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VfGH vom 12.09.2013, U1963/2012

VfGH vom 12.09.2013, U1963/2012

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung des - während des Großteils des Verfahrens minderjährigen - Beschwerdeführers in die Russische Föderation infolge verfassungswidriger Interessenabwägung

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Ent scheidung, soweit damit die Abweisung seiner Beschwerde betreffend die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgesprochen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerde führer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,− bestimmten Prozess kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen. Der im September 1991 geborene Beschwerdeführer reiste am im Alter von 13 Jahren gemeinsam mit seiner damals 28-jährigen Schwester, die sich als seine Mutter ausgab, nach Österreich ein, wo beide Asylanträge stellten.

2. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom wurden die Asylanträge der Geschwister gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I 76 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation nicht zulässig sei. Beiden wurden befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt, die insgesamt bis zum verlängert wurden.

Das Bundesasylamt führte ein Familienverfahren gemäß § 10 AsylG 1997 und legte seiner Entscheidung hinsichtlich des Beschwerdeführers die Entscheidung betreffend seine (vermeintliche) Mutter zugrunde. Das Bundesasylamt ging von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der vermeintlichen Mutter des Beschwerdeführers aus und begründete seine Entscheidung hinsichtlich der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation damit, dass aufgrund der Lage im Herkunftsstaat davon ausgegangen werden könne, dass beide im Falle einer Rückkehr zumindest einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art 3 EMRK ausgesetzt werden würden. Weiters sei zu berücksichtigen gewesen, dass "der [Beschwerdeführer] bzw. dessen Mutter an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden". Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides wurde vom Beschwerdeführer durch seine vermeintliche Mutter als angebliche gesetzliche Vertreterin Berufung (nunmehr Beschwerde) erhoben.

3. Am reiste die leibliche Mutter des Beschwerdeführers in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge ihrer Einvernahme gab sie an, sie sei die leibliche Mutter des Beschwerdeführers. Die Schwester des Beschwerdeführers gab im Rahmen ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme im Asylverfahren der Mutter an, der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Ausreise zwölf Jahre alt gewesen. Sie sei in Tschetschenien gewarnt worden, dass die österreichischen Behörden sie von ihrem Bruder trennen würden, weil er noch nicht volljährig sei, weshalb ihr in Tschetschenien vom zuständigen Bezirksamt gegen Zahlung eines Geldbetrages eine Geburtsurkunde für den Beschwerdeführer ausgestellt worden sei, in der sie als seine Mutter aufscheine. Gegen Vorweis dieser Geburtsurkunde sei der Bruder als ihr Sohn in ihrem russischen Inlandspass eingetragen worden. Da es der Mutter nach der Geburt des Beschwerdeführers jahrelang sehr schlecht gegangen sei, habe sie sich um den Bruder gekümmert und sei die ganze Zeit seine Bezugsperson gewesen.

4. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom wurde die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, der Bescheid vom sei nicht rechtswirksam zugstellt worden, weil die Zustellung nicht an den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlichen Vertreter des (damals unbegleiteten) minderjährigen Beschwerdeführers erfolgt sei und die Beschwerdeerhebung nicht durch diesen erfolgt sei.

5. Am wurde das vor dem Bundesasylamt fortgeführte Asylverfahren wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers eingestellt. Die Schwester des Beschwerdeführers teilte im Rahmen einer Einvernahme mit, dass der Beschwerdeführer zu Verwandten nach Norwegen gereist sei. Nach seiner Rückkehr nach Österreich stellte der Beschwerdeführer am einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens.

6. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am legte der Beschwerdeführer neuerlich eine Geburtsurkunde vor und gab an, es handle sich dabei um seine richtige Geburtsurkunde, welche seine Mutter aus Tschetschenien mitgebracht habe. Da er und seine Schwester im Heimatland die Information erhalten hätten, sie würden in Österreich getrennt werden, hätten sie dort eine falsche Geburtsurkunde ausstellen lassen. Er habe sich daran gewöhnt, dass seine Schwester sich als seine Mutter ausgegeben habe, und wolle von ihr auch nicht getrennt werden. Er habe in Österreich die Schule besucht bzw. besuche nunmehr eine HTL und sei seit 2007 Mitglied in einem Kampfsportverein.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Kern übereinstimmend mit den Angaben seiner Schwester in deren Einvernahmen an, sein Vater sei von den Russen getötet worden, als er vier Jahre alt gewesen sei. Er könne sich erinnern, dass die Familie ab dem Jahr 1999 sehr oft umgezogen sei, um Bombenangriffen zu entgehen, weshalb der Beschwerdeführer vier Mal die erste Klasse Volksschule besucht habe, die er nie habe beenden können. Er habe in Tschetschenien im Jahr 2003 miterlebt, wie zwei Cousinen und deren Eltern von Russen ermordet worden seien, weshalb er Angst gehabt habe, dass die Russen ihn verfolgen würden. Eine weitere Cousine des Beschwerdeführers sei von russischen Soldaten verschleppt, vergewaltigt und getötet worden. Die Schwester des Beschwerdeführers habe unter ständiger Angst gelitten. Nach Norwegen sei er gefahren, weil er in Österreich von drei Tschetschenen angegriffen und mit einem Messer verletzt worden sei. Er sei hysterisch gewesen und habe Angst gehabt.

7. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Der Beschwerdeführer wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

8. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung vom mit der Maßgabe abgewiesen, dass sich die Ausweisung auf § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005) zu stützen hatte.

Der Asylgerichtshof erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen als unglaubwürdig und stellte fest, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat weder einer Gefährdung noch einer existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Zur Situation des Beschwerdeführers sowie zu den Gründen der Zulässigkeit seiner Ausweisung führte der Asylgerichtshof im Wesentlichen Folgendes aus:

"Der unbescholtene Beschwerdeführer hält sich nach illegaler Einreise ins Bundesgebiet seit Oktober 2004 (mit Unterbrechungen aufgrund seiner mehrmaligen Ausreise aus dem Bundesgebiet nach Deutschland und Polen [sic!]) in Österreich auf. Der unbescholtene Beschwerdeführer spricht sehr gut Deutsch, hat im Bundesgebiet die Hauptschule absolviert und besucht derzeit eine HTL, ist Mitglied in einem Sportverein und verfügt über österreichische Freunde.

[…]

In Österreich befindet sich die Mutter des Beschwerdeführers […], mit der er im gemeinsamen Haushalt lebt, doch ist diese ebenfalls Asylwerberin und deren Asylverfahren ebenso wie jenes des Beschwerdeführers negativ entschieden worden. Seine Mutter ist im selben Umfang wie er von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, weswegen diesbezüglich kein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers vorliegt. Eine Ausweisung ist unter diesem Gesichtspunkt – gemeinsam und gleichzeitig vollzogen – kein Eingriff in das Recht auf Familienleben. Es kann daher auch keine Verletzung dieses Rechts erkannt werden.

Auch seine erwachsene Schwester […] hält sich im Bundesgebiet auf und ihr wurde zuletzt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom gemäß § 8 Abs 3 iVm. § 15 Abs 2 und 3 AsylG 1997 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum erteilt. Dieses Verwandtschaftsverhältnis reicht im Lichte der obigen Kriterien hinsichtlich des Vorhandenseins eines Familienlebens zwischen Erwachsenen nicht aus, um eine familiäre Beziehung iSd. Art 8 EMRK zu begründen. Dies insbesondere deswegen, da der Beschwerdeführer zu seiner Schwester kein qualifiziertes und hinreichend stark ausgeprägtes Naheverhältnis oder eine besondere Abhängigkeit glaubhaft darlegen konnte.

