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VfGH vom 18.06.2012, U1553/11

VfGH vom 18.06.2012, U1553/11

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung des illegal eingereisten türkischen Ehemannes einer mittlerweile verstorbenen in Österreich niedergelassenen Unionsbürgerin

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, im durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung wird insoweit

aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76, abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Republik Türkei gemäß § 8 Abs 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76 idF BGBl. I 101/2003, für zulässig erklärt; zugleich wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung (nunmehr: Beschwerde).

Am langte beim Asylgerichtshof eine Mitteilung des Standesamtes Salzburg vom ein, wonach der Beschwerdeführer die Eheschließung mit einer in Salzburg wohnhaften Staatsangehörigen der Schweiz beabsichtige.

Mit legte der Beschwerdeführer - nach schriftlicher Aufforderung durch den Asylgerichtshof, (ua.) die derzeitige Lebenssituation in Österreich näher darzustellen - die Heiratsurkunde vom vor.

4. Mit der angefochtenen Entscheidung vom wies der Asylgerichtshof die erhobene Beschwerde ab, wobei die Ausweisung zielstaatsbezogen formuliert und auf § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 135/2009, gestützt wurde.

Die Abweisung des Asylantrages begründete der Asylgerichtshof im Wesentlichen mit der mangelnden Glaubhaftigkeit und mangelnden Aktualität des Fluchtvorbringens; auch sei keine asylrelevante Gefährdung auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit oder des Glaubens erkennbar. Die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Republik Türkei begründete der Asylgerichtshof im Wesentlichen damit, dass kein "real risk" einer unmenschlichen Behandlung festzustellen sei, zumal der Beschwerdeführer an keiner akut behandlungsbedürftigen lebensbedrohlichen Erkrankung leide und im Herkunftsstaat über ein soziales Netz und eine Wohnmöglichkeit verfüge.

Hinsichtlich der Ausweisung des Beschwerdeführers

führte der Asylgerichtshof zunächst aus, dass der Beschwerdeführer über keine Verwandten in Österreich verfüge, da "eine Nachschau im Zentralen Melderegister ergeben hat, dass seine aus der Schweiz stammende - am geehelichte - Gattin C[...] M[...] mittlerweile bereits verstorben ist" (Entscheidung S 47). Ein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK zu einer sonstigen Person in Österreich sei nicht vorgebracht worden. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden überwiegen, der Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers sei notwendig und auch verhältnismäßig.

5. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 5, 6 und 8 EMRK sowie die Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

Ausgeführt wird dazu im Wesentlichen, dass dem Beschwerdeführer das Ermittlungsergebnis zum Ableben seiner Ehefrau nicht vorgehalten worden sei. Hätte man ihm diesbezüglich einen Vorhalt gewährt, hätte er darlegen können, dass er seit dem Ableben der Frau in ständiger Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau stehe. In Österreich sei er integriert, die Türkei sei hingegen ein unsicheres Land für ihn. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung seien nicht vorgelegen. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren sei mangelhaft.

6. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und beantragte die Beschwerde abzuweisen. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde - unter Verweis auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung - Abstand genommen.

II. Rechtslage

Der im vorliegenden Fall maßgebliche § 10 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 38/2011, (im Folgenden: AsylG 2005) lautet auszugsweise:

"§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz

zurückgewiesen wird;

2. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl

bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten

aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.

(2) Ausweisungen nach Abs 1 sind unzulässig, wenn

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2. diese eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen

würden. [...]

(3) - (8) [...]"

III. Erwägungen

A. Die - zulässige - Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers richtet, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof anzulasten:

Wie unter Punkt II. dargestellt, sind gemäß § 10 Abs 2 Z 1 AsylG 2005 Ausweisungen unzulässig, wenn dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt.

Der Asylgerichtshof hat diesbezüglich in seiner

Entscheidung keinerlei Erwägungen angestellt und insbesondere auch die in Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. 2004 L 158, S 77, erlassenen Bestimmungen der §§51 ff. Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, (im Folgenden: NAG) nicht näher in die Prüfung der Ausweisungsentscheidung miteinbezogen.

Dazu wäre der Asylgerichtshof - angesichts der vom Beschwerdeführer vorgelegten Heiratsurkunde, wonach am die Verehelichung mit einer in Österreich wohnhaften Staatsbürgerin der Schweiz (vgl. § 57 NAG) stattgefunden hatte - jedoch verpflichtet gewesen (vgl. VfSlg. 18.985/2010; mwH). Dass die Ehefrau mittlerweile verstorben ist, vermag an dieser Verpflichtung nichts zu ändern, zumal das Ableben des Zusammenführenden keineswegs den Verlust des Aufenthaltsrechtes bedeuten muss (s. § 54 Abs 3 NAG; vgl. zur vorliegenden Problematik weiters auch ).

3. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen:

3.1. Der Beschwerdeführer wurde daher durch die

angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander verletzt. Die angefochtene Entscheidung ist daher insoweit - ohne, dass auf das Beschwerdevorbringen zu Art 8 EMRK näher einzugehen gewesen wäre - aufzuheben.

3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

3.3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

B. Soweit die an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde die Abweisung des Asylantrages und die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat bekämpft, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s. etwa EGMR , Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 [319];

, Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 [309];

, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Der Asylgerichtshof hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg. 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Das Asylverfahren ist ferner auch nicht von Art 6 EMRK erfasst (vgl. VfSlg. 13.831/1994; s. auch jüngst EGMR , Fall Omeredo, Appl. 8969/10, mwN).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit der Beschwerdeführer damit die Abweisung seines Asylantrages und die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat bekämpft, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).