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VfGH vom 01.12.2010, U1489/10

VfGH vom 01.12.2010, U1489/10

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Abweisung eines Asylantrags und Ausweisung durch einen Einzelrichter und nicht einen Senat des Asylgerichtshofes; keine Anwendbarkeit der Übergangsbestimmung des Asylgesetzes 2005

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger,

stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG 1997 nicht zulässig ist.

Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom durch eine Einzelrichterin - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am sowie am - abgewiesen.

2. Die rechtlichen Erwägungen des Asylgerichtshofes in Bezug auf die Einzelrichterzuständigkeit lauten wie folgt:

"Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf Art 151 Abs 39 Z 4 erster Satz B-VG und auf § 38 AsylG. § 38 AsylG spricht zwar vom 'unabhängigen Bundesasylsenat' und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art 151 Abs 39 Z 4 B-VG die am beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG, die von 'Berufungen' sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen.

Die Zuständigkeit der Einzelrichterin ergibt sich aus § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Vorschrift )."

3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Die für das Verfahren maßgebliche Rechtslage stellt sich wie

folgt dar:

1. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 153/2009, lautet:

"§9. Senate und Kammersenate

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

..."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, (im Folgenden: AsylG 2005) lauten:

"§61. Asylgerichtshof

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs 3 oder 3a vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

(2) - (2a)...

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

1. zurückweisende Bescheide


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a)
wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;
b)
wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;
c)
wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG, und


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2.
die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.


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...

...

§75. Übergangsbestimmungen

(1) - (6) ...

(7) Am beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

1. Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

2. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

3. ...

..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002 und 18.644/2008). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt eines Senates ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt.

2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Neben der Einzelrichterzuständigkeit in den Fällen des § 61 Abs 3 AsylG 2005 sieht die Übergangsbestimmung des § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 vor, dass am beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach der Maßgabe weiterzuführen sind, dass die Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen haben. Dazu hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 18.610/2008 Folgendes ausgesprochen:

"§75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 soll ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des UBAS, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. Für diese überschaubare Zahl von Übergangsfällen ist festzustellen, dass der Gesetzgeber an ein Verfahrensstadium anknüpft, in dem bereits - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - eine entscheidungsreife Rechtssache vorliegt. Eine Übergangsbestimmung dieser Art, die - wie erwähnt - auf das fortgeschrittene Verfahrensstadium und die Identität des zur Entscheidung berufenen Organwalters abstellt, ist verfassungsrechtlich noch unbedenklich."

2.2. Im vorliegenden Fall fand am - also vor dem - vor dem zuständigen Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates eine mündliche Verhandlung statt. In dieser wurden die Fluchtgründe näher erörtert und die Verhandlung zur Durchführung von Recherchen, insbesondere zur Person des Vaters des Beschwerdeführers, auf unbestimmte Zeit vertagt.

Am - also nach dem - fand erneut vor dem zuvor für das Verfahren beim unabhängigen Bundesasylsenat zuständigen Mitglied, welches mittlerweile zur Richterin des Asylgerichtshofes ernannt worden war, eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes durch die Einzelrichterin vom wurde schließlich die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom erhobene Beschwerde abgewiesen.

Im vorliegenden Fall hat demnach zwar bereits vor dem eine mündliche Verhandlung vor der später entscheidenden Richterin des Asylgerichthofes stattgefunden. Daraus alleine kann jedoch nicht auf eine Einzelrichterzuständigkeit geschlossen werden.

Wie der Verfassungsgerichthof nämlich schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.610/2008, festgestellt hat, soll die Übergangsbestimmung des § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. In Fällen, welche unter die Übergangsbestimmung des § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 fallen, muss daher - bei verfassungskonformer Interpretation der Bestimmung - bereits eine "entscheidungsreife Rechtssache" vorliegen.

Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, was sich einerseits aus der Vertagung der mündlichen Verhandlung vom auf unbestimmte Zeit und andererseits aus der Notwendigkeit der Fortsetzung bzw. neuerlichen Durchführung einer mündlichen Verhandlung am ergibt. Daraus geht vielmehr hervor, dass der erkennenden Einzelrichterin nach dem nicht eine bereits "entscheidungsreife Rechtssache" vorlag, weshalb der Asylgerichtshof nicht durch eine Einzelrichterin, sondern in einem Senat zu entscheiden gehabt hätte.

Da überdies auch kein Fall des § 61 Abs 3 AsylG 2005 vorliegt, hätte der Asylgerichtshof nicht durch einen Einzelrichter, sondern in einem Senat zu entscheiden gehabt.

Der belangte Asylgerichtshof hat demnach durch die Entscheidung durch eine Einzelrichterin den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. ).

3. Die Entscheidung war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.