Der Beschwerdeführer ist als damals Minderjähriger zwar mit seiner Schwester gemeinsam ins Bundesgebiet eingereist und hat mit dieser zeitweise im gemeinsamen Haushalt gelebt, doch verfügt die Schwester nunmehr über eine eigene Familie, hat geheiratet und liegt kein gemeinsamer Haushalt mehr vor. Auch eine finanzielle Abhängigkeit zu dieser war nicht ersichtlich, zumal der Beschwerdeführer und seine Mutter von der Grundversorgung abhängig sind. Das Beziehungsverhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Schwester reicht angesichts der oben zitierten Judikatur nicht aus, um von einem Familienleben zu sprechen, das einer Abwägung im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK bedarf.

[…]

Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich hier seither (mit Unterbrechungen aufgrund seiner illegalen Ausreisen nach Deutschland und Norwegen während seines laufenden gegenständlichen Asylverfahrens) in Österreich auf. Er kann damit insgesamt einen Aufenthalt im Inland von rund acht Jahren verzeichnen.

Wie oben bereits dargestellt, kann aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg 18.224/2007) jedoch abgeleitet werden, dass die Dauer des inländischen Aufenthaltes für die Zulässigkeit einer Ausweisung nicht allein entscheidend ist und lediglich einen von mehreren verschiedenen Aspekten darstellt, die im Rahmen einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art 8 Abs 2 EMRK zu unterziehen sind; somit ist davon auszugehen, dass durch den achtjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet zwar persönliche Interessen am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet entstanden sind. Nach der (oben referierten) höchstgerichtlichen Rechtsprechung sind diese Interessen des Beschwerdeführers jedoch in ihrem Gewicht maßgeblich dadurch gemindert, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich aufgrund der Stellung eines Asylantrages, der sich als unbegründet erwiesen hat, nicht illegal gewesen ist.

Der Beschwerdeführer musste sich im Laufe seines Aufenthaltes in Österreich bewusst sein, dass sein Aufenthalt 'unsicher' und lediglich auf die Dauer des Verfahrens beschränkt war und ein weiterer Verbleib nach Beendigung des Verfahrens vom Erfolg seines Antrages abhängen würde. Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass die durch eine soziale Integration erworbenen Interessen an einem Verbleib in Österreich in ihrem Gewicht gemindert sind, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Auch nach der oben dargestellten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bewirkt in Fällen, in denen das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, eine Ausweisung nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ('in exceptional circumstances') eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl. mwN).

Eine allein den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerung konnte im gegenständlichen Fall nicht festgestellt werden, es ist vielmehr festzuhalten, dass der Beschwerdeführer ebenso wie seine Familienangehörigen aufgrund der Vorlage falscher Dokumente und seiner Falschangaben die Asyl instanzen getäuscht und die fehlerhafte Zustellung der asylrechtlichen Entscheidungen bewirkt hatte. Aufgrund dieses Umstandes und aufgrund seiner illegalen Ausreise nach Deutschland und Norwegen während des laufenden Asylverfahrens hat der Beschwerdeführer daher maßgeblich zur Länge des gesamten Verfahrens beigetragen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer durch seine Falschangaben und die Vorlage von nachweislich gefälschten Dokumenten die Behörden derart getäuscht hatte, dass ihm im Familienverfahren mit seiner Schwester, die sich jahrelang als seine Mutter ausgegeben hatte, sogar für einen gewissen Zeitraum befristete Aufenthaltsberechtigungen im Rahmen des Familienverfahrens mit seiner Schwester erteilt wurden. Diesbezüglich ist hervorzuheben, dass auch das Verfahren seiner Schwester […] wiederaufgenommen wurde, da dieser und in der Folge dem Beschwerdeführer der subsidiäre Schutzstatus auf Grundlage verfälschter Dokumente zuerkannt worden war.

Anzumerken ist im gegenständlichen Fall, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen sowie mit der Feststellung verbunden worden ist, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Russland zulässig ist, da dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Asylverfahren keinerlei nachvollziehbare Gefährdung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat entnommen werden konnte.

