VfGH vom 13.09.2013, U1685/2012
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags und Ausweisung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation mangels ausreichender Begründung der angenommenen Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sowie mangels Berücksichtigung des Fluchtvorbringens betreffend erlittene Misshandlungen und dem dazu erstatten Gutachten
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973).
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. In den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab er als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er von den russischen Behörden mehrmals festgenommen, geschlagen und verhört worden sei. Im April 2006 sei er zwei Monate lang angehalten und geschlagen worden. Er sei in der Nacht von zu Hause abgeholt worden. Man habe ihm eine Jacke über den Kopf gezogen, in einem Zimmer mehrere Tage an einen Heizkörper gekettet und wiederholt geschlagen; zeitweise sei er auch ohnmächtig gewesen. Danach sei er in einen Keller gebracht worden, wo er täglich geschlagen und sogar mit Strom gefoltert worden sei. Man habe ihn zwingen wollen, die Teilnahme an einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Polizei und den Rebellen in Grosny im Jahre 2004 zu gestehen. Bei seiner Freilassung habe man ihm gesagt, dass er der russischen Polizei Informationen über Rebellen liefern müsse. Auch in den Jahren 2007 und 2008 sei er von der Polizei befragt worden. Im Juni 2010 sei er zuletzt angehalten worden. Man habe ihn abermals geschlagen und getreten, da man ihn neuerlich zur Zusammenarbeit mit der russischen Polizei habe zwingen wollen. Nach der Zusage des Beschwerdeführers, mit der Polizei zu kooperieren, sei er freigelassen worden. Danach habe er seine Ausreise organisiert.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§3 und 8 Asylgesetz 2005 abgewiesen und der Beschwerdeführer wurde in die Russische Föderation gemäß § 10 Asylgesetz 2005 ausgewiesen. Dieser Bescheid wurde vom Asylgerichtshof mit Entscheidung vom aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Bescheiderlassung zurückverwiesen; Grund dafür war, dass es das Bundesasylamt verabsäumt habe, über die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Folter durch Stromschläge ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Der Sachverständige kam zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers "nicht bestätigt, aber auch nicht widerlegt werden" könne, dass wegen des Fehlens von Strommarken nicht zwingend davon ausgegangen werden könne, dass es keine Stromfolter gegeben habe, und dass die vom Beschwerdeführer beschriebene Anwendung und Wirkung mit der Anwendung eines Stromfoltergerätes durchaus vereinbar seien. Das Bundesasylamt wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom neuerlich ab; der Beschwerdeführer wurde in die Russische Föderation ausgewiesen.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der der Beschwerdeführer insbesondere die Anhaltung im Jahr 2006 in ihren wesentlichen Zügen gleich schilderte, mit der angefochtenen Entscheidung ab.
Die Abweisung begründete der Asylgerichtshof zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung einen unglaubwürdigen Eindruck hinterlassen habe, zumal er die Gründe für seine Verfolgung und Ausreise widersprüchlich schilderte; hinzu kämen "eklatante Widersprüche" hinsichtlich des Zusammenlebens mit seiner Ehefrau und deren Unterhalt. Unter Hinweis, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Sprachschwierigkeiten nicht zuträfen, sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der tatsächlichen Vorladung vor die russischen Behörden diese Vorladung nicht erst in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof erwähnt hätte, sondern bereits bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt oder bei dem Gespräch mit dem Arzt. Widersprüchlich sei, dass der Beschwerdeführer einerseits angegeben habe, von den russischen Behörden gesucht zu werden, anderseits aber kein föderationsweiter Haftbefehl gegen ihn bestehe und er trotz vielfacher Vorladungen immer wieder freigelassen worden sei. Auch habe er zu den Umständen seiner Anhaltung im Jahr 2010 widersprüchliche Angaben gemacht, indem er einmal angegeben habe, gefoltert worden zu sein, ein andermal nicht gefoltert, aber geschlagen bzw. mit Füßen getreten und mit der Hand ins Gesicht geschlagen worden zu sein. Weiters seien die Angaben zum Unterhalt für die Ehefrau des Beschwerdeführers, zum Ort des Zusammenlebens mit ihr und zur Höhe der monatlichen Miete für ein Haus widersprüchlich.
4. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Leben (Art2 EMRK), keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigen Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), auf Freiheit und Sicherheit (Art5 EMRK) und auf Achtung des Privatlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die Aufhebung "des angefochtenen Bescheides" [richtig: der angefochtenen Entscheidung] beantragt werden.
5. Der Asylgerichtshof hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde abzuweisen; von der Erstattung einer Gegenschrift hat er abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001; ; , U179/12).
2. Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof vorzuwerfen:
Der Asylgerichtshof begründet die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hauptsächlich mit einzelnen Abweichungen in seinem Vorbringen während der unterschiedlichen Stadien des Asylverfahrens, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass es sich dabei lediglich um Abweichungen in Details handelt, die entweder nicht den Kern des Fluchtvorbringens treffen (wie die genaue Dauer der Anhaltung oder die Frage, ob der Beschwerdeführer "geschlagen" oder "gefoltert" worden sei) oder die mit dem Fluchtvorbringen in keinem Zusammenhang stehen (wie Fragen zur Unterhaltsleistung an die Ehefrau des Beschwerdeführers oder die Höhe der Miete des gemeinsamen Hauses).
Völlig unberücksichtigt lässt der Asylgerichtshof aber auch die – detaillierten und im Wesentlichen gleichlautenden – Schilderungen des Beschwerdeführers von seinen Misshandlungen in Haft in seinem Heimatstaat. Auch das dazu vom Bundesasylamt im zweiten Rechtsgang eingeholte Sachverständigengutachten, in dem das vom Beschwerdeführer erstatte Vorbringen zur Folter mit Stromstößen zumindest nicht für widerlegt bzw. mit der Anwendung eines Stromfoltergerätes durchaus vereinbar erachtet wurde, findet in der Begründung der angefochtenen Entscheidung keine Berücksichtigung.
Indem der Asylgerichtshof die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ausschließlich auf Nebenumstände stützt und das eigentliche Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und das dazu erstattete Gutachten völlig unberücksichtigt lässt, ist die angefochtene Entscheidung in entscheidenden Punkten ohne Begründung.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 iVm § 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten.