VfGH vom 30.11.2010, U1860/10

VfGH vom 30.11.2010, U1860/10

19236

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes; Willkür wegen Fehlens eines wesentlichen Begründungselementes in der Entscheidung des Asylgerichtshofes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener

Staatsbürger der Türkei, stellte am erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 "idgF" ebenso abgewiesen wie der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005 "idgF". Unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß '10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005 in die Türkei ausgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs mangels Beschwerde mit in Rechtskraft.

Am wurde der Beschwerdeführer einer Verkehrskontrolle unterzogen und festgenommen, da es ihm an einer Aufenthaltsberechtigung mangelte. Während der folgenden Einvernahme stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Er habe Österreich im September oder Oktober 2009 verlassen und sei erst Anfang Juli 2010 wieder nach Österreich eingereist. Er werde in der Türkei behördlich gesucht, da er seinen Wehrdienst nicht ableisten wolle. Im Mai 2010 sei er in Istanbul festgenommen und misshandelt worden.

2. Das BAA teilte dem Beschwerdeführer in seiner Verfahrensanordnung vom nach § 29 Abs 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) mit, dass beabsichtigt sei, seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG zurückzuweisen.

Am wurde der Beschwerdeführer zu seinem Asylantrag einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben, es seien keine neuen Umstände hervorgekommen, die "einer Ausweisung unter Bezugnahme auf Art 3 oder 8 EMRK entgegenstehen würden". Es sei unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer in seine Heimat zurückgekehrt sei; seit dem Bescheid des BAA im ersten Asylverfahren seien weniger als 18 Monate vergangen, die Ausweisung sei somit noch aufrecht.

3. Die Bezug habenden Akten des Beschwerdeführers langten am beim Asylgerichtshof ein, der mit dem angefochtenen Beschluss vom selben Tage die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß "§12a Abs 2 Z 1, 2 und 3 iVm § 41a AsylG 2005 idgF" für rechtmäßig befand.

4. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen \bereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu Entscheidungen des Asylgerichtshofes ausgesprochen hat, verstößt dieser gegen das aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgende Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen, wenn sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006, 18.632/2008).

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem belangten Asylgerichtshof ein willkürliches Verhalten vorzuwerfen:

2.1. Gemäß der, vom Verfassungsgerichtshof für unbedenklich befundenen Norm (vgl. zu § 12a Abs 2 in seiner Gesamtheit, ) des § 12a Abs 2 AsylG 2005 kann das BAA den faktischen Abschiebeschutz eines Asylwerbers dann aufheben, wenn

"1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,

2. der Antrag (§2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

Gemäß § 41a AsylG 2005 hat der Asylgerichtshof eine Entscheidung des BAA über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes von Amts wegen unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen und über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu entscheiden (§41a Abs 3 legt.cit.).

2.2. Aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen folgt für die Begründung dieser Entscheidung, dass sich aus ihr ergeben muss, ob die Entscheidung des BAA alle Tatbestandselemente erfüllt, die § 12a Abs 2 AsylG 2005 vorsieht. Aus der Begründung des Asylgerichtshofes muss sich daher ergeben, dass er sich vergewissert hat, ob eine aufrechte Ausweisung besteht, der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist und ob durch die "Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde".

Bei dieser Beurteilung kann sich der Asylgerichtshof - da er die Entscheidung des BAA lediglich zu überprüfen hat - auf das Verfahren des BAA stützen, doch muss sich aus seiner Entscheidung ergeben, dass er diese Überprüfung tatsächlich vorgenommen hat.

3. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Entscheidung des Asylgerichtshofes zwar, dass er das Vorliegen einer aufrechten Ausweisung sowie die Frage geprüft hat, ob der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen ist und ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK bedeuten würde. Hingegen ergibt sich aus der Begründung der asylgerichtlichen Entscheidung mit keinem Wort, ob auch geprüft wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung des Art 8 EMRK bedeuten würde.

Da insofern ein wesentliches Begründungselement der Entscheidung des Asylgerichtshofes fehlt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

III. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.