VfGH vom 14.03.2012, U1717/11
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren, keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen bzw keine eigene Begründung in der Entscheidung des Asylgerichtshofes
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer reiste am nach Österreich ein, brachte vor, sudanesischer Staatsangehöriger zu sein und stellte am folgenden Tag einen Asylantrag. Dem Verwaltungsakt des Bundesasylamts ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bei seiner ersten Einvernahme angegeben hatte, christlicher Prediger im Sudan gewesen zu sein. Mitglieder einer moslemischen Rebellenmiliz hätten seine Ehefrau und seinen Sohn getötet sowie sein Haus niedergebrannt. Er selbst sei mehrmals attackiert worden, habe aber fliehen können.
2. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. 76/1997 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997), ab, stellte außerdem fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Sudan bzw. Nigeria" gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 zulässig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Sudan bzw. Nigeria" aus.
3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wies der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung vom als unbegründet ab. Der Sudan sei nicht der Herkunftsstaat des Einschreiters. Da die Angaben zum Herkunftsstaat falsch seien, entsprächen die damit verbundenen Fluchtgründe nicht den Tatsachen. Die Angaben zu den Fluchtgründen würden der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt.
Eine Schilderung des Fluchtvorbringens und seine Würdigung fehlt im Erkenntnis jedoch.
In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gemäß Art 3 und 8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.
4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Behandlung der Beschwerde abzulehnen oder die Beschwerde abzuweisen.
II. Erwägungen
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,
nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem
belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:
2.1. Gemäß dem - aus dem Blickwinkel des Falles verfassungsrechtlich unbedenklichen - § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (AsylGHG), BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof (soweit sich aus dem AsylG 2005 nicht anderes ergibt) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
2.2. Der Asylgerichtshof ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.
2.3. Bereits aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die zu § 67 iVm § 60 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (zB ; , 98/01/0278; , 98/20/0559; , 99/01/0280; , 2000/20/0356), auf Entscheidungen des Asylgerichtshofes nicht übertragbar ist. Mag eine entsprechende Verweisung auf unterinstanzliche Bescheide in Bescheiden von Berufungsbehörden noch im Interesse der Verfahrensökonomie gelegen sein, so ist diese Begründungstechnik dann nicht mehr hinnehmbar, wenn die verweisende Entscheidung von einem (nicht im Instanzenzug übergeordneten) Gericht erlassen wird, welches überdies seinerseits nicht mehr der Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt.
2.4. In der angefochtenen Entscheidung hat der
belangte Asylgerichtshof es verabsäumt, den Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung ausreichend darzustellen. So fehlt jegliche Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen. Erst in Zusammenschau mit dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich dieses Vorbringen.
2.5. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergeben. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006, 18.632/2008).
2.6. Der Beschwerdeführer ist schon allein deshalb durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden, ohne dass auf allfällige weitere Aufhebungsgründe einzugehen war.
III. Ergebnis
1. Die angefochtene Entscheidung ist daher
aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88
VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz leg.cit. ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.