationszentrum für die norwegischen Behörden, http://www.unhcr.org/refworld/docid/4e8eadc12.html; - "The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security: Report of the Secretary-General", UN General Assembly, http://www.unhcr.org/refworld/docid/4e8d85ed2.html; "Afghanistan: Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy", United States Congressional Research Service,

http://www.unhcr.org/refworld/docid/4e96d1582.html).

2.3. Der Asylgerichtshof hat es unterlassen diesen schweren Begründungsmangel im Rahmen der Beschwerde aufzugreifen und so seinerseits gegen das Willkürverbot verstoßen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.