VfGH vom 29.06.2011, U1533/10 ua
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags wegen entschiedener Sache und Ausweisung; keine Ermittlungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten
Spruch
I. Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidungen werden aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine am geborene Staatsangehörige Georgiens, reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte erstmals am einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
1.2. Am wurde die Zweitbeschwerdeführerin, die Tochter der Erstbeschwerdeführerin, in Österreich geboren. Die Erstbeschwerdeführerin brachte am für ihre Tochter einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
1.3. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wurden die Beschwerdeführerinnen nach Georgien ausgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Entscheidungen des Asylgerichtshofes jeweils vom als unbegründet abgewiesen.
1.4. Am stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich und ihre Tochter erneut Anträge auf internationalen Schutz, die mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Unter einem wurden die Beschwerdeführerinnen aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Entscheidungen des Asylgerichtshofes jeweils vom abgewiesen. Begründend führte der Asylgerichtshof aus, dass den erneuten Anträgen der Beschwerdeführerinnen zwar ein völlig neues Vorbringen zu Grunde liege, dieses aber auf Fluchtgründen basiere, welche bereits vor der Flucht und somit vor Rechtskraft der Erledigung im Erstverfahren entstanden seien. Die Beschwerdeführerinnen hätten spätestens bei der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Erstverfahren jenes Vorbringen zu erstatten gehabt, auf welchem nunmehr das Zweitverfahren fuße. Darüber hinaus mangle dem "neuen" Vorbringen ein glaubhafter Kern. Insbesondere der Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin laut einem von ihr vorgelegten Krankenhausbefund an einer öffentlichen Schule beschäftigt gewesen sei, spreche gegen das Vorliegen einer staatlichen Verfolgung. Hinsichtlich der Begründung des Spruchpunktes II. führte der Asylgerichtshof eine Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK durch, in der er zu dem Ergebnis gelangte, dass kein schützenswertes Familienleben vorliege, weil der Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweitbeschwerdeführerin ebenfalls nach Georgien ausgewiesen worden sei. Weiters liege kein Anhaltspunkt für eine überdurchschnittliche soziale Verfestigung vor, weshalb die Ausweisung der Beschwerdeführerinnen gerechtfertigt sei. Schließlich enden die Entscheidungen des Asylgerichtshofes mit Ausführungen zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung.
2. Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden, auf Art 144a B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt wird.
3. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerden beantragte.
II. Rechtslage
§ 8 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 zuletzt geändert durch BGBl. I 122/2009 (im Folgenden: AsylG 2005), lautet auszugsweise:
"4. Abschnitt
Status des subsidiär Schutzberechtigten
Status des subsidiär Schutzberechtigten
§8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) - (7) ..."
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidungen werden in den Beschwerden nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass der vorliegenden Beschwerdefälle auch nicht entstanden.
Die Beschwerdeführerinnen sind daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.
2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.1. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidungen unterlaufen:
2.1.1. Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status auch auf die Gewährung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG 2005 gerichtet. Der Umstand, dass in einem auf das AsylG 2005 gestützten Antrag auf internationalen Schutz ein Antrag auch in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz enthalten ist, wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem AsylG 2005 ist der Asylgerichtshof verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (; vgl. auch ).
2.1.2. Dieser Verpflichtung ist der Asylgerichtshof jedoch nicht nachgekommen. In den angefochtenen Entscheidungen finden sich keine Feststellungen zu allfälligen subsidiären Schutzgründen, wie zB der gesundheitlichen Situation der Beschwerdeführerinnen oder der Lage in Georgien. Die Entscheidungen enthalten nicht einmal einen Verweis auf die in den Bescheiden des Bundesasylamtes getroffenen Länderfeststellungen. Mit der Frage, ob sich in dem seit dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens verstrichenen Zeitraum eine Änderung des Sachverhaltes dahingehend ergeben hat, dass den Beschwerdeführerinnen nunmehr eine dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechende Behandlung in ihrem Heimatland droht, hat sich der Asylgerichtshof mit keinem Wort auseinander gesetzt. Mangels Prüfung von Sachverhaltsänderungen hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hat der Asylgerichtshof die angefochtenen Entscheidungen mit Willkür belastet.
Die Beschwerdeführerinnen sind somit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
3. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Dabei ist zu beachten, dass zwei Beschwerden für zwei Beschwerdeführerinnen zu zwei gleichartigen Entscheidungen des Asylgerichtshofes eingebracht wurden. Hiefür gebührt insgesamt nur ein Pauschalsatz in der Höhe von € 2.000,-, weil es dem Rechtsvertreter durchaus zumutbar gewesen wäre, eine gemeinsame Beschwerde einzubringen. Zusätzlich ist ein Streitgenossenzuschlag für die Zweitbeschwerdeführerin in der Höhe von € 200,- zu gewähren (vgl. VfSlg. 14.788/1997; ua.). Den Beschwerdeführerinnen sind somit Kosten von insgesamt € 2.200,-
zuzusprechen. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 440,- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.