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VfGH vom 05.03.2012, U1776/11

VfGH vom 05.03.2012, U1776/11

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren, keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen bzw keine eigene Begründung in der Entscheidung des Asylgerichtshofes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger

Nigerias, reiste am ins Bundesgebiet ein und stellte am folgenden Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er als Fluchtgrund angab, im Haus jenes Mannes, bei dem er seit seinem 12. Lebensjahr gelebt und als Hausangestellter gearbeitet habe, ein Treffen von Menschen beobachtet zu haben, die viele Gewehre gehabt hätten, wobei ihm bewusst geworden sei, dass der Mann "ein Militanter" sei. Später sei ihm von dessen Sohn mitgeteilt worden, dass er beabsichtige, den Beschwerdeführer umzubringen. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und seine Ausweisung nach Nigeria ausgesprochen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen.

2. Am stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei er seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht hielt und ergänzend u. a. vorbrachte, dass er homosexuell sei und in Nigeria eine Beziehung mit einem Mann gehabt hätte, dessen Frau sie eines Tages zusammen gesehen und gedroht hätte, die Polizei zu rufen. Er befürchte seine Festnahme durch die Polizei bzw. seine Tötung, weil homosexuelle Handlungen in Nigeria verboten und im ganzen Land unter Strafe gestellt seien. In Österreich unterhalte er sexuelle Beziehungen zu drei Männern. Zu einem späteren Zeitpunkt legte der Beschwerdeführer zum Nachweis des Bestehens eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK eine Stellungnahme seines nunmehrigen Lebensgefährten vor. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und dieser aus dem Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. Der Asylgerichtshof wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Entscheidung vom ab und bestätigte die Ausweisung, wobei er begründend u. a. ausführte, dass dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers mangels Geltendmachung seiner angeblichen homosexuellen Orientierung im Erstverfahren kein glaubhafter Kern zugestanden werden könne. Bei den geltend gemachten Umständen handle es sich darüber hinaus auch im Falle hypothetischer Wahrunterstellung der Angaben um keine solchen, die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet hätten. Auch vermöge "eine tatsächlich vorliegende homosexuelle Orientierung per se betrachtet [...] ohne das Hinzutreten risikoerhöhender Faktoren als solche keine maßgeblich wahrscheinliche Gefährdung im Hinblick auf den Schutzzweck subsidiärer Schutzgewährung [...] zu indizieren".

3. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144 (richtig: Art 144a) B-VG gestützten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Begründend wird insbesondere ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Homosexualität in Nigeria die sofortige Verhaftung, eine schwere Gefängnisstrafe oder sogar die Todesstrafe drohe und ihm daher subsidiärer Schutz hätte gewährt werden müssen.

4. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerde erweist sich auch als begründet:

2.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre

reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.2.1. Der Asylgerichtshof begründet seine

Entscheidung im Wesentlichen mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Homosexualität; er führt dazu aus, dass dieser seine sexuelle Orientierung im ersten Asylverfahren nicht thematisiert und zu seiner angeblichen sexuellen Beziehung in Nigeria keine näheren Angaben gemacht hätte. Mag dies in Hinblick auf das Vorbringen betreffend Nigeria auch denkmöglich zutreffen, so hat der Beschwerdeführer indes im Verfahren vor dem Bundesasylamt eine Stellungnahme seines angeblichen Lebensgefährten in Österreich vorgelegt, in der dieser die bestehende Lebensgemeinschaft bestätigt, sowie in seiner Beschwerde an den Asylgerichtshof dessen zeugenschaftliche Einvernahme beantragt. Der Asylgerichtshof ist diesem Antrag nicht nachgekommen; er geht in der angefochtenen Entscheidung weder auf die Stellungnahme des Lebensgefährten ein, noch wird begründet, warum diese nicht berücksichtigt wurde. Damit hat der Asylgerichtshof es jedoch unterlassen, zu begründen, warum er - trotz im Akt vorhandener Bescheinigungsmittel - von der Unglaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens des Beschwerdeführers ausgeht.

2.2.2. Der Asylgerichtshof hat, indem er die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht substantiiert begründet hat, seine Entscheidung mit Willkür behaftet. Die angefochtene Entscheidung ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, weshalb sich eine Überprüfung der vom Asylgerichtshof durchgeführten Prüfung hinsichtlich einer Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne der Art 2 und 3 EMRK - insbesondere in Hinblick auf die Situation Homosexueller in Nigeria - erübrigt.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die

angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung war daher

aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88

VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.