Der Asylgerichtshof verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet die Hauptschule abgeschlossen hat, nunmehr die HTL besucht, über gute Deutschkenntnisse verfügt, Mitglied in einem Sportverein ist und nach eigenen Angaben auch zahlreiche Österreicher als Freunde hat. Dem Beschwerdeführer war es jedoch nicht möglich, in den acht Jahren seines Aufenthaltes im Bundesgebiet die Abhängigkeit von der Grundversorgung zu überwinden. Hinsichtlich der Ausbildung des Beschwerdeführer[s] ist besonders hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer bereits 2006 die Hauptschule abgeschlossen hatte und nunmehr mit bald 21 Jahren erst begonnen hat, eine HTL zu besuchen. Obwohl er derzeit mit bereits 21 Jahren erst die HTL mit noch ungewissem schulischen Erfolg besucht, plant der Beschwerdeführer, im Anschluss daran noch ein Architekturstudium an der Technischen Universität zu absolvieren, somit eines der kompliziertesten Studien in Österreich. Diesbezüglich ist jedoch klar darauf zu verweisen, dass es wohl nicht Zweck des Asylrechts sein kann, russischen Staatsbürgern wie dem Beschwerdeführer jahrelang eine schulische und akademische Ausbildung zu finanzieren, insbesondere nachdem im gegenständlichen Fall in näherer Zukunft von keiner Überwindung der Abhängigkeit des Beschwerdeführers von der Grundversorgung ausgegangen werden kann.

Der Asylgerichtshof kann auch keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat erkennen. Insbesondere führt ein Vergleich der Verhältnisse in Österreich zu jenen in der Russischen Föderation zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat über größere familiäre Anknüpfungspunkte verfügt als in Österreich. Der Beschwerdeführer ist in der Russischen Föderation geboren und ist dort aufgewachsen. Im Herkunftsstaat halten sich nach wie vor seine nahen Angehörigen, insbesondere sein Bruder […] samt Familie und eine Schwester seiner Mutter sowie deren drei Söhne auf. Im Übrigen ist auf die Beweiswürdigung zu verweisen, in der dargelegt wurde, dass der Beschwerdeführer die verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte (insbesondere hinsichtlich des Aufenthaltes seines Bruders […]) im Herkunftsstaat zu verschleiern versucht hat. Es wurde bereits festgehalten, dass eine Rückkehr in seinen Familienverband möglich und zumutbar ist. Im Übrigen erfolgt eine Rückkehr gemeinsam mit seiner Mutter. Weiters beherrscht der Beschwerdeführer die Sprache seines Herkunftsstaates, sodass auch keine sprachlichen Schwierigkeiten einer Resozialisierung in der Russischen Föderation entgegen stehen könnten. Aufgrund dieser nach wie vor bestehenden Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation kann auch im Hinblick auf die achtjährige Ortsabwesenheit nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre und er sich in seiner Heimat überhaupt nicht mehr zu Recht finden würde.

Der Beschwerdeführer ist zwar unbescholten, doch vermag nach der verwaltungsgerichtlichen Judikatur die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein weder das persönliche Interesse eines Fremden an einem Verbleib in Österreich zu verstärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl. etwa , mwN).

Angesichts der – in ihrem Gewicht erheblich geminderten – Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht des erkennenden Senates die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien ).

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien – letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiäre[m] Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich – im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. ).

Zusammengefasst ist deshalb davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, jedenfalls in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Ausweisung ist daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig, zumal für den illegal eingereisten Beschwerdeführer klar sein musste, dass er nur aufgrund von Falschangaben und aufgrund der Vorlage von nachweislich gefälschten Identitätsdokumenten im Asylverfahren zum Aufenthalt berechtigt war und ihm auch nur deshalb zeitweise eine befristete Aufenthaltsber[e]chtigung erteilt worden war.

Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von einer Ausweisung des Beschwerdeführers wiegen demgemäß schwerer als deren Auswirkungen auf dessen Lebenssituation, zumal davon auszugehen ist, dass dem gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz offensichtlich kein asylrelevanter Sachverhalt zu Grunde liegt und der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung versucht hat, seine Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat zu verschleiern."

9. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144a B VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander sowie des in Art 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

10. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und nahm zur behaupteten wirtschaftlichen Abhängigkeit des Beschwerdeführers von seiner Schwester Stellung.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation richtet, begründet.

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetz lich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK wider sprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechts vorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbe sondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof bei der Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes betreffend die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation unterlaufen:

2.1. Der Asylgerichtshof stützt seine Entscheidung zutreffend auf (den laut § 75 Abs 8 AsylG 2005 anzuwendenden) § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005, wonach eine Entscheidung, mit der der Asylantrag abgewiesen wurde und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung ausgesprochen wurde, mit der Ausweisung zu verbinden ist, sofern die Ausweisung nicht gemäß Abs 2 leg.cit. unzulässig ist, zB weil sie eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen würde. Dabei sind gemäß § 10 Abs 2 Z 2 AsylG 2005 insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts, die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

2.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich die vom Asylgerichtshof vorgenommene Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art 8 EMRK als unzutreffend:

2.2.1. Im Ergebnis gelangt der Asylgerichtshof zur Auffassung, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht hätten und gegenüber den öffentlichen Interessen auf dem Gebiet des Fremdenwesens jedenfalls in den Hintergrund treten würden, sodass die Verfügung der Ausweisung dringend geboten sei. Sie erscheine auch nicht unverhältnismäßig, zumal dem Beschwerdeführer klar gewesen sein musste, dass er nur aufgrund von Falschangaben und der Vorlage nachweislich gefälschter Identitätsdokumente zum Aufenthalt berechtigt gewesen sei und ihm auch nur deshalb zeitweise eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden sei. Ein Eingriff in das Familienleben hinsichtlich seiner Mutter liege nicht vor, weil beide von den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedroht seien. Der Asylgerichtshof geht davon aus, dass zur Schwester des Beschwerdeführers weder ein qualifiziertes Naheverhältnis noch eine finanzielle Abhängigkeit bestehe, weshalb kein Familienleben vorliege, das einer Abwägung bedürfe. Die Ausweisung des Beschwerdeführers stelle aber einen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privatlebens dar.

2.2.2. Der Asylgerichtshof hat − unter Zugrundelegung einer Gesamtbetrachtung und der Lage des Falles − zwar den öffentlichen Interessen auf dem Gebiet des Fremdenwesens die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers gegenübergestellt, die Interessen jedoch im Ergebnis in verfassungswidriger Weise abgewogen. Der Asylgerichtshof zählt zu den Integrationsmerkmalen des Beschwerdeführers auf, dass dieser unbescholten sei, in Österreich die Hauptschule abgeschlossen habe und aktuell die HTL besuche, über sehr gute Deutschkenntnisse verfüge, Mitglied in einem Sportverein sei und österreichische Freunde habe. Er sieht aber die Interessen des Beschwerdeführers in ihrem Gewicht zunächst dadurch erheblich gemindert, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seines Asylverfahrens eine unrichtige Geburtsurkunde vorgelegt habe, in welcher seine Schwester als seine Mutter genannt ist.

2.2.3. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer die Behörden über seine wahren Familienverhältnisse getäuscht und eine inhaltlich unrichtige Geburtsurkunde vorgelegt hat. Dieser Umstand ist jedoch dem im Zeitpunkt seiner Einreise unmündigen minderjährigen Beschwerdeführer nicht in gleichem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten bzw. der erwachsenen Schwester, die diese Urkunde im Herkunftsstaat noch vor der Ausreise bei der zuständigen Behörde ausstellen ließ.

Der Asylgerichtshof vermeint weiter, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Inland "in ihrem Gewicht maßgeblich dadurch gemindert [seien], dass der Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich aufgrund der Stellung eines Asylantrages, der sich als unbegründet erwiesen hat, nicht illegal gewesen ist. Der Beschwerdeführer musste sich im Laufe seines Aufenthaltes in Österreich bewusst sein, dass sein Aufenthalt 'unsicher' und lediglich auf die Dauer des Verfahrens beschränkt war […]". Damit lässt er unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum zwischen dem und dem über befristete Aufenthaltsberechtigungen verfügte.

