VfGH vom 20.06.2012, U1986/11 ua
19646
Leitsatz
Verletzung der Drittbeschwerdeführerin im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine sie betreffende Entscheidung des Asylgerichtshofes; keine Prüfung einer asylrelevanten geschlechtsspezifischen Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen; Ablehnung der Behandlung der Beschwerde in Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder
Spruch
I. 1. Die Drittbeschwerdeführerin ist durch die sie betreffende angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die Entscheidung hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin wird aufgehoben.
3. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Drittbeschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die angefochtenen Entscheidungen hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin und der Viert- und Fünftbeschwerdeführer wendet, abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Afghanistans, wobei der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin verheiratet und die Drittbeschwerdeführerin sowie die Viert- und Fünftbeschwerdeführer deren minderjährige Kinder sind. Am stellten die Beschwerdeführer nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom wurden die Anträge der Beschwerdeführer gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und gemäß Art 18 Abs 7 iVm Art 10 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die Zuständigkeit Griechenlands für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz ausgesprochen, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Griechenland gemäß § 10 Abs 4 AsylG 2005 festgestellt und die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 leg.cit. aus dem Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen. Nach Behebung dieser Bescheide mit Entscheidungen des Asylgerichtshofes vom gemäß § 41 Abs 3 AsylG 2005 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz in der Folge mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs 1 leg.cit. der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
2. Die gegen Spruchpunkt I. des den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheides von diesem erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein konkreter Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaates nicht festgestellt habe werden können. Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers seien persönliche Gründe, die dortigen prekären Lebensbedingungen und die Unzufriedenheit mit dem im Herkunftsstaat herrschenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System sowie die Suche nach besseren Lebensbedingungen im Ausland gewesen. Es könne weder eine konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch seien im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen wahrscheinlich erscheinen lassen hätten. Mit Entscheidungen vom selben Tag wurden die Beschwerden gegen die gemäß § 36 Abs 3 AsylG 2005 als mitangefochten geltenden Bescheide der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen sowie der Viert- und Fünftbeschwerdeführer unter Hinweis auf die Abweisung der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers mit der Begründung abgewiesen, dass keine eigenen asylrelevanten Gründe vorgebracht worden seien. Das Verfahren vor dem Asylgerichtshof wurde als Familienverfahren geführt.
3. In ihrer gegen diese Entscheidungen gerichteten, auf Art 144a B-VG gestützten Beschwerde behaupten die Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (gemeint wohl: in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander) und beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen. Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Asylgerichtshof, obwohl die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen weiblichen Geschlechts seien, jegliche Ermittlungstätigkeit dahingehend unterlassen hätte, ob den beiden Beschwerdeführerinnen im Herkunftsstaat eine Gefahr aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung droht.
4. Der belangte Asylgerichtshof übermittelte die Gerichts- und Verwaltungsakten, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
A. Der Verfassungsgerichtshof hat über die -
zulässige - Beschwerde hinsichtlich der die Drittbeschwerdeführerin betreffenden Entscheidung erwogen:
1. Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden nicht vorgebracht und sind auch beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden.
2. Zur behaupteten Verletzung im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (gemeint wohl: in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander):
2.1. Die Beschwerdeführer erblicken in der
behaupteten Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit dahingehend, ob der Drittbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat eine Gefahr auf Grund geschlechtsspezifischer Verfolgung drohe, eine willkürliche Ungleichbehandlung, weil westlich orientierten afghanischen Frauen durch den Asylgerichtshof regelmäßig Asyl auf Grund von geschlechtsspezifischer Verfolgung gewährt werde.
2.2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.
gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre
reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin unterlaufen:
Der Erstbeschwerdeführer hat im Verfahren vor dem Bundesasylamt auf die Frage, was er im Fall eine Rückkehr nach Afghanistan konkret befürchten würde, angegeben, dass er auch wegen der Zukunft seiner Kinder hier sei und wolle, dass seine Kinder hier in die Schule gehen und studieren könnten. Auch die Zweitbeschwerdeführerin - die im Übrigen keine eigenen Fluchtgründe, insbesondere auch keine geschlechtsspezifische Verfolgung ihrer Person, vorgebracht hat - gab in ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt an, dass sie wegen der Kinder aus Afghanistan ausgereist seien, damit sie in Österreich in die Schule gehen und eine gute Zukunft genießen könnten. Damit wurde in Hinblick auf die Drittbeschwerdeführerin - zumindest in Grundzügen - ein Vorbringen erstattet.
