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VfGH vom 26.09.2011, U1526/10

VfGH vom 26.09.2011, U1526/10

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsbürger, reiste im Jahr 2004 nach Österreich ein und stellte am einen Antrag auf Asyl. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er in einer Bank gearbeitet habe, die überfallen und dabei Geld gestohlen worden sei. Er sei in Folge vom Geschäftsführer der Bank mit dem Umbringen bedroht worden, wenn er das Geld nicht zurückzahle; die Polizei habe ihm geraten, seine Probleme mit der Bank selbst zu lösen. Bei Rückkehr nach Armenien sei sein Leben in Gefahr.

1.1. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997), ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am fristgerecht Berufung (nunmehr: Beschwerde). Am führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine mündliche Verhandlung durch und richtete am ein Anfrageersuchen an die Staatendokumentation zum Asylvorbringen des Beschwerdeführers. Am langte beim Asylgerichtshof ein Schreiben des Landeskrankenhauses Graz ein, dass der Beschwerdeführer an familiärem Mittelmeerfieber leide. Am führte der Asylgerichtshof eine mündliche Verhandlung durch und wies die Beschwerde mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§7 und 8 AsylG 1997 und § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) ab. Der Beschwerdeführer habe infolge der Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen können. Zum gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers führte der Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis aus, dass dieser an familiärem Mittelmeerfieber leide und diese Krankheit in Armenien behandelbar sei. Den Länderfeststellungen sei nämlich zu entnehmen, dass die medizinische Versorgung in Armenien grundsätzlich flächendeckend gewährleistet sei und alle gängigen Erkrankungen behandelbar seien.

2. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art 3 und 8 EMRK, Art 83 B-VG sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Der Beschwerdeführer leide an familiärem Mittelmeerfieber, einer seltenen, unheilbaren Krankheit mit schwerem chronischem Verlauf sowie zu erwartender früher Mortalität. Er beziehe Pflegegeld der Stufe 1, sei auf die Unterstützung seiner Nachbarn angewiesen und trotz seines jungen Alters bereits mehrmals operiert worden und habe mehrere künstliche Gelenke. Die Krankheit zeichne sich beim Beschwerdeführer durch Schübe mit hohem Fieber und starken Schmerzen aus und führe im gesamten Körper zu Folgeerkrankungen, die eine laufende medizinische Betreuung durch verschiedene Fachrichtungen erfordern würden. Der Asylgerichtshof habe es unterlassen, zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers Ermittlungen anzustellen und Feststellungen zu den benötigten Medikamenten, Therapien sowie dem prognostizierten Verlauf der Erkrankung und zur Behandelbarkeit in Armenien zu treffen.

3. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die Gerichts- und Verwaltungsakten übermittelt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien abgewiesen wird, begründet:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).

1.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Gemäß § 8 AsylG 1997 (iVm § 57 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75/1997 idF BGBl. I 134/2002) ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Der Asylgerichtshof hat am eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, den Beschwerdeführer zu seinem Gesundheitszustand befragt und die Länderfeststellungen erörtert. Ebenso wurde mit dem Beschwerdeführer u.a. ein Sachverständigengutachten vom über die medizinische Behandelbarkeit von familiärem Mittelmeerfieber in Armenien erörtert, welches besagt, dass diese Krankheit in staatlichen Krankenhäusern nicht behandelt werden könne; es gebe nur ein einziges privates Klinikum in Armenien, das entsprechende Patienten behandle und vom Patienten selbst zu bezahlen sei. Die erforderlichen Medikamente seien auch nur teilweise in Armenien vorhanden.

2.3. Am hat der Beschwerdeführer eine Stellungnahme beim Asylgerichtshof eingebracht und u.a. ein ärztliches Gutachten vom sowie die Bestätigung über die Ausstellung eines Behindertenpasses vorgelegt. Mit einer Besserung der Krankheit sei aufgrund des chronischen Verlaufs nicht zu rechnen; medizinische Untersuchungen seien wöchentlich erforderlich. Der Beschwerdeführer leide trotz Medikamentation an ständigen Schmerzen und müsse außerhalb seiner Wohnung zwei Krücken als Gehhilfe benützen. In Armenien seien die Voraussetzungen einer Behandlung dieser Krankheit, die der Beschwerdeführer benötige, nicht gegeben.

2.4. Das in der Verhandlung erörterte Sachverständigengutachten vom zur Behandelbarkeit von familiärem Mittelmeerfieber in Armenien wird vom Asylgerichtshof im Erkenntnis als "Länderdokumentationsmaterial" angeführt. Der Asylgerichtshof verabsäumt es jedoch, dieses (eindeutige) Gutachten, seinen Erwägungen zugrundezulegen und begnügt sich im Erkenntnis hinsichtlich der Erkrankung des Beschwerdeführers mit der Zitierung der allgemeinen Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgung in Armenien, die von der Behandelbarkeit aller "gängigen" Erkrankungen sprechen und allgemein von einer schlechten medizinischen Grundversorgung sowie einer problematischen Situation hinsichtlich der Verfügbarkeit von Medikamenten.

2.5. Durch das völlige Außer-Acht-Lassen dieses Gutachtens, welches feststellt, dass eine Behandlung von familiärem Mittelmeerfieber in Armenien lediglich in einem einzigen, privaten Spital (für mehrere Millionen Einwohner) möglich ist, geht der Asylgerichtshof leichtfertig vom Inhalt der Akten ab und lässt eine umfassende Auseinandersetzung bei der Refoulementprüfung mit der Gefährdungssituation des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine Gesundheit und eine mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Ausweisung nach Armenien vermissen (vgl. VfSlg. 18.646/2008, 18.860/2009, 18.862/2009). Da der Asylgerichtshof die Gerichtsakten, trotz Aufforderung zur vollständigen Vorlage am , nicht vollständig übermittelt hat (es fehlt die Verhandlungsschrift vom samt Beilagen, insbesondere das Sachverständigengutachten vom ) erkennt der Verfassungsgerichtshof gemäß § 20 Abs 2 VfGG aufgrund der Beschwerdebehauptungen.

3. Der Beschwerdeführer ist somit durch die Entscheidung auf Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

4. Da die Ausweisung aus dem Bundesgebiet u.a. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien voraussetzt, ist die Entscheidung, insoweit sie die Zulässigkeit der Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien betrifft, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen dazu einzugehen war.

4.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. mwN). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

4.2. Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Asyl richtet (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).