Wenn der Asylgerichtshof im Hinblick auf den legalen Aufenthalt des Beschwerdeführers zwischen 2005 und 2008 jedoch an anderer Stelle darauf verweist, der Beschwerdeführer habe "durch seine Falschangaben und die Vorlage von nachweislich gefälschten Dokumenten die Behörden derart getäuscht […], dass ihm im Familienverfahren mit seiner Schwester, die sich jahrelang als seine Mutter ausgegeben hatte, sogar für einen gewissen Zeitraum befristete Aufenthaltsberechtigungen im Rahmen des Familienverfahrens mit seiner Schwester erteilt wurden", so übersieht er, dass die – den befristeten Aufenthaltsberechtigungen zugrunde liegende – Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückschiebung, Zurückweisung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat ausschließlich mit der schlechten Lage im Herkunftsstaat sowie dem – nicht näher ausgeführten – Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung begründet wurde. Einen Verweis auf die familiäre Situation des Beschwerdeführers enthält die Begründung dieser Entscheidung nicht. Der Beschwerdeführer durfte daher darauf vertrauen, dass sein Aufenthalt im Inland auf einer inhaltlich richtigen – durch die zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Gefährdungslage im Herkunftsstaat begründeten – Refoulement-Entscheidung beruhte. Die fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers, welcher im Alter von 13 Jahren nach Österreich eingereist ist, seine schulische Laufbahn hier absolviert hat und sich weiterhin in Schulausbildung befindet, über zahlreiche österreichische Freunde und Bekannte verfügt und in einem Sportverein aktiv ist, wo er an Wettkämpfen teilnimmt, lässt sich nicht durch den Vorwurf der Vorlage einer inhaltlich unrichtigen Geburtsurkunde relativieren, die keine Auswirkung auf die inhaltliche Entscheidung hinsichtlich der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation im Jahr 2005 hatte.

Den Schulbesuch des Beschwerdeführers anerkennt der Asylgerichtshof im Übrigen nicht als integrationsstiftend, sondern wirft dem Beschwerdeführer – im Übrigen unter Angabe falscher Daten (so hat der Beschwerdeführer die Hauptschule nicht im Jahr 2006, sondern im Jahr 2007 abgeschlossen, im darauffolgenden Schuljahr einen polytechnischen Lehrgang absolviert und im Schuljahr 2008/2009 einen HTL-Lehrgang besucht, sowie nach einem Vorbereitungsjahr an der derzeitigen Schule den aktuellen HTL-Lehrgang im Schuljahr 2011/2012 begonnen) – vor, erst im Alter von 21 Jahren (richtig: 20 Jahren) den nunmehr besuchten HTL-Lehrgang begonnen zu haben und eine universitäre Ausbildung zu planen, wobei der Asylgerichtshof in unangemessener Weise auf die Komplexität des angestrebten Studiums hinweist.

Soweit der Asylgerichtshof weiter vermeint, der Beschwerdeführer habe es bisher nicht geschafft, die Abhängigkeit von der Grundversorgung zu überwinden, so ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer während des Großteils des asylrechtlichen Verfahrens minderjährig war, keine Beschäftigungsbewilligung besaß sowie mittlerweile bereits über eine Einstellungszusage verfügt.

Damit hat der Asylgerichtshof im Rahmen seiner Interessenabwägung maßgebliche Sachverhaltselemente unrichtig dargestellt, andere nicht hinreichend berücksichtigt und im Ergebnis die entscheidungsrelevanten Umstände falsch gewichtet.

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Be schwerde gemäß Art 144a B VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrecht liche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Be schwerde abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

Auf Spruchpunkt I. dieser Entscheidung wird mit Blick auf die sich daraus allfällig ergebenden Rechtsfolgen für die Entscheidung hinsichtlich der Mutter des Beschwerdeführers, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird (vgl S. 61 der Entscheidung zu ZD14 406236-1/2009/12E), hingewiesen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Ent scheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten.