VfGH vom 18.06.2012, U1518/11

VfGH vom 18.06.2012, U1518/11

19642

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags und Ausweisung nach Georgien wegen Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in wesentlichen Punkten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der am geborene

Beschwerdeführer reiste am illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am gleichen Tag den ersten Antrag auf Gewährung von Asyl, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen wurde. Zugleich wurde gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen und dahingehend ergänzt, dass der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen wurde. Schließlich lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom ab.

1.2. Aus dem Stande der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Georgien Föderation" ausgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom erfolgte eine Berichtigung dahingehend, dass die Ausweisung nach "Georgien" und nicht "Georgien Föderation" zu lauten habe. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom gerichtete Beschwerde wurde schließlich mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom gemäß § 68 Abs 1 AVG iVm § 10 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der in der Beschwerde enthaltene Antrag auf Beigebung eines Rechtsberaters wurde gemäß § 66 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Spruchpunkt I. begründete der Asylgerichtshof dahingehend, dass der Beschwerdeführer keine neuen Asylgründe vorgebracht habe. Sein Privat- und Familienleben sei nicht geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken. Die refoulementrelevante Situation habe sich seit der Rechtskraft des Erstverfahrens nicht verändert. Zu Spruchpunkt II., mit dem der Antrag auf Beigebung eines Rechtsberaters abgewiesen wurde, führte der Asylgerichtshof aus, dass die Beschwerde zwar nicht den Namen eines Rechtsanwaltes nenne, diese aber ganz offensichtlich durch einen "Asylexperten" verfasst worden sei. Die Beistellung eines Rechtsberaters sei daher weder erforderlich noch zweckdienlich.

2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144[a] B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

3. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtwidrigen generellen Norm verletzt.

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende

Fehler sind dem Asylgerichtshof bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung unterlaufen.

3.1. Der Asylgerichtshof bestätigt mit seiner Entscheidung die im Bescheid des Bundesasylamtes vom idF des Bescheides des Bundesasylamtes vom verfügte Ausweisung des Beschwerdeführers nach Georgien. Eine Feststellung, wonach der Beschwerdeführer Staatsangehöriger Georgiens sei, findet sich in der Entscheidung des Asylgerichtshofes jedoch nicht. Stattdessen führt der Asylgerichtshof "in Übereinstimmung mit dem Bundesasylamt" zur Person des Beschwerdeführers aus, dass er aus Georgien stamme und Staatsangehöriger "von Georgien alias Russische Föderation" sei. Auch dem Bescheid des Bundesasylamtes vom idF des Bescheides des Bundesasylamtes vom ist nicht eindeutig zu entnehmen, welches Land als das Herkunftsland des Beschwerdeführers angesehen wird. So führt das Bundesasylamt im Rahmen der Refoulementprüfung auf Seite 25 des Bescheides einerseits aus, dass sich "hinsichtlich der im Erstverfahren getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation [...] keine Änderung ergeben hat und diese daher nach wie vor für zulässig erachtet wird", während drei Absätze weiter festgehalten wird, dass die Rückverbringung des Beschwerdeführers nach Georgien keine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellt.

Dadurch, dass der Asylgerichtshof im Hinblick auf die verfügte Ausweisung des Beschwerdeführers nach Georgien die Frage nach dessen Staatsangehörigkeit nicht geklärt hat, ist ihm das Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt und damit Willkür vorzuwerfen.

3.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem

Erkenntnis vom , U1533/10 ua., bereits ausgesprochen hat, ist der Asylgerichtshof hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem AsylG 2005 verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen.

In der angefochtenen Entscheidung finden sich keine aktuellen Feststellungen zur maßgeblichen Lage im Herkunftsstaat. Stattdessen bestätigt der Asylgerichtshof die im Bescheid des Bundesasylamtes vom idF des Bescheides des Bundesasylamtes vom getroffene Feststellung, dass sich "unter Berücksichtigung von aktualisierten Versionen des im Erstverfahren verwendeten Quellenmaterials" seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens keine maßgeblich geänderte asylrelevante Lage ergeben habe. Die behauptete Aktualisierung der Länderberichte ist jedoch weder belegt noch näher begründet und daher nicht nachvollziehbar. Somit stützt sich die Entscheidung des Asylgerichtshofes auf die im Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom enthaltenen Länderberichte, die zu einem Großteil aus dem Jahr 2006 stammen. Zwischen diesem Zeitpunkt und der Entscheidung des Asylgerichtshofes sind jedoch fünf Jahre vergangen, in denen keine umfassenden aktuellen Feststellungen zur Lage im Herkunftsland getroffen wurden (vgl. ;

VfSlg. 18.646/2008).

Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher

aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer von € 400,- enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.