VfGH vom 14.12.2011, U1847/11
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes einen Tag nach der Zustellung des Beschlusses über die Beigebung eines Rechtsberaters
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 5 Asylgesetz 2005 zurückgewiesen wurde; gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen.
1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof, welcher die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schreiben vom die Beigebung eines Rechtsberaters. Mit Beschluss vom wurde dem Beschwerdeführer eine Rechtsberaterin beigegeben. Der Beschluss über die Beigebung eines Rechtsberaters wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am und der bestellten Rechtsberaterin am zugestellt. Mit Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß §§5 und 10 AsylG 2005 als unbegründet ab.
2. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144 B-VG [richtig: Art 144a B-VG] gestützten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
3. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Rechtslage
§66 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF
BGBl. I 122/2009, lautet:
"Rechtsberater
§66. (1) Zur Unterstützung von Fremden in Angelegenheiten des Asylrechts hat der Bundesminister für Inneres Rechtsberater in der notwendigen Anzahl zu bestellen. Diese haben ihre Tätigkeit objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen.
(2) Rechtsberater haben Fremde auf Verlangen
1. über alle das Asylrecht betreffenden Fragen zu informieren, soweit diese nicht in die Beratungspflicht der Rechtsberater (§64) fallen;
2. bei der Stellung oder Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz zu unterstützen;
3. in Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder -
soweit es sich um Asylwerber handelt - nach dem FPG zu vertreten, soweit nicht die Zuziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich vorgeschrieben ist;
4. bei der Übersetzung von Schriftstücken und Bereitstellung von Dolmetschern behilflich zu sein und
5. gegebenenfalls Rückkehrberatung zu leisten.
(3) Die Auswahl der Rechtsberater obliegt dem Bundesminister für Inneres. Er kann hierbei auf Vorschläge des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), der Länder und Gemeinden sowie des Beirates für Asyl- und Migrationsfragen (§18 NAG) Bedacht nehmen.
(4) Rechtsberater, die Bedienstete des Bundes sind, haben Anspruch auf Ersatz von Reisekosten nach Maßgabe der Reisegebührenvorschrift 1955, BGBl. Nr. 133, andere Rechtsberater auf Vergütung von Reisekosten, wie sie einem auf einer Dienstreise befindlichen Bundesbeamten der Gebührenstufe 3 nach der Reisegebührenvorschrift 1955 zusteht sowie auf eine Entschädigung für den Zeit- und Arbeitsaufwand, die vom Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festzusetzen ist."
III. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Beschwerde ist auch begründet:
2.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.
gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.3012/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2.2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre
reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:
In seinem Erkenntnis vom , U860/11, hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf seine Rechtsprechung (VfSlg. 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie U3078,3079/09) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren im Hinblick auf den in § 66 AsylG 2005 normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält.
Eine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander kann auch dann vorliegen, wenn der Asylgerichtshof zwar einen Rechtsberater zur Vertretung des Asylwerbers im asylgerichtlichen Verfahren bestellt hat, dem Asylwerber jedoch dennoch kein effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stand (vgl. ).
2.3. Im vorliegenden Fall hat der Asylgerichtshof
eine Rechtsberaterin beigegeben und diesen Beschluss vom dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am und der bestellten Rechtsberaterin am zugestellt. Am entschied der Asylgerichtshof über die Beschwerde des Beschwerdeführers.
Der Asylgerichtshof hat, indem er am Tag der Zustellung des Beschlusses über die Beigebung eines Rechtsberaters an die bestellte Rechtsberaterin (bzw. am Tag vor der Zustellung an den Beschwerdeführer) über die Beschwerde des Asylwerbers entschieden hat, dem Beschwerdeführer keine angemessene Frist eingeräumt, um sich im Verfahren der rechtlichen Beratung und allfälligen Vertretung durch die Rechtsberaterin zu bedienen und so seine Rechte im Verfahren effektiv wahrzunehmen.
Ein derartiges Vorgehen, mit dem das Recht eines Asylwerbers, sich in einem Asylverfahren eines Rechtsberaters zur rechtlichen Beratung und allenfalls Vertretung zu bedienen, im Verfahren vor dem Asylgerichtshof schlechthin missachtet wird, wertet der Verfassungsgerichtshof als willkürliche, das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzende Gesetzeshandhabung (vgl. ).
Damit hat der Asylgerichtshof gegen das Willkürverbot des Gebotes der Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoßen.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die
angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die angefochtene Entscheidung war daher schon aus
diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88
VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.