VfGH vom 05.12.2011, U2018/11

VfGH vom 05.12.2011, U2018/11

19581

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes einen Tag nach der Zustellung des Beschlusses über die Beigebung eines Rechtsberaters

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Armenien und stellte am einen Asylantrag. Dieses Verfahren wurde mit Aktenvermerk vom gemäß § 30 AsylG 1997 eingestellt, da ein Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nicht ermittelt werden konnte. Am ersuchte der Beschwerdeführer um Fortsetzung seines Asylverfahrens.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat ausgewiesen.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung (Beschwerde). Mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom , zugestellt am , wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme gemäß § 45 Abs 3 AVG verständigt und über die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens informiert. Unter einem wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, sich im Rahmen der Vorbereitung einer Stellungnahme an den Rechtsberater zu wenden, der ihn auf sein Verlangen zu informieren und zu beraten bzw. ihm bei der Übersetzung von Schriftstücken und der Bereitstellung von Dolmetschern behilflich zu sein hätte. Der Beschwerdeführer erstattete mit Schreiben vom - also innerhalb der zweiwöchigen Frist - eine vorläufige Stellungnahme und beantragte unter einem die Beigebung eines Rechtsberaters. Mit Beschluss vom wurde dem Beschwerdeführer eine Rechtsberaterin beigegeben. Als Ergänzung zur vorläufigen Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer mit Telefax vom sowie mit am beim Asylgerichtshof eingelangtem Schreiben mehrere Dokumente in Vorlage. Der Beschluss über die Beigebung eines Rechtsberaters wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers, einem gemeinnützigen Verein, und der bestellten Rechtsberaterin am zugestellt. Mit Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß §§7, 8 Abs 1 AsylG 1997 und § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet ab.

2. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144a B-VG gestützten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

3. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Rechtslage

§66 AsylG 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 122/2009, lautet:

"Rechtsberater

§66. (1) Zur Unterstützung von Fremden in Angelegenheiten des Asylrechts hat der Bundesminister für Inneres Rechtsberater in der notwendigen Anzahl zu bestellen. Diese haben ihre Tätigkeit objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen.

(2) Rechtsberater haben Fremde auf Verlangen

1. über alle das Asylrecht betreffenden Fragen zu informieren, soweit diese nicht in die Beratungspflicht der Rechtsberater (§64) fallen;

2. bei der Stellung oder Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz zu unterstützen;

3. in Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder -

soweit es sich um Asylwerber handelt - nach dem FPG zu vertreten, soweit nicht die Zuziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich vorgeschrieben ist;

4. bei der Übersetzung von Schriftstücken und Bereitstellung von Dolmetschern behilflich zu sein und

5. gegebenenfalls Rückkehrberatung zu leisten.

(3) Die Auswahl der Rechtsberater obliegt dem Bundesminister für Inneres. Er kann hierbei auf Vorschläge des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), der Länder und Gemeinden sowie des Beirates für Asyl- und Migrationsfragen (§18 NAG) Bedacht nehmen.

(4) Rechtsberater, die Bedienstete des Bundes sind, haben Anspruch auf Ersatz von Reisekosten nach Maßgabe der Reisegebührenvorschrift 1955, BGBl. Nr. 133, andere Rechtsberater auf Vergütung von Reisekosten, wie sie einem auf einer Dienstreise befindlichen Bundesbeamten der Gebührenstufe 3 nach der Reisegebührenvorschrift 1955 zusteht sowie auf eine Entschädigung für den Zeit- und Arbeitsaufwand, die vom Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festzusetzen ist."

III. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet:

2.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.3012/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

3. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

3.1. In seinem Erkenntnis vom , U860/11, hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf seine Rechtsprechung (VfSlg. 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie 19.188/2010) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren im Hinblick auf den in § 66 AsylG 2005 normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält.

Eine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander kann auch dann vorliegen, wenn der Asylgerichtshof zwar einen Rechtsberater zur Vertretung des Asylwerbers im asylgerichtlichen Verfahren bestellt hat, dem Asylwerber jedoch dennoch kein effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stand. So führt der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , U860/11, Folgendes aus:

"Im vorliegenden Fall hat der mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom zur Vertretung des Beschwerdeführers im asylgerichtlichen Verfahren bestellte Rechtsberater dem Asylgerichtshof mit Schreiben vom ausdrücklich mitgeteilt, die Beratung und Vertretung des Beschwerdeführers nicht zu übernehmen, und die amtswegige Aufhebung des Bestellungsbeschlusses angeregt. Der Asylgerichtshof hat - bereits eine Woche nach Erhalt dieses Schreibens - über die Beschwerde des Beschwerdeführers entschieden, ohne die ausdrückliche Weigerung des Rechtsberaters, für den Beschwerdeführer tätig zu werden, und damit das Fehlen der Möglichkeit des Beschwerdeführers, seine Verteidigungsrechte zu wahren, in irgendeiner Weise zu berücksichtigen. Damit wurde das Recht des Beschwerdeführers, rechtliche Beratung und Vertretung (auch) durch Beistellung eines Rechtsberaters gemäß § 66 AsylG 2005 zu erhalten (vgl. VfSlg. 18.847/2009), unterlaufen."

3.2. Im vorliegenden Fall hat der Asylgerichtshof

eine Rechtsberaterin beigegeben und diesen Beschluss vom dem Vertreter des Beschwerdeführers, einem gemeinnützigen Verein, und der bestellten Rechtsberaterin jeweils am zugestellt. Am entschied der Asylgerichtshof über die Beschwerde des Beschwerdeführers.

Der Asylgerichtshof hat, indem er am Tag nach der Zustellung des Beschlusses über die Beigebung eines Rechtsberaters an den Vertreter des Beschwerdeführers und die bestellte Rechtsberaterin über die Beschwerde des Asylwerbers entschieden hat, dem Beschwerdeführer keine angemessene Frist eingeräumt, um sich im Verfahren der rechtlichen Beratung und allfälligen Vertretung durch die Rechtsberaterin zu bedienen und so seine Rechte im Verfahren effektiv wahrzunehmen.

Ein derartiges Vorgehen, mit dem das Recht eines Asylwerbers, sich in einem Asylverfahren eines Rechtsberaters zur rechtlichen Beratung und allenfalls Vertretung zu bedienen, im Verfahren vor dem Asylgerichtshof schlechthin missachtet wird, wertet der Verfassungsgerichtshof als willkürliche, das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzende Gesetzeshandhabung (vgl. ).

Damit hat der Asylgerichtshof gegen das Willkürverbot des Gebotes der Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoßen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die

angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung war daher schon aus

diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88

VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.