Der Asylgerichtshof geht in der Folge jedoch in
seinen Entscheidungen in keiner Weise auf die Frage einer möglichen geschlechtsspezifischen Verfolgung der Drittbeschwerdeführerin, eines minderjährigen Mädchens, ein. Er trifft keine eigenen Länderfeststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan im Allgemeinen bzw. in Hinblick auf die minderjährige Drittbeschwerdeführerin, insbesondere zum Zugang zu Bildungseinrichtungen für Mädchen in Afghanistan. Auch die Bescheide des BAA enthalten keine gesonderten Feststellungen zu dieser Problematik. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; , 2000/20/0273; , 2006/19/0182; , 2008/19/0994) und der Tatsache, dass auch der Asylgerichtshof selbst bereits eine Verfolgung von Frauen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe afghanischer Frauen (zB AsylGH , C17 408463-1/2009; ,
C18 413190-1/2010; , C6 317411-1/2008) bzw. zur sozialen Gruppe westlich orientierter afghanischer Frauen (zB AsylGH , C9 406659-1/2009; ,
C3 417171-1/2011) angenommen hat, ist es nicht nachvollziehbar, wenn der Asylgerichtshof im vorliegenden Fall das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe in Hinblick auf die minderjährige Drittbeschwerdeführerin nicht prüft, obwohl der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreter der Drittbeschwerdeführerin im Asylverfahren den Wunsch nach dem Schulbesuch ihrer Kinder angegeben haben und hinlänglich bekannt sein dürfte (vgl. die in AsylGH , E1 411409-2/2010; ,
C9 409668-1/2009; , C6 317411-1/2008 sowie in zahlreichen weiteren Entscheidungen des Asylgerichtshofes zitierten Länderberichte), dass dies für Mädchen in Afghanistan nicht ohne weiteres möglich ist. Da der Asylgerichtshof es zudem verabsäumt hat, der Drittbeschwerdeführerin diesbezügliche Länderberichte - etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - vorzuhalten und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, kann der durch ihre Eltern als gesetzliche Vertreter vertretenen minderjährigen Drittbeschwerdeführerin das Fehlen eines diesbezüglich differenzierteren Vorbringens auch nicht zur Last gelegt werden.
3. Der Asylgerichtshof hat daher, indem er keine
Prüfung einer asylrelevanten geschlechtsspezifischen Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu Bildung durchgeführt hat, seine die Drittbeschwerdeführerin betreffende Entscheidung mit Willkür behaftet, zumal in Hinblick auf diese - im Gegensatz zur Zweitbeschwerdeführerin - ein Vorbringen hinsichtlich geschlechtsspezifischer Verfolgung sinngemäß erstattet wurde.
B. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung
einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (gemeint wohl: in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander). Die gerügten Rechtsverletzungen wären in Hinblick auf die den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Viert- und Fünftbeschwerdeführer betreffenden Entscheidungen im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Entscheidungen des Asylgerichtshofes betreffend den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Viert- und Fünftbeschwerdeführer richtet, abzusehen.
Auf Spruchpunkt I. dieser Entscheidung wird mit Blick auf § 34 AsylG 2005 und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen für die vorliegenden Fälle hingewiesen.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Drittbeschwerdeführerin ist somit durch die sie betreffende angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die die Drittbeschwerdeführerin betreffende
angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde in Hinblick auf den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Viert- und Fünftbeschwerdeführer abgelehnt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88
VfGG. Der beantragte Streitgenossenzuschlag war nicht zuzusprechen, weil die Beschwerde in Hinblick auf den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Viert- und Fünftbeschwerdeführer abgelehnt wurde und bei Ablehnung der Beschwerdebehandlung kein Kostenersatz erfolgt (vgl. VfSlg. 18.045/2006, 19.100/2010). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.