VfGH vom 26.09.2012, U165/12 ua

VfGH vom 26.09.2012, U165/12 ua

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des (Erst )Antrags auf internationalen Schutz und Ausweisung eines afghanischen Staatsangehörigen nach Ungarn mangels jeglicher Auseinandersetzung in einem entscheidungswesentlichen Aspekt im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Aufenthalt in Griechenland; ex-tunc-Wirkung der Aufhebung dieser Entscheidung; daher auch Aufhebung der Entscheidung des Asylgerichtshofes über den Folgeantrag wegen objektiver Willkür

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Entscheidungen in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit jeweils € 2.400,-, insgesamt daher € 4.800,-, bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er hinsichtlich seines Fluchtweges an, von Afghanistan über den Iran und die Türkei nach Griechenland gereist zu sein. Dort sei er von der griechischen Polizei aufgegriffen und seien ihm die Fingerabdrücke abgenommen worden. Nach einem 20-tägigen Aufenthalt in Athen habe er sich mit Hilfe eines Schleppers zusammen mit etwa 30 anderen Personen in einem Lastkraftwagen nach Österreich begeben, wobei er nicht wisse, durch welche Länder er gereist sei. Ungarn sei ihm jedenfalls unbekannt, er habe sich nie dort aufgehalten.

1.1. Auf Grund dieser Angaben stellte das Bundesasylamt am an Ungarn ein Ersuchen um Aufnahme des Beschwerdeführers im Sinne des Art 17 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin-II-VO). Mit Schreiben vom erklärten sich die ungarischen Behörden zur Aufnahme des Beschwerdeführers bereit.

In Bezug auf die geführten Konsultationen gab der Beschwerdeführer in einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am erneut an, nicht in Ungarn gewesen zu sein. Er habe in Österreich um Schutz angesucht und wolle auch hier bleiben.

1.2. Das Bundesasylamt wies den (Erst )Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom gemäß § 5 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 38/2011, (im Folgenden: AsylG 2005) als unzulässig zurück, weil gemäß Art 10 Abs 1 Dublin-II-VO Ungarn für die Prüfung des Antrags zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen.

1.3. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde

wies der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§5 und 10 AsylG 2005 ab. Der Asylgerichtshof geht einleitend davon aus, dass der Beschwerdeführer "laut eigener Aussage" von Afghanistan über den Iran und die Türkei gemeinsam mit seinem Bruder per Schlauchboot nach Griechenland gereist sei, wo er und sein Bruder nach eigener Aussage daktyloskopiert worden seien. Nach einem etwa 20-tägigen Aufenthalt sei er über den Landweg nach Österreich gereist, wobei er nicht wisse, durch welche Länder er gereist sei. Der Beschwerdeführer sei mit seinem Bruder, 68 weiteren Asylwerbern und dem Schlepper in Österreich aufgegriffen worden.

Betreffend die Zuständigkeit Ungarns zur Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers führte der Asylgerichtshof aus, dass Ungarn auf Grundlage des Art 10 Dublin-II-VO akzeptiert habe, den Beschwerdeführer wieder rückzuübernehmen und seinen Asylantrag zu prüfen. Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer in Ungarn Zugang zu einem Asylverfahren habe, lägen daher nicht vor. Das Konsultationsverfahren sei mängelfrei erfolgt. Auf Grund der übereinstimmenden Angaben der Mitreisenden, insbesondere auch des Bruders des Beschwerdeführers, sei dessen Vorbringen, er sei nie in Ungarn gewesen, nicht glaubhaft.

Zwingende Gründe für einen Selbsteintritt Österreichs in die materielle Prüfung des Asylantrags gemäß Art 3 Abs 2 Dublin-II-VO seien nicht erkennbar: So liege betreffend Ungarn keine Berichtslage des UNHCR oder anderer Organisationen vor, die eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers nach Art 3 EMRK durch seine Überstellung dorthin wahrscheinlich machen würden. Zudem seien - anders als dies durch den EGMR in seinem Urteil vom , Fall M.S.S., Appl. 30.696/09, in Bezug auf Griechenland festgestellt worden sei - keine schweren systemischen Mängel im ungarischen Asylverfahren zu ersehen. Schließlich stehe auch Art 8 EMRK der Überstellung des Beschwerdeführers nach Ungarn nicht entgegen, weil er in Österreich keine familiären Bezüge aufweise und schon auf Grund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet kein schützenswertes Privatleben entwickelt habe.

1.4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144 (gemeint: Art 144a) B-VG zu U165/12 erhobenen Beschwerde wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie in den gemäß Art 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechten geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass angesichts einer wenige Tage vor der bekämpften Entscheidung ergangenen Maßnahme des EGMR in einem anderen Fall, der zufolge der dortige Antragsteller nicht nach Ungarn abgeschoben habe werden dürfen, der Asylgerichtshof nicht mehr von der uneingeschränkten Richtigkeit offizieller ungarischer Angaben ausgehen hätte dürfen und der Asylgerichtshof amtswegig eine Neubeurteilung des tatsächlichen Zustands in Ungarn vornehmen hätte müssen; insofern sei dem Asylgerichtshof ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorzuwerfen.

2. Zur Sicherung der Abschiebung, die für den angesetzt war, wurde der Beschwerdeführer am festgenommen. An diesem Tag stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer erneut zu Protokoll, er sei nie in Ungarn gewesen, man werde in Ungarn verhaftet und nicht gut behandelt; dies alles habe er schon immer gewusst. Am wurde der Beschwerdeführer nach Ungarn abgeschoben.

2.1. Der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. 51 idF BGBl. 471/1995, (im Folgenden: AVG) und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß § 68 Abs 1 AVG iVm § 10 Abs 1 Z 1 und § 41 Abs 6 AsylG 2005 mit der Maßgabe ab, dass die Ausweisung zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig war. Begründend führte der Asylgerichtshof im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines neuerlichen Antrags auf internationalen Schutz keine neuen Umstände vorgebracht. Ungarn habe auf Grundlage des Art 10 Dublin-II-VO die Wiederaufnahme des Beschwerdeführers akzeptiert. Es seien auch keine Hinweise ersichtlich, dass die Zuständigkeit Ungarns zur Prüfung seines Antrags untergegangen wäre oder dass die Konsultationen grob fehlerhaft erfolgt wären, sodass nicht von Willkür zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte. Auch hätten sich die ungarische Rechtslage und Vollzugspraxis seit der letzten, seit rechtskräftigen Entscheidung des Asylgerichtshofes nicht wesentlich geändert. Es liege somit kein neuer Sachverhalt vor. Im Übrigen seien auch in der Beschwerde an den Asylgerichtshof keine im Vergleich zur letzten rechtskräftigen Entscheidung neuen Umstände vorgebracht worden. Die Ausweisungsentscheidung sei rechtmäßig gewesen, da keine kernfamiliären Anknüpfungspunkte in Österreich und auf Grund der Kürze des Aufenthalts im Bundesgebiet kein schützenswertes Privatleben des Beschwerdeführers vorgelegen seien.

2.2. In der gegen diese Entscheidung über den Folgeantrag gemäß Art 144a B-VG zu U874/12 erhobenen Beschwerde wird u.a. ausgeführt, dass - wenn der Beschwerdeführer über Griechenland gereist sei, wovon in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen werde - nach der Dublin-II-VO grundsätzlich von der Zuständigkeit Griechenlands auszugehen wäre; da eine Abschiebung nach Griechenland unmöglich erscheine, würde sich eine Zuständigkeit Österreichs aus der Souveränitätsklausel ergeben, selbst wenn der Beschwerdeführer über Ungarn nach Österreich geflüchtet wäre. Da die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK bedeutet hätte, würden mit der Auffassung, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 12a AsylG 2005 kein faktischer Abschiebeschutz zugekommen sei, Art 3 und 13 EMRK verletzt; dadurch in Verbindung mit der darauf folgenden Ausweisung werde weiters gegen Art 18 und 19a der Grundrechte-Charta verstoßen.

3. Der Asylgerichtshof sah jeweils von der Erstattung einer Gegenschrift ab und übermittelte die Verfahrensakten.

II. Rechtslage

1. Nach § 5 Abs 1 AsylG 2005 ist ein nicht bereits

wegen Drittstaatssicherheit erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-II-VO zur Prüfung des Antrags zuständig ist. Eine derartige Zurückweisung ist gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden.

2. Die Dublin-II-VO ersetzte in ihrem Geltungsbereich das Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (kundgemacht in BGBl. III 165/1997).

2.1. Die Dublin-II-VO legt die Kriterien und das Verfahren für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest. Gemäß des in Kapitel III enthaltenen Art 5 der Verordnung finden diese Kriterien in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge Anwendung. Hält ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags für zuständig, führt er ein so genanntes Konsultationsverfahren durch, in dem er im Rahmen der Verwaltungskooperation gemäß Art 21 Dublin-II-VO den anderen Mitgliedstaat um Daten und Informationen über den Asylwerber oder gemäß Art 17 leg.cit. gleich um Aufnahme des Asylwerbers ersucht. Der ersuchte Mitgliedstaat entscheidet über dieses Gesuch gemäß Art 18 leg.cit. innerhalb von zwei Monaten.

2.2. Kapitel III der Dublin-II-VO lautet

auszugsweise:

"KAPITEL III

RANGFOLGE DER KRITERIEN

Artikel 5

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

Artikel 6

Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.

Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig.

Artikel 7

Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen - ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat -, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betroffenen Personen dies wünschen.

Artikel 8

Hat ein Asylbewerber in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde, so obliegt diesem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags, sofern die betroffenen Personen dies wünschen.

Artikel 9

(1) Besitzt der Asylbewerber einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

(2) - (5) [...]

Artikel 10

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylbewerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Hat der Asylbewerber sich für Zeiträume von

mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Artikel 11

(1) Reist ein Drittstaatsangehöriger in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ein, in dem für ihn kein Visumzwang besteht, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

(2) Der Grundsatz nach Absatz 1 findet keine

Anwendung, wenn der Drittstaatsangehörige seinen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat stellt, in dem er ebenfalls kein Einreisevisum vorweisen muss. In diesem Fall ist der letztgenannte Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Artikel 12

Stellt ein Drittstaatsangehöriger einen Asylantrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaats, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Artikel 13

Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung

nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Artikel 14

Stellen mehrere Mitglieder einer Familie in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Asylantrag, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:

a) zuständig für die Prüfung der Asylanträge

sämtlicher Familienmitglieder ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils der Familienmitglieder zuständig ist;

b) andernfalls obliegt die Prüfung dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten Familienmitglied eingereichten Asylantrags zuständig ist."

2.3. Auch wenn ein Mitgliedstaat nach den dargelegten Kriterien des Kapitels III der Dublin-II-VO nicht für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, kann er einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen.

Art3 Dublin-II-VO lautet:

"Artikel 3

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Abweichend von Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Asylbewerber nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften unter Wahrung der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention in einen Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

(4) Der Asylbewerber wird schriftlich und in einer ihm hinreichend bekannten Sprache über die Anwendung dieser Verordnung, ihre Fristen und ihre Wirkung unterrichtet."

3. § 68 Abs 1 AVG lautet:

"§68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in

sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB ; VfSlg. 18.091/2007, 19.283/2010 mwN).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem

belangten Asylgerichtshof hinsichtlich seiner Entscheidung über den Erstantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vorzuwerfen:

2.1. Welcher Mitgliedstaat zur Prüfung eines im Hoheitsgebiet der Europäischen Union gestellten Asylantrags zuständig ist, ergibt sich aus den in Art 5 - 14 Dublin-II-VO enthaltenen Kriterien: Danach hat ein Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, zunächst zu prüfen, ob es sich bei dem Asylwerber um einen unbegleiteten Minderjährigen mit familiären Anknüpfungspunkten in der Europäischen Union handelt (Art6 leg.cit.), sodann auf in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigte (Art7 leg.cit.) sowie selbst als Asylwerber aufhältige (Art8 leg.cit.) Familienangehörige und nachrangig auf allfällige Aufenthaltstitel in einem oder mehreren Mitgliedstaaten (Art9 leg.cit.) abzustellen. Nach Art 10 Dublin-II-VO ist jener Mitgliedstaat zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylwerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Besteht für einen ins Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates gereisten Drittstaatsangehörigen dort kein Visumszwang, ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig (Art11 Abs 1 leg.cit.). Für die Prüfung eines im Transitbereich eines Flughafens gestellten Asylantrags ist jener Mitgliedstaat zuständig, in dessen Gebiet sich der Flughafen befindet (Art12 leg.cit.). Wenn sich jedoch anhand all dieser Kriterien nicht bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, ist gemäß Art 13 der Verordnung der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Art 14 leg.cit. regelt schließlich den Sonderfall, dass Familienmitglieder, die gleichzeitig oder in großer zeitlicher Nähe Asylanträge gestellt haben, durch die Anwendung der Dublin-II-VO getrennt werden würden.

2.2. Im hg. Erkenntnis vom , U330/12, dem ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, wurde die Entscheidung des Asylgerichtshofes aufgehoben, in der dieser zusammengefasst davon ausgeht, dass im Falle der erstmaligen Einreise in das Hoheitsgebiet der EU über Griechenland, gefolgt von einer Ausreise aus der EU und neuerlichen Einreise in Ungarn, die "Anknüpfungskette" nach den Dublin-II-Kriterien reiße und die Zuständigkeit Griechenlands durch die zwischenzeitige Ausreise erlösche. Der Verfassungsgerichtshof erachtete in diesem Fall den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, da sich diese Rechtsansicht des Asylgerichtshofes nicht eindeutig aus Art 10 Abs 1 Dublin-II-VO ergebe, weshalb der Asylgerichtshof verpflichtet gewesen wäre, dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob Griechenland trotz (kurzfristiger) Ausreise des Fremden in einen Drittstaat für die Prüfung eines sodann in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist.

2.3. Im vorliegenden Fall vertritt der Asylgerichtshof die Auffassung, dass Ungarn gemäß Art 10 Abs 1 Dublin-II-VO für die Prüfung des in Österreich gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei, obwohl er einleitend festhält, dass der Beschwerdeführer "laut eigener Aussage" nach Griechenland gereist "ist" und sich nach einem 20-tägigen Aufenthalt in Athen nach Österreich begeben "hat". Ob es sich dabei um Feststellungen zur Reiseroute des Beschwerdeführers oder um eine bloße Wiedergabe des diesbezüglichen Vorbringens handelt, geht aus der Formulierung nicht klar hervor. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung setzt sich der Asylgerichtshof mit den getroffenen Feststellungen bzw. dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Aufenthalt in Griechenland nicht auseinander. Die Zuständigkeit Ungarns nach der Dublin-II-VO begründet er lediglich damit, dass Ungarn die Rückübernahme des Beschwerdeführers akzeptiert habe; auf eine etwaige Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art 10 Abs 1 Dublin-II-VO oder eine unter Umständen sich daraus ergebende Zuständigkeit Österreichs auf Grund der hier erfolgten Asylantragstellung gemäß Art 13 leg.cit. geht der Asylgerichtshof mit keinem Wort ein.

2.4. Da der Asylgerichtshof somit jegliche Auseinandersetzung in einem für die Begründung seiner Entscheidung wesentlichen Aspekt vermissen lässt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt (vgl. ).

3. Mit der Aufhebung der Entscheidung des Asylgerichtshofes über den Erstantrag des Beschwerdeführers, die auf den Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung zurückwirkt (ex-tunc-Wirkung), tritt die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung der angefochtenen und nunmehr aufgehobenen Entscheidung befunden hat. Diese Wirkung, die im § 42 Abs 3 VwGG für die Aufhebung eines Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich ausgesprochen wird, kommt auch einem aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes im Rahmen seiner Zuständigkeit nach Art 144a B-VG zu (vgl. VfSlg. 15.669/1999, 17.045/2003). Der Rechtszustand zwischen der Erlassung der Entscheidung und ihrer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof ist so zu betrachten, als ob die aufgehobene Entscheidung von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Das bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und faktischen "Vollzugs"-Akten, die während der Geltung der aufgehobenen Entscheidung auf deren Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Grundlage entzogen wurde (vgl. mwN; , 2004/03/0012; , 2002/21/0062).

3.1. In seiner abweisenden Entscheidung über den Folgeantrag des Beschwerdeführers ging der Asylgerichtshof vom Vorliegen einer entschiedenen Sache iSd § 68 Abs 1 AVG aus, weswegen das Bundesasylamt den neuerlichen Asylantrag des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen habe. Die Entscheidung über den Folgeantrag, die sich auf die Entscheidung über den Erstantrag stützt, steht durch die auf den Erlassungszeitpunkt zurückwirkende Aufhebung dieser Entscheidung in offenkundigem Widerspruch zur neu geschaffenen Sachlage zum Erlassungszeitpunkt. Dem Asylgerichtshof ist die sonach gegebene Fehlerhaftigkeit der Entscheidung über den Folgeantrag zwar subjektiv nicht vorwerfbar; dessen ungeachtet obliegt es dem Verfassungsgerichtshof, den durch die rückwirkende Aufhebung der Entscheidung über den Erstantrag eingetretenen, objektiver Willkür gleichzuhaltenden Widerspruch der angefochtenen Entscheidung über den Folgeantrag zur maßgebenden Sachlage aufzugreifen (vgl. VfSlg. 17.066/2003, 17.563/2005).

3.2. Der Beschwerdeführer ist somit auch durch die angefochtene Entscheidung über seinen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz wegen objektiver Willkür des Asylgerichtshofes in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die angefochtenen Entscheidungen waren daher

jeweils aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88

VfGG. In den für beide Beschwerden gegen die in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht unterschiedlich gelagerten Entscheidungen (vgl. VfSlg. 16.525/2002) jeweils in Höhe des Pauschalsatzes zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von insgesamt € 800,- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.