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VfGH vom 15.12.2010, U1858/10 ua

VfGH vom 15.12.2010, U1858/10 ua

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes; Willkür wegen Fehlens eines wesentlichen Begründungselementes in der Entscheidung des Asylgerichtshofes

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem durch das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.860,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine am

geborene Staatsbürgerin der Mongolei, stellte am erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen. Unter einem wurde die Zurückweisung, die Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Mongolei ausgewiesen. Nach Versäumung der Rechtsmittelfrist stellte die Erstbeschwerdeführerin mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, welcher mit Bescheid vom vom BAA zurückgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom abgewiesen und die Berufung gegen den inhaltlichen Bescheid des BAA als verspätet zurückgewiesen.

Mit Telefax vom gab die Internationale Organisation für Migration bekannt, dass die Erstbeschwerdeführerin am unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist sei.

2. Am stellte die Erstbeschwerdeführerin den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Ebenso stellte sie als gesetzliche Vertreterin für ihren am geborenen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer, einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden vom wies das BAA sowohl den Antrag der Erstbeschwerdeführerin als auch den Antrag des Zweitbeschwerdeführers gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005), BGBl. I 100/2005 ab, erkannte ihnen den Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 nicht zu und wies die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 in die Mongolei aus.

Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde vom mit Erkenntnis vom gemäß §§3, 8 Abs 1 und § 10 AsylG 2005 ab.

3. Am stellte die Erstbeschwerdeführerin ihren dritten und für den Zweitbeschwerdeführer den zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Verfahrensanordnung vom teilte das BAA den Beschwerdeführern gemäß § 29 Abs 3 AsylG 2005 idF BGBl. I 122/2009 mit, dass beabsichtigt sei, deren Anträge wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Am fand eine Einvernahme statt, am Ende derer das BAA mit mündlichen Bescheiden den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufhob. Eine schriftliche Wiedergabe der Bescheide findet sich in der jeweiligen Niederschrift der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers jeweils vom .

4. Mit den angefochtenen Beschlüssen vom bestätigte der Asylgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß §§12a Abs 2 iVm 41a AsylG 2005. Gegen die Beschwerdeführer liege eine aufrechte Ausweisung aufgrund der Erkenntnisse des Asylgerichtshofes vom vor. Eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes sei nicht eingetreten, da das neuerliche Vorbringen bereits von der Rechtskraft der vorhergehenden Asylverfahren umfasst sei. Das BAA habe sich ausreichend mit der allgemeinen Lage in der Mongolei auseinandergesetzt und zu Recht festgestellt, dass sich diese seit Eintritt der Rechtskraft des vorangegangenen Verfahrens nicht wesentlich zum Nachteil der Beschwerdeführer geändert habe. Es lägen auch sonst keine konkreten Anhaltspunkte für eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts vor. Die Voraussetzungen der §§12a Abs 2 iVm 41a AsylG 2005 lägen somit vor, die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sei rechtmäßig.

5. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/ 1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu Entscheidungen des Asylgerichtshofes ausgesprochen hat, verstößt dieser gegen das aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgende Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006, 18.632/08).

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem belangten Asylgerichtshof ein willkürliches Verhalten vorzuwerfen:

2.1. Gemäß der, vom Verfassungsgerichtshof für unbedenklich befundenen Norm des § 12a Abs 2 AsylG 2005 (vgl. zu § 12a Abs 2 in seiner Gesamtheit, ) kann das BAA den faktischen Abschiebeschutz eines Asylwerbers dann aufheben, wenn

"1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

Gemäß § 41a AsylG 2005 hat der Asylgerichtshof eine Entscheidung des BAA über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes von Amts wegen unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen und über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu entscheiden (§41a Abs 3 leg.cit.).

2.2. Aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen folgt für die Begründung dieser Entscheidung, dass sich aus ihr ergeben muss, ob die Entscheidung des BAA alle Tatbestandselemente erfüllt, die § 12a Abs 2 AsylG 2005 vorsieht. Aus der Begründung des Asylgerichtshofes muss sich daher ergeben, dass er sich vergewissert hat, ob eine aufrechte Ausweisung besteht, der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist und ob durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Bei dieser Beurteilung kann sich der Asylgerichtshof - da er die Entscheidung des BAA lediglich zu überprüfen hat - auf das Verfahren des Bundesasylamtes stützen, doch muss sich aus seiner Entscheidung ergeben, dass er diese Überprüfung tatsächlich vorgenommen hat.

3. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Entscheidungen des Asylgerichtshofes zwar, dass er das Vorliegen einer aufrechten Ausweisung sowie die Frage geprüft hat, ob die Folgeanträge voraussichtlich zurückzuweisen sind und ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK bedeuten würde. Hingegen ergibt sich aus der Begründung der asylgerichtlichen Entscheidungen mit keinem Wort, ob auch geprüft wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung des Art 8 EMRK bedeuten würde.

Da insofern ein wesentliches Begründungselement den Entscheidungen des Asylgerichtshofes fehlt, wurden die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt (vgl. ).

III. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Dabei ist zu beachten, dass im gegenständlichen Fall eine Beschwerde für insgesamt zwei Beschwerdeführer zu zwei gleichartigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofs eingebracht wurde. Hiefür gebührt insgesamt nur ein Pauschalsatz in Höhe von € 2.000,--. Ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,-- ist zusätzlich zu gewähren (vgl. VfSlg. 14.788/1997; ua; , B1798/00 ua). Den Beschwerdeführern sind somit Kosten von insgesamt € 2.860,-- zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,-- und die Eingabengebühr in der Höhe von € 